Radiohead in Berlin – fast schon zu gut für ein Konzert
Radiohead spielten am 29. und 30. September 2012 in der Berliner Wuhlheide. Unsere Fotogalerie und unser Nachbericht von Oliver Götz
Ein Open-Air Ende September, wer denkt sich denn so etwas aus? Nun, Die Umstände waren ja bekannt: Nach dem Unglück in Toronto, bei dem ein Crew-Mitglied von Radiohead getötet wurde, waren unter anderem auch die beiden Konzerte im Berliner Freizeit- und Erholungspark Wuhlheide, die zuerst im Juli stattfinden sollten, verschoben worden. Aber natürlich machen auch die verständlichsten Umstände einen schnell ins Einstellige abknickenden Abend im Altweibersommer, der der Stadt tagsüber noch bis an die 20 Grad gebracht hatte, nicht wärmer. Jaja, natürlich die Musik, zuvorderst Thom Yorke, wenn er am Klavier sitzt und Balladen wie den bis heute unfassbaren „Pyramid Song“ intoniert (die sich dann aber ja eben doch zumeist in Dramaturgien ambivalenterer Bauart auswachsen), die wärmt die Herzen. Und zu „Idioteque“, dem anerkannten Beat-wenn-nicht-sogar-Dance-Stück (von „Kid A“), kann man tanzen, das