Reading Festival, England


Zum 13. und letzten Mal ging Ende August das legendäre „Reading Rock-Festival“ über die Bühne. Auch in seiner letzten Auflage hinterließ das dreitägige Mammut-Programm zwiespältige Eindrücke, sind doch 11 Stunden Rock pro Tag selbst für hartgesottene, meist schon zur Mittagsstunde leicht angeheiterte Rockfans einfach des Guten zuviel.

So kommt den vier, fünf ersten Bands jedes Tages meist nur die undankbare Rolle des Lückenbüßers zu. Während sich die Fans entweder zu einem Nickerchen in die Sonne legen oder sich mit den beinahe schon legendären Flaschen-Schlachten die Zeit vertreiben, rackern sich die oft hörenswerten Nachwuchs-Bands meist vergeblich ab.

Daß-Reading seine eigenen Gesetze hat, mußte vor allem das schwarze Reggae-Qumtett Steelpulse erfahren: Unter einem pausenlosen Flaschen-Hagel mußten sie ihren Set bereits nach dem ersten Song abbrechen! Weitere Namen des ersten Tages: Hanoi Rocks. Man, Pallas und Pendragon.

Höhepunkt des ersten Tages war neben den Stranglers, die in England schon seit Jahren zu den beliebtesten Live-Bands gehören, der Auftritt von Big Country. Das Quartett, das innerhalb von Monaten vom Insidertip zum Topact avancierte, überzeugte die rund 30 000 Zuschauer mit einem runden Gig. Der Sound wird geprägt von den beiden Gitarristen Bruce Watson und Stuart Adamson (ex-Sldds) und getragen von einer hervorragend eingespielten Rhythmus-Gruppe. Da erstaunt es nicht, daß unter anderem schon die Pretenders oder Pete Townshend die Hilfe von Tony Buttler (Baß) und Mark Brzezicki (Schlagzeug) in Anspruch nahmen.

Trotz der beiden hervorragenden Gigs von den Stranglers und Big Country muß das Programm des Freitags als dürftig bezeichnet werden. Da war am Samstag bedeutend mehr los. Der vorwiegend Hardrockorientierte zweite Tag zog denn auch bereits in den Mittagsstunden weitaus mehr Leute an als das Stil-Durcheinander vom Vortag.

Bereits um ein Uhr nachmittags forderte die kanadische Lee Aaron Band von den Fans das Letzte ab. Blickfang der Band ist eindeutig Lee Aaron selbst, die 20-jährige Sängerin mit der Sex-Ausstrahlung eines weiblichen David Lee Roth. Mit ihrer hochkarätigen Heavy Metal-Begleitband war sie einer der ersten Höhepunkte des Samstags.

Headliner des Tages waren Marillion und Black Sabbath. Noch vor einem Jahr in Reading unter „ferner liefen“ mit dabei, machten Marillion Furore dieses Jahr. Die Band, die eigens für den Reading-Gig ihre erste Amerika-Tournee unterbrach, gilt in England seit dem Erscheinen ihres ersten Albums SCRIPT FOR A JESTER’S TEAR zu den markantesten Gruppen der letzten Jahre! Und was die Jungs um Sänger Fish auf, der Bühne boten, ließ selbst ihr Debüt-Album verblassen.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterließen zum Abschluß des Samstags Black Sabbath, die in Reading erstmals mit Ian Gillan auftraten. Zum einen wirkt es seltsam, wenn sich Gillan mit alten Ozzy Osbourne-Nummern abmüht, zum andern sollten sich die beiden Sabbath-Urmitglieder Tony Iommi und Geezer Butler nicht an alten Deep Purple-Songs versuchen, denn dafür sind die beiden doch etwas zu schwerfällig.

Dazu kommt noch, daß der für den erkrankten Bill Ward eingesprungene ELO-Drummer Bev Bevan sich zwar redlich abmühte, es aber nicht verbergen konnte, daß er im Heavy Metal nicht zuhause ist. Die Fans jedoch kümmerte all das wenig. Ein paar Takte „Smoke On The Water“ genügten, und schon war ihre Welt in Ordnung. Da werden auch mal ein Auge und beide Ohren zugedrückt. Weitere Teilnehmer des zweiten Tages: Heavy Pettin!, Anvil, Suzi Quatro, Stevie Ray Vaughan und Mamas Boys.

Der abschließende Sonntag stand ganz unter dem Motto „Comeback & Goodbye“. U. a. dabei Climax Blues Band, Steve Harley & Cockney Rebel und Little Steven. Wiederauferstanden sind – wenn auch nur für einige wenige Konzerte – Ten Years After. Ihr Auftritt anläßlich des 25jährigen Jubiläums des Marquee-Clubs hatte ihnen dermaßen Spaß gemacht, daß sie sich entschlossen, noch ein paar Gigs anzuhängen.

In Reading präsentierten sich Alvin Lee & Co in einer Spiellaune, wie sie wohl keiner der Anwesenden erwartet hatte. Da sitzt alles nach wie vor perfekt, als ob es nie eine zehnjährige Pause gegeben hätte. Als die Vier auch noch mit dem Woodstock-Klassiker „Going Home“ loslegten, flippten die Fans total aus.

Während sich Ten Years After mit einem fantastischen Gig zurückmeldeten, galt es danach Abschied zu nehmen von Thin Lizzy. Nach 12jähriger Zusammenarbeit haben sich in diesem Frühjahr Lizzy-Boß Phil Lynott und seine Mannen entschlossen, die Band aufzulösen. Mit einer Supershow verabschiedeten sie sich in Reading endgültig von ihren englischen Fans, bevor es zu einigen Farewell-Gigs rüber aufs europäische Festland ging. Es wurde ein Abschied, den die Fans so schnell nicht wieder vergessen werden. Thin Lizzy – sie waren bereits 1977 Headliner in Reading – beendeten das dreitägige Monsterfestival mit einem überwältigenden Hardrock-Feuerwerk.

Reading ist vorbei – die letzten 33 Stunden Rock gehören der Vergangenheit an. Daß das „Jazz-, Blues- und Rock-Festival“ (so der offizielle Name des Festivals) auch nächstes Jahr irgendwo über die Bühne gehen wird, daran zweifelt jedoch kaum jemand, denn schon seit Monaten sind die Organisatoren auf der fieberhaften Suche nach einem geeigneten Ersatzgelände.