Rammstein, Hamburg, Große Freiheit 36
AM ANFANG WAR DAS FEUER – und erst, als unsere frühesten Vorfahren die wärmende Flamme aus eigener Kraft entzünden konnten, war der entscheidende Schritt zur Menschwerdung getan. Zuweilen erinnert sich der Homo sapiens noch heute gern an jene Zeiten zurück. Meistens im Krieg, manchmal aber auch auf einer Rockbühne. Wo die Teutonen von Rammstein ihre Jünger zur dunklen Messe rufen, fallen diese beiden Schauplätze zusammen. Und ein bißchen stinkt’s sogar nach der Hölle. Wer sich in Hamburgs Großer Freiheit 36 mutig der Pyrotechnik und den dichten Nebelschwaden nähert,sieht passionierten Berserkern und ihrem als germanisches Standbild posierenden Anführer Till Lindemann ins furchtlose Antlitz. Nicht nur sensible Mitmenschen bekommen eine leise Ahnung vom jüngsten Gericht. Errungenschaften der zeitgenössischen Musikkultur, etwa banale Tonleitern, zählen keinen Pfifferling. Der monumentale Beat dröhnt zäh oder hastig aus den Boxen, weitere Varianten braucht es nicht. Und Lindemann? Ja, Lindemann will alles, nur kein Sänger sein. Statt dessen brüllt er derbe Verse wie ein waidwundes Tier aus sich heraus.“Laß‘ mich dein Bestrafer seinl“Seit die Band sich mit ihrem Album „Herzeleid“ in den Höhen der bundesdeutschen Charts tummelt, wischen die Krieger aus dem Osten der Republik alle Vorwürfe, eine rechtslastige Klientel mit dem Soundtrack fürs Kampfgeheul zu beliefern, noch etwas lässiger vom Stammtisch als zuvor. Daß an diesem Abend kurzgeschorene Stiefelträger tatsächlich und deutlich in der Minderheit sind, ist wohl eher als typisches Merkmal der Hamburger Szene zu deuten. Dabei beackert Till Lindemann das Schlachtfeld nach Leibeskräften und mit schaurigem Erfolg.“Anzünden, abfackeln“, tönt es aggressiv aus den berauschten Kehlen wie einst vor den Rostocker Plattenbauten. Der Held gibt dem Volk Brot und Spiele und setzt den muskulösen Körper in Brand. Widerwärtig oder nur erschreckend banal? Jedenfalls zeigt der Zirkus Wirkung: Das Haus tobt und tanzt auf einem Crossover-Vulkan aus Techno, Metal und martialischen Ritualen. Gierige Gesichter wollen mehr, rufen nach weiteren Opfern. Vor bald 30 Jahren war der Mensch zum ersten Mal auf dem Mond. Na und.jetzt steht er wieder mit einem Fuß im Neandertal. Hoffentlich kommt dabei niemand auf die Idee, ein bißchen weiter zu zündeln. Nur aus Spaß, versteht sich.