Ray Davies greift zum Griffel: Phil & Ich


War es ein Mißverständnis? Oder quälte ihn auf der jüngsten Deutschland-Tour nur die Langeweile? Kinks-Kopf Ray Davies jedenfalls nahm die Aufgabe des "Gastkritikers" penibel ernst und schickte uns nicht weniger als 24 vollgekritzelte Seiten. Wobei nicht allein die Werke der werten Kollegen seine Gedankenlawine auslösten, sondern auch Erlebnisse am Rande der Tournee. Nur: Was hat Ihm der gute Phil Collins bloß getan ...?

Gerade in München angekommen. Ich soll also neue Platten bewerten. Mein Gepäck ist zu allem Überfluß auch noch abhanden gekommen. Ich schiebe die erste Cassette ein.

„The Fish singt: „Listen to me, hear me out, I want your ottention“. Hoffentlich bekommt er sie auch. Erfrischender Euro-Mythical-Rock. „Is there anybody out there“, singt er. Oh Gott, doch nicht etwa ein Konzeptalbum? Jedenfalls i’mer noch besser als Phil Collins.

Der zweite Track beginnt wie Phil Collins. (Was hat dieser Mann bloß angerichtet?) Track 3 ist Phil Collins im Percussion-Fieber. Fish sagt uns, daß wir der Regierung nicht trauen sollen. Wer will ihm das auch verdenken, wo er doch eine Haartransplantation vornehmen lassen mußte, weil es die Regierung ablehnt, kostenlos Haartinktur an alle Hippies mit Glatzenbildung zu verteilen?

„A Scream Inside“ -der Bursche meint’s wirklich gut, nichts als gute Absichten. But seriously… wird man sowas im Radio spielen? „We the people have our backs against the wall.“ Nice one, Phil. Es gibt noch Hoffnung für Hippies. The Fish sind ehrliche Häute mit Hand und Fuß. Sie vermitteln auf einem Album so viel, daß das nächste Album nur heiße Luft sein kann. Nicht wie Phil Collins, der so wenig zu sagen hat, daß er fünf gottverdammte Alben braucht, um nichts zu sagen. Jawohl, The Fish machen dos Rennen. This fish is no turkey.

Ich bin mittlerweile zur Hälfte durch die B-Seite und fühle mich noch immer bestens unterhalten. Sollte es vielleicht doch die neue Phil Collins-LP sein? Das Telefon klingelt und informiert mich, daß mein Gepäck unauffindbar ist. Ich frage mich, ob The Fish vielleicht einen Roadie brauchen könnten …

Ich sitze am Münchener Flughafen und warte auf den Flieger nach Köln. Habe nach dem gestrigen Konzert zu tief ins Glas geguckt (wie immer). Ich greife in meine Tasche und fische eine neue Cassette heraus. Sie fängt genauso wie die letzte an – mit einem langen Synthi-Akkord. Ich versuche nicht aufs Label zu schielen, sehe aber trotzdem, daß es die Christians sind. Der Sänger klingt wie Stevie Wonder ohne Haare. Blauäugige Lovesongs, aufrichtig gespielt und voller Inbrunst gesungen – Gott schütze die Christians.

Ich versuche es nicht zu registrieren, kann aber nicht umhin festzustellen, daß ich jetzt The Zombies höre. Die erste Nummer handelt von Amerika, glaube ich. Was mich zu der Frage führt, ob sie wohl in Amerika groß abräumen wollen. Weiße Bands, die nicht wie Phil Collins klingen wollen, haben es nun mal schwer. „Hold My Hand“ erinnert mich an REVOLVER von den Beatles – was ja nicht das schlechteste ist, zumal McCartney etwas von dem Respekt, den er über die Jahre verspielt hat, gegenwärtig zurückerkämpft. Die 80er sind vorbei, und wie die 80er sagt dieses Album viel, ohne dabei konkret zu werden. „The Time Of The Season“ ist ein Remake eines alten Zombies-Hits, und ich frage mich, ob ich nochmals „Tired Of Waiting“ oder „Sunny Afternoon“ aufnehmen würde, damit es auch die CD-Generation hören kann. Sollte mich das zu einem Mega-Star wie Phil Collins machen? Es wäre so, als würde ich meine erste Frau ein zweites Mal heiraten. Wer braucht unnötigen Ärger?

The Eat sollten mit den Zombies touren. Donnerndes Metall, aber diese Waschlappen würden einen power chord nicht mal erkennen, wenn sie ihm begegnen. So schlecht, daß es schon wieder gut ist. Ja, gut! Ich wünschte mir, Guns n‘ Roses wären so gut wie Eat. So schlecht wie Eat auch sein mögen – zumindest haben sie die richtige Rock ’n‘ Roll-Energie.

Ich schaue mir die Cassette an und lese die handschriftlichen Titelangaben – so als wäre es eine Amateur-Band. Wer weiß, vielleicht ist das der nächste PR-Clou der Plattenindustrie? Werde ich hier geleimt? Ist dos nur ein Trick, um einem Deppen wie Ray Davies, der einem armen Schwein nicht ans Bein pinkeln will, einen begeisterten Review aus den Rippen zu leiern?

Wir sind in Köln, und Oran „Juice“ Jones beginnt mit einem Techno-Intro, wie es dir dein örtlicher Atari-Vertreter nicht besser hätte demonstrieren können. Vielleicht liegt es daran, daß ich inzwischen auf der Autobahn nach Münster bin – ich empfinde jedenfalls rein gar nichts für diese Musik. Nicht mal Ärger. Ich sprach gerade mit jemandem in Berlin, der meinte, die Berliner seien natürlich froh über die Wiedervereinigung, ober sie seinen traurig, weil „Berlin nicht mehr eine Insel sei“. Kann ich verstehen. Diese Musik hat mit meiner Person nichts zu tun, aber ich fühle – wie meine Westberliner Freunde – Trauer darüber, daß ich vielleicht zu lange auf meiner Musik-Insel gesessen habe. Während ich einerseits froh bin, daß es Freiheit für alle Arten von Musik gibt, irritiert es mich doch, daß die musikalische Freiheit mehr Negatives als Positives ans Land spült. Repräsentiert diese Platte wirklich all das, was westliche Kultur zu bieten hat? Diese Platte klingt so, als würde McDonalds die Tour sponsern. Phil Collins würde sie lieben.

Endlich etwas Menschliches! Wunderbar, daß eine Platte wie die von Phillip Boa tatsächlich noch Hörer findet. Erinnert mich on Pere Ubu in seinen frühen Tagen, bevor die Viertelpfünder von McDonalds ihren Tribut forderten. Ich werde Phil Collins, Chris DeBurgh, Sting und Peter Gabriel dazu zwingen, sich hinzusetzen und diese Musik zu hören – notfalls, als Maßnahme des musikalischen Re-Education-Programms, auch mit roher Gewalt. Besser noch: Als Präsident ihrer Plattenfirma würde ich sie zwingen, je einen Song dieses Albums zu covern.

Weiter geht’s! Zuerst denke ich, daß die Cassette der Dissidenten rückwärts läuft, stelle dann aber erleichtert fest, daß nur in einer exotischen Sprache gesungen wird. Arabisch? Die Geigen hingegen klingen europäisch – oder asiatisch? Die Drums (sicher ein Sample von Phil Collins‘ Snare Drum) sind deplaciert, sie zerstören den natürlichen Rhythmus. Apropos Phil Collins – ich sollte das vielleicht erklären: Phil ist sicher ein netter Kerl, aber wenn ich ihn Drums spielen höre, habe ich immer das Gefühl, daß er bei jedem zweiten Beat auf seine Rolex schaut, um nur ja nicht den nächsten Gig zu verpassen. Diese Platte jedenfalls macht mir gute Laune, vielleicht nur wegen der Worte, die ich nicht verstehe.

Gestern spielten wir Offenbach, und einige Jungs in der Band kämpften hart mit dem Schnupfen. Schwierig, unter diesen Umständen enthusiastisch zu sein. Wenn mein Timing nicht stimmt, wirkt es sich gleich auf die ganze Band aus. Ich muß mich dann irgendwie aufraffen, um den Kontakt zum Publikum wieder herzustellen. Meistens tue ich es, indem ich mich auf ein Gesicht in den vorderen Reihen konzentriere. „It’s an illusion, I am a ship without a crew“, höre ich auf der Platte von Johnny Clegg. Genau das gleiche habe ich gestern abend gefühlt. Der Sänger klingt jetzt wie Sting: „Suffer Little Children“. Es sind nicht mal seine eigenen Klischees. Kleine schlechte Platte, aber die Kommerzialisierung von politischen Grundsätzen tarnt mich inzwischen total ab. „One Man, One Vote“ – und ich dachte, wir lebten in einer freien Welt? Trotzdem, mir lieber als das letzte Album von Paul Simon. Läuft bestimmt‘ gut in Pariser Discos, wo der Jetset Dom Perignon trinkt und zur Musik der Dritten Welt tanzt. Jawohl, es ist eine „cruel, crazy, beautiful world“, wie Clegg singt.

Hamburg liegt unter den Wolken, und ich nehme mir vor, heute abend, beim letzten Gig der 80er, besonders gut zu sein. Die deutschen Zuschauer haben uns erstaunliche Wärme und Zuneigung gezeigt. Komisch, wir wollten das letzte Album eigentlich BREAKFAST IN BERLIN nennen, ich wollte dazu einen Film drehen, aber Film und Musik ließen sich irgendwie nicht koordinieren. Mir geht’s da genau wie anderen Leuten auch. Die Kinks haben damit zu leben gelernt, auch ohne überschwengliche Reviews zu leben. Mir haben all diese Platten Spaß gemacht, ob gut oder schlecht. Aber glaubt mir nicht – hört sie euch selbst an!