Randale auf Knopfdruck


Der Hit "„Blue Monday" ging am Anfang komplett nach hinten los

Der Beat zu dem Song, der im Frühjahr 1983 den Durchbruch von New Order markieren sollte, entstand durch ein Mißverständnis. Stephen Morris saß vor seinem neuen Drumcomputer und begriff nicht, was Bernard Sumner da von ihm wollte. Nach dem dritten Erklärungsversuch gab Sumner auf: „Mach es so, wie du meinst. Dos ist okay.“ Dass ausgerechnet dieser faule Kompromiss der Song werden würde, der mit über drei Millionen verkauften Exemplaren und über 20 Auflagen als meistverkaufte 12-lnch in die Geschichte eingehen würde, hatte wohl niemand gedacht. Denn musikalisch war „Blue Monday“ das glatte Gegenteil von dem, was die Fans erwarten durften: eine Tanznummer ohne nennenswerten Inhalt. Zwar gibt es bis heute Interpretationsversuche Ian Curtis‘ Selbstmordtag: ein Montag etc., doch hört man auf Sumner, verblassen solche Geschichten schnell. Der Sänger wird nicht müde zu betonen, dass der Song, den er im Übrigen aus tiefstem Herzen hasse, von „nought“, also nichts handele und als zufällig gelungenes technisches Experiment verstanden werden müsse.

Dennoch vereinte dieses Experiment Millionen Menschen und war die erste englische Single, die es bis in die New Yorker Clubs schaffte. Die Verkäufe stiegen astronomisch, obwohl es nicht einfach war, die Maxi überhaupt zu finden. Das einer Floppy-Disk nachempfundene Coverartwork verrät nicht einmal Bandnamen und Titel: die verstecken sich nur in einem Farbencode am Rand des Covers (er steht für: „FAC 73 BLUE MONDAY AND THE BEACH NEW ORDER“]. Bedenkt man, dass die Intention hinter „Blue Monday“ war, ein Stück zu schreiben, das sich live selbst spielt, erschließt sich die annonyme Verpackung umso besser.

Fakt ist, dass die Band durch reines Herumexperimentieren neue Maßstäbe für die Popmusik gesetzt hatte. Donna Summer, Afrika Bambaataa und Kraftwerk standen Pate für den Sound, der Brücken zwischen Danceund Independent-Pop-Fans schlagen sollte. Vor allem die Düsseldorfer zeigten sich beeindruckt und unternahmen einen Betriebsausflug zum Britannia Row Studio, um sich inspirieren zu lassen. Doch was sie fanden, waren nur ein altes Mischpult und in einem undurchsichtigen Kabelgewirr verbundene Sequenzer, Synthesizer und Drumcomputer. Kopfschüttelnd reisten die Popmathematiker wieder ab. Weitaus weniger gefasst reagierte das Publikum, das zuerst in den Genuß einer „Blue Monday“-Zugabe auf Knopfdruck kam. Während nach einem Gig in Boston die Maschinen vor sich hindudelten und die Band sich bereits backstage vergnügte, stürmte ein Ordner herein, um sie vor dem randalierenden Publikum zu schützen. „Sie jagten uns schließlich die Straße hinunter“, erinnert sich Sumner.

So war „Blue Monday“ vor allem eines: eine Gratwanderung. Die Produktion des Erstauflagen-Covers war so teuer, dass Factory fast nichts verdiente. Erst die preisgünstigeren Nachpressungen erzielten größeren Gewinn. Und auch an Remixen und nicht zuletzt mit den Tantiemen unzähliger Coverversionen – „Blue Monday“ tauchte vor allem in den ooern in immer unsäglicheren Versionen auf Trance-Samplern auf – wurde verdient. So kann Peter Hook heute auch zuzugeben, dass der Song ihm zwar auf den Geist gehe, aber zumindest live eine Menge Spaß macht. Auch wenn der ursprüngliche Plan nach Boston wieder fallen gelassen wurde. Sumner: „Wir begannen dann eben doch, Zugaben zu spielen.“