Rakete explodiert
Er hat Nina Hagen und Spliff großgemacht, Nena und Maurenbrecher. Jahrelang galt Jim Rakete als Top-Manager der deutschen Pop-Unternehmer: Seine Fotos waren die besten, seine Ideen die ausgefallensten. Trotzdem hat er zugesperrt, seit Sylvester ist die berühmte Fabrik Rakete in Berlin stillgelegt. Jim Rakete will nicht mehr — und sagt Freunden und Kollegen zum Abschied deutlich die Meinung!
DER MUSIK-MANAGER MACHT SCHLUSS
Da sitzt er, in der einen Hand die obligatorische Pfeife, in der anderen Hand die neueste Nena-LP EISBRECHER, und attestiert ihr „aufgrund der widrigen Umstände, unter denen die Nenas arbeiten mußten, hervorragende Qualität.“
Nur das Foto auf dem Frontcover findet er beschissen. Es ist von ihm, aber er wollte es nicht auf dem Cover, konnte es jedoch nicht mehr verhindern. Denn….. „Es ist ja nicht mehr meine Band.“
Wie er das sagt, klingt das keineswegs resignativ, ja eher erleichtert. Vor einem halben Jahr hat sich Jim Rakete, der erfolgreichste Manager der Neuen Deutschen Welle und deren Nachwehen, von seinen musikalischen Früchtchen getrennt.
Die Abnabelung jedoch begann schon vorher, während der miserabel verlaufenden Nena-Tournee. als er nach dem zweiten Konzert den Job als Geschäftsführer hinschmiß.
„Wir haben uns über die Größe der Hallen und den Bühnenaufwand gestritten. Die Nenas waren im Begriff, Fehler zu machen. Was ich gesagt habe, ist in den Wind geschlagen worden. .Hippie-Scheiße‘ haben sie gesagt. „Ok, dann bleibe ich eben Hippie“, hab ich geantwortet, „und ihr werdet Yuppies, und genau hier trennen sich unsere Wege.“
Danach agierte man nicht mehr als eine Partei, sondern allenfalls als Koalition. „Anfang ’86 haben wir dann den Rest vollzogen, nachdem Reinhold Heil auch nicht mehr die neue Platte produzieren konnte.“ Der Trennungsstrich verlief überraschend sauber, obwohl alle Beteiligten erst einmal ziemlich schlucken mußten.
Vor einigen Wochen nun machte Jim Rakete sein Büro endgültig dicht. Aber nicht wegen der Nenas.
„Nach zehn Jahren „Fabrik Rakete“ habe ich einfach keine Lust mehr, den Job als Sachverwalter des Erfolges hinter dem Schreibtisch weiterzuführen.
Ich habe da ein paar Geister gerufen, die ich nicht mehr los wurde. Ich habe Begriffe wie Professionalität eingeführt oder hochgehalten, die jetzt auf böse An zurückgeschlagen sind. Aus dem Forum Fabrik Rakete ist eine Werbeagentur und Aktionärsfirma geworden. Je professioneller das wurde, desto unpersönlicher ist das auch geworden. Das war schon lange nicht mehr der Hippie-Laden mit der Rumpel-Promotion. Ich habe zuletzt jeden Tag vier Stunden nur für das Büro an sich und nicht für die Aufgaben gearbeitet.
Ich werde aber doch nicht dafür bezahlt, daß ich ein Büro besitze, sondern dafür, daß ich die richtigen Entscheidungen treffe! Die Aufbauarbeit bei der Nina Hagen Band, bei Spliff, bei Nena, die hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich plane wirklich gerne kleine musikalische Bankeinbrüche, verspüre aber keine Lust, anschließend die Banderolen zuzählen.“
Der endlose Papierkrieg, die Kontenführung seiner Künstler, die Umbuchungen der Fluge — all das mag den rastlosen Rakete sicherlich nicht ausgefüllt haben, doch ist der Grund seines finalen Entschlusses vor allen Dingen ein anderer: Er ist in der jüngsten Vergangenheit von seinen Lieblingen, den Spliffern, enttäuscht worden. Die haben ihn regelrecht im Büro hängen lassen. Potsch lebte in Spanien, Mitteregger krabbelte durch seine Solo-Tour, Reinhold Heil produzierte seine Gattin Cosa Rosa und Manne Praeker die Ärzte.
