Räucherstäbchen und Röhrenverstärker: Lenny Kravitz zelebriert den Sound der Sixties
KÖLN. Nein, er hat ihn nicht an, diesen ultra-hippen feuerroten Hosenanzug aus dem „Are You Gonna Go My Way“-Video. Stattdessen Schlaghose, offene Lederweste und einen Flower-Power-Schlapphut, der zusammen mit den Dreadlocks Lennys Gesicht nur erahnen läßt. Kravitz schlurft zum Mikro, und das Gekreische in der randvollen Kölner Sporthalle ist für einen kurzen Moment lauter als das Brummen der gewaltigen Marshall-Türme, die die Bühne wie eine Mauer nach hinten abschließen und sich anhören wie ein angeketteter Tyrannosaurus Rex.
Dann ist dieser Moment vorüber, und der Dinosaurier röhrt und reißt sich los. Kravitz und Gitarrist Craig Ross lassen die Gibsons aufheulen, und die ersten Akkorde lösen sich wie archaisch aufgestaute Wut aus den wattstarken Röhrenverstärkern. Die Halle kocht. „Are You Gonna Go My Way?“ Überflüssige Frage!
Und dann: Totenstille. Lenny zieht den Hut aus und streichelt die Akustische. Spielt ein endloses, verträumtes Räucherstäbchen-Intro zu „Fields Of Joy“. Erst nach Minuten setzt die Band ein, wühlt sich langsam nach vorne. Das Zwerchfell vibriert wohlig. Die Nase atmet Schweiß, Patchouli und Dope. Und hinter dem satten Sound der Sixties lauert die Gitarre wie ein wildes Tier, von dem man weiß, daß es sich nach dem zweiten Refrain losreißen wird.
Diese unberechenbare Berechenbarkeit — das ist wahrscheinlich das erstaunlichste an diesem erstaunlichen Abend. Man weiß, was kommt — und ist trotzdem überrascht. Gut zwei Stunden lang spielt Lenny mit den Emotionen, wechselt abrupt von laut nach leise und von zärtlich zu brutal, vom Beinahe-Jazz zur klar arrangierten, simplen Folk-Struktur. Es gibt Momente, in denen man glaubt, nichts und niemand könnte den Gitarristen bei seinem himmelhochjauchzenden Solo stoppen, den Bassisten auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Momente, in denen sich die Songs selbständig machen und ein eigenes Leben führen — bis Kravitz sie wie ein Magier mit einem kaum spürbaren Dreadlock-Schütteln wieder zu seinen Geschöpfen macht.
Amerikas Vorzeige-Neo-Hippie hat seine Band um Background-Sängerinnen und Bläsersatz aufgemotzt. Ziemlich unnötig — man hört kaum was von ihnen und will das eigentlich auch gar nicht. Das Geschehen spielt sich optisch wie akustisch ohnehin vorne auf der Bühne ab, wo sich die Gitarren duellieren und der Bass dazwischenfunkt. In solchen Momenten hält sich Kravitz kollegial zurück und wird ganz zum Teil seiner Band — auch das macht ihn und seine Show sympathisch. Und am Ende bezeugt nur die immens hohe Ohnmachtsrate, daß alle nur wegen ihm gekommen sind …