Rasta ist kein billiger Gimmick
„Woas hoats der denn alls mit ,Rastafari'“, fragt ein bayrischer Fan im Münchener Reitstadion seinen Freund. „Na“, sagt der, „dös is so a Götze, den tun’s doch a’bete!“ Bob Marley, der Prediger, ist nach drei Jahren endlich wieder auf Tournee gewesen und seine Ausdauer, den Reggae auch uns begreiflich zu machen, hat sich gelohnt, denn die Hallen waren überall zum Bersten voll und inzwischen verstehen die Menschen hierzulande seine Botschaft besser als in den meisten Ländern der westlichen, industriealisierten Welt…
Der Himmel weinte, aber Bob Marley sang. Dick vermummt in rotgelbgrüne Mützen, Schals und Jacken trotzten er und die Wailers der für einen ersten Juni ungewöhnlich kühlen Witterung, die ihren Auftritt beim münchener Open-Air-Festival begleitete. „Natural Mystic Is Blowing Through The Air“ tönte es zu Beginn aus den Boxen, und der kräftige Wind blies den Song in die Köpfe von mehr als 30.000 Zuhörern. Eine Stunde lang knüpfte Marley das Netz der „Natural Mystic“, unbeirrt durch die Regenschauer, die mehrfach vom Himmel prasselten. Am Ende ging die Rechnung auf: bei „Exodus“, dem letzten Stück vor den zwei Zugaben, öffneten sich die dunklen Wolkenschichten, um die Sonne durchzulassen – „We Jah People Can Make It Work“, wie es in einem der Songs vom neuen Marley-Album „Uprising“ heißt.
„Uprising“ präsentiert, ebenso wie die jüngsten Konzerte, einen gewandelten Bob Marley. Er ist sehr ernst geworden, wirkt als Persönlichkeit noch gefestigter als früher, geht also offenbar genau den umgekehrten Weg wie das Gros der Rocksänger.
Am eindrucksvollsten dokumentiert diese Entwicklung wohl der „Redemption Song“, der letzte Titel des neuen Albums. Hier hören wir Bob Marleys Stimme ungeschminkt, lediglich von einer akustischen Gitarre begleitet. Der Reggae-Rhythmus kommt nur noch unterschwellig durch, und man denkt unwillkürlich an die Folk-Songs des frühen Bob Dylan, wenn man diesen ungemein intensiven Song hört. Marley beginnt den Text mit einer Anspielung auf die Geschichte seines versklavten Volkes, geht dann aber schnell über zu jenen Dingen, die uns hier und heute unter den Nägeln brennen. „Emancipate Your Selves From Mental Slavery/None But Ourselves Can Free Our Minds“ singt er und verweist mit diesen so einfachen Worten auf die Revolution, die uns wirklich helfen kann: Die Revolution des menschlichen Geistes, die Erneuerung, die Befreiung jedes Einzelnen aus sich selbst heraus, die Ablehnung jeglicher Ideologie, egal aus welcher Ecke sie kommt. Marley munter uns auf: „Have nor Fear for Atomic Energy/-Cause None A Them Can Stop The Time“. Sinngemäß kann man diese ungewöhnlichen Zeilen etwa so übersetzen: „Habt keine Angst vor der Atomenergie, denn der Lauf der Geschichte wird darüber hinwegfegen“. Daß wir keine Angst zu haben brauchen, die wir die Zeichen der Zeit verstehen, daß wir in der heutigen Welt nicht die Schwächeren sind, zeigt Marley am Beispiel der eigenen Person, des Rastas aus Jamaika: „Mss. Hand Was Made Strong/ By The Hand Of The Almighty/We Forward In This Generation Triumphantly/All I Ever Had Is Songs Of Freedom“. Schließlich der Refrain, die Blume, die in die Gewehrmündung gesteckt wird: „Won’t You Help To Sing These Songs Of Freedom/Cause All I Ever Had, Redemption Songs, Redemption Songs“.
Irgendwie erinnert mich der „Redemption Song“ an „We Shall Overcome“, auch wenn es sich hier nicht um eine Alternativ-Hymne, sondern um das Bekenntnis, den Aufruf, das Gedicht, das Gebet eines Einzelnen handelt. Marley, früher Stimme Jamaikas, dann der Dritten Welt, ist jetzt jemand, der direkt zu uns und für uns hier in den von Untergangsahnungen erfaßten Ländern der westlichen Welt spricht. Seine neue Platte wird in voller Länge von dieser Richtschnur durchzogen, und auch seine Auftritte, bei denen er auf Rockstar-Gehabe total verzichtet, sprechen diese Sprache. Erst wenn Marley die Bühne verlassen hat, reißt Gitarrist Junio Marvin das Mikrophon an sich, brüllt „Bob Marley“ hinein und animiert zu Beifallsstürmen, ganz so wie man es aus zweieinhalb Jahrzehnten Rockgeschichte gewohnt ist. Nötig hat Marley das nicht, aber vermutlich müssen die beiden Gitarristen der Wailers – neben Marvin ist das noch Porschefahrer AI Anderson – auch mal Auslauf haben. Die Band mit den vertrauten Namen – Aston Barrett (Baß), Carlton Barrett (Drums), Tyrone Downie (Keyboards) und Seeco Patterson (Percussion) – hat auf jeden Fall an Reife und Virtuosität noch zugelegt, und die Spannung, die zwischen Gitarristen herrscht, ist sicherlich eine Ursache für die Popularität dieser Reggae-Band in unseren Breiten.
Babylon By Bus 1980: Die Wailers haben in Zimbabwe am Tag der Unabhängigkeit gespielt, und weil es in Zimbabwe kein Rockbusiness gibt, hat Bob Marley den Flug von Jamaika nach Afrika, den Transport des Equipments und die Kosten für den Aufenthalt vor Ort aus eigener Tasche bezahlt. Er hat den Tod seines engen Freundes Jacob Miller überstanden und berichtet gefaßt darüber, wenn man ihn im Interview darauf anspricht. Er ist jetzt in Europa unterwegs, und dies ist die längste Tour, die er hier jemals unternommen hat (der Startschuß fiel übrigens bei einem denkwürdigen Konzert in Zürich am 30. Mai). Er hat eine klare Botschaft für die Menschen in den europäischen Ländern, und er findet speziell in Deutschland ungemein viel Anklang und zieht durch ausverkaufte Hallen. Selbstverständlich kann man alles für den normalen Zeitvertreib eines erfolgreichen Rockstars halten. Aber man kann auch zwei Textzeilen der LP UPRISING als Maßstab für das Phänomen Bob Marley heranziehen: „Some Say it’s Just A Part Of It/We’ve Got To Fulfill The Book.“