„Die Musiker sind alle ganz cool geworden. Dabei waren die Spliffer mal Leute, mit denen hätte ich sogar ’ne Schneebeseiligungsfirma aufgemacht, so gut fand ich die. Und dann hatten wir nach dieser Nena-Tournee die große Krise — und ich habe alle meine Musiker ins Interconti an einen Tisch gebracht. Und plötzlich lagen alle Konflikte auf dem Tisch, man konnte endlich mal über alles reden. Die Sitzung hatte viele Folgen, nur die eine nicht, daß man sich öfters trifft. Und nachdem ich die Spliffer fast zwei Jahre lang nicht an einen Tisch kriegen konnte, hatte ich die Schnauze endgültig voll. Zumal bei uns im Büro auch im Zusammenhang mit der personellen Reduzierung durch den Nena-Abgang immer mehr Unbehagen entstand. Wir hatten alle Hände zu tun, wußten aber nicht, warum wir überhaupt im Büro saßen.“
Die Identitätskrise führte jedoch nicht zur Kapitulation, wie Rakete immer wieder betont, sondern zum Befreiungsschlag. „Alle meine Musiker machen Soloprojekte — und nun arbeite ich eben auch als Solokünstler.“
Mit Jim Rakete tritt der letzte der Mohikaner ab, die ihren Job noch mit Herzblut versahen, die sich mit den Bands, die sie managten, total identifizieren konnten (wie auch Conny Konzack mit seiner Band Ideal und der hagere Hagener Jörg Hoppe mit Extrabreit).
Rakete, der nach einem Auftritt in einer Eisenbahnerkneipe die Drum-Sticks aus der Hand legte, “ weil die Droge, Musiker zu sein, fiir mich zu stark war“, der wußte, daß er als Rock ’n‘ Roller kaputt gegangen wäre, „weil ich, wie alle, Liebe mit Anerkennung verwechselt hätte“, eben dieser Rakete hat sich immer als Familienmitglied bei seinen Bands gefühlt.
Das klappte bei den Spliffern, als er in der Funktion des großen Bruders zusammen mit den anderen aus einem Haufen Elend eine flotte Truppe zimmerte und das deutsche Musikgeschehen durcheinanderwirbelte.
Was aber bei den Muckern aus Kreuzberg so gut lief, ging bei den Kindern aus Hagen schief. Hier stimmte die Chemie nicht mehr, bei den Nenas lief er mit seinen Ansprüchen auf demokratische Entscheidungsfindung ins Leere der Naivität einer Susanne Kerner und ihren Jungs.
„Bei den Spliffern war ich eine unromantische, doch lustbetonte und reflektierte Umgangsform gewohnt;
die einzelnen Mitglieder haben ulle ihr gerüttelt Maß an Verantwortung mitgetragen. Eine Sitzung war auch gleichzeitig eine Enischeidiingsfindung.
Dieses Modell funktionierte im Rückenwind des ersten Erfolges bei den Nenas nicht mehr. Die Nenas haben sich zu sehr für die unwichtigen Dinge interessiert, bei Sitzungen gelungweilt in der „Bntw“ geblättert, über Mercedes-Aktien diskutiert und sich mehr um das Outfit als um den Inhalt gekümmert.
In solchen Sitzungen sind dann zum Beispiel falsche Entscheidungen beim Mechandising getroffen worden, weil die Leute nicht aufmerksam genug waren. Ich hätte viel eher gelbe und rote Karten verteilen müssen. Mein Fehler im Management bestand darin, daß ich zuwenig autoritär gehandelt habe.
Ich hätte die Nenas aber auch schlecht, wie Herr Tiriac seinen Boris, auf Trainingsrunden schicken können, in der Hoffnung, daß sich der Aufschlag verbessert. Diese zu laxe Umgangsform war der Preis, den ich zu zahlen bereit war, denn ich habe diese autoritäre Kacke immer schon gehaßt.“
Seine Mitarbeiter im Büro auch. Doch hier fungierte der Demokrat als Bürovorsteher und ließ den Mitarbeitern in seiner harschen Überkreativität kaum Platz für eigene Ideen. Er hat den anderen nicht das zugetraut, was er sich dann letztlich selber zumuten mußte.
„Ich bin ungeduldig bis hin zur Ungerechtigkeit. Ich habe es aber auch nicht geschafft, Leute zu finden, die mit meinen Ansprüchen mitgewachsen wären. Ich hätte auch einen Vize, einen Kontrapunkt akzeptiert, denn ich bin kritikfähiger, als viele denken. Man wird in dieser Branche ganz schnell falsch eingeschätzt. Viele Leute meinen auch, ich sei ein eiskaltes Arschloch. Das mag ja auch oberflächlich so scheinen, denn in diesem Job kann man nicht gleichzeitig gut und ein netter Kerl sein, man hat für Freundlichkeiten und intensive Beziehungen keine Zeil.“
Wenn Jim Rakete auf die zehn Jahre seines Schaffens in der Musikbranche zurückblickt, empfindet er sie trotz einiger unerfreulicher und negativer Begleiterscheinungen als eine wirklich tolle Zeit mit wirklich tollen Menschen.
„Ich habe eine sehr gute Seite dieser Musikergeschichte mitgekriegt. Ich habe mich nie für die tumbe Rock & Roll-Story — Sex & Drugs & Money — interessiert. Musiker sind trotzdem immer noch die faszinierendsten Wesen. Sie besitzen eine ungeheure Kraft und Sensibilität und — mal abgesehen von der Intelligenz — auch einen starken Charakter, und wenn es ein schlechter ist. Wenn ich mit diesen Leuten etwas auf die Beine gestellt habe, was vorher keiner für möglich gehalten hat, dann waren das für mich die größten Glücksmomente.
Mit vielen dieser neuen Bands kann man so etwas nicht erleben, weil sie sich den Groove nicht aus dem Bauch, sondern aus dem Computer holen. Wohlgemerkt, ich bin kein Purist! Auch über einen Emulator kann sich eine Persönlichkeit ausdrücken. „
Wenn Jim von Musikern schwärmt, dann meint er natürlich auch seine Nena. die für ihn auch jetzt noch über die gewisse Magie verfügt und mit ihrer Lust immer noch Leute anstecken kann. „So was wie Nena kann man nicht abmelden wie ein altes Auto; ich verstehe mich mit ihr nach der Trennung wieder viel besser, weil sie meine Kritik ernstnimmt. „
Obwohl ihn das zur Zeit nicht reizt, könnte sich Jim so etwas durchaus noch einmal vorstellen.
„Die Geschichte mit Nena oder auch die mit Spliff, das waren tolle Sachen; da waren die richtigen Leute zur richtigen Zeit aneinandergeraten, ready for it. Das hat gesessen und gepaßt, obwohl wir anfangs auch nur Scheiße gemacht haben, also nichts Außergewöhnliches produzieren konnten.“
Ansonsten hat sich Jim gut im Business zurechtgefunden, ja größtenteils geradezu richtig wohl gefühlt. „Ich mußte nie mit einem Fernsehredakteur, den ich nicht mochte, Tennis spielen oder mit einem unsympathischen Plattenmenschen essen gehen. Ich habe meine Zeit mit guten Leuten verbracht. „
Besonders mit den Leuten von CBS und dem damaligen A&R Manager und heutigen Geschäftsführer Jochen Leuschner: an den erinnert sich Jim mit einer Träne im Auge:
„Wenn der in den Proberaum gekommen ist, wurde erst mal an Potschs Pfeife gezogen, dann hat Jochen sich eine Gitarre geschnappt — und dann war da ’ne Basis, da war das richtige Level vorhanden.
Viele Leute wundern sich ja, warum der Leuschner so eine wahnsinnige Karriere gemacht hat. Aber es gibt keine personellen Alternativen, er ist der beste Geschäftsführer, den Deutschland hat. Er ist ehrgeizig, integer, intelligent und schöpft im Gegensatz zu mir seine Energie und Fähigkeiten aus seinem ausgeprägten Selbstbewußtsein.
Im übrigen ist er ein hervorragender Sänger; mit dem würde ich noch ’ne Platte machen. Bei der CBS arbeiten, auch wenn das A&R Management etwas einseitig orientiert ist, noch sehr viele Rock- ’n Roller, die provokanter denken und beweglicher sind als viele ihrer Künstler. „
Jims gute Erfahrungen mit CBS mögen ein Grund dafür sein, warum er so positiv über die Branche denkt und den „erfolgsgeilen Musikern“ einen Teil der Schuld zuschiebt, wenn es um Vertrags-Linkereien ging.
„Die Musiker sind blöd genug, wenn sie der Branche in den Arsch kriechen. Meine haben das nie nötig gehabt. Jeder hat doch irgendwo einen Onkel, der ihm die Verträge durchleuchten kann. Einen Großteil meiner Bürotätigkeit habe ich auch damit verbracht, externen Bands immer wieder Vergleichsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Aber ich halte von Vertragen sowieso nix. Die besten sind die, die man nie abschließt, bei denen man per Überzeugung für etwas eintritt, und nicht per Unterschrift. „
Das klingt edel. Gleichwohl fühlte sich Rakete während der Nena-Tour auch mal von einem Veranstalter gelinkt; mündliche Absprachen wurden nicht eingehalten, weil es keine schriftlichen Verträge gab. „Ich bin mit diesen Sachen zu lax umgegangen, aber per Saldo bin ich damit besser gefahren als die Leute, die von Kleingedrucktem leben.
Vielleicht liegt das an meinem Image, daß mit mir nicht gut Kirschen essen ist. Wenn ich gelinkt worden bin, hab ich zurückgeschlagen –— aber auf jene Art, wie es keiner erwartet hat.
Ich glaube nicht an die stufenweise Eskalation. Ich habe entweder gar nicht oder doppelt zurückgeschlagen. Leute, die mich gelinkt haben, sind in der Branche nicht mehr viel geworden. Ich habe sicherlich keinen Dreck am Stecken, aber auf jeden Fall Blut am Stiefel. „
Jim nennt natürlich keine Namen, dazu ist er zu sehr Diplomat, trotz Stiefel. Aber man weiß etwa, daß der Jähzornige, weil er während der“.Band für Afrika“-Geschichte von einem Redakteur mit dem Federhalter unter der Gürtellinie getroffen wurde, die befreundeten Schallplattenfinnen zum Anzeigenboykott der betreffenden Musikzeitschrift aufgerufen hat. Auge um Auge. Zahn um Zahn — sprach der blinde Gebißträger.
Jim hat sich ob dieser Eskalation keine grauen Haare wachsen lassen. Auch fühlte er sich nie gezwungen, trotz erfolgloser Bands wie lnterzone und Maurenbrecher, zu den Mitteln der Bestechung, der sogenannten Pavola zu greifen.
„l’ayola ist hier in Deutschland unrentabel und bleibt eine stumpfe Waffe. Gut, ich kenne eine Firma, die einen Act, der auf der Kippe stand, von den eigenen Leuten aus den Plattenläden abkaufen ließ, aber das bringt doch nichts!
Es reicht auch nicht, einen Fernsehredakteur zu bestechen, denn erstens braucht man meist viele Sendungen, um einen Act hochzubringen — und zweitens schneidet sich der Redakteur ins eigene Fleisch, wenn er in seiner Sendung Scheiße vorstellt. Die Leute in Deutschland kann man nur durch einen guten Geschmack beeinflussen.
Von dem ist der Dinosaurier zur Zeit aber nicht unbedingt überzeugt.
„Mir ist ein konsequenter Dieter Bohlen, der schon vor zehn Jahren dieselben Songs vorgestellt hat und an das glaubt, was er macht, tausendmal lieber als die blöden Bands, die irgendwelchen Trends hinterherproduzieren.
Mir gefällt auch die Einstellung nicht, die viele Gruppen heute an den Tag legen. Ich kann es nicht vertragen, wenn Leute mit einem , Wohnzimmer Productions-proudly presents‘-Tape zu mir kommen und erst dünn eine Band zusammenstellen wollen, wenn ich die Produktion in die Charts gehievt habe. Das ist für mich nicht der Erfolg, den ich brauche. Da spannt man den Karren auch vor das Pferd, das hat mich noch nie am Rock n Roll fasziniert. Für mich bleibt eine Schallplatte eine Scheibe der Persönlichkeit des Künstlers, die ich kaufe, weil ich den Künstler nicht oft genug sehen kann. Der größte Moment jedoch ist immer noch der, wenn der Musiker auf der Bühne etwas herausbringt — und 20-X) Leute drehen durch. „
Hört sich so richtig altmodisch an und riecht nach Ochsentour. Bloß wer hat da noch Lust dazu?
Jim Rakete.
„Wenn mir jemand ein Angebot macht, das ’ne richtige Herausforderung ist, dann nehme ich die bestimmt an. „
Damit meint er sicherlich keinen Posten als A&R Manager bei CBS oder als Foto-Redakteur beim Stern. Bevor er aber wieder einen außergewöhnlichen Job antritt, will er sich für kurze Zeit erholen und dann wieder loslegen.
„Die Musiker sind alle versorgt und in hervorragenden Management-Händen, die Mitarbeiter im Büro sind auch untergebracht. Ich werde im Frühjahr, nicht mehr unter dem Namen „Fabrik Rakete“, die eine oder andere Aktion starten, meine beiden Fotobände veröffentlichen, zwischen zwei Telefonanrufbeantwortern arbeiten und ansonsten nicht über ungelegte Eier sprechen.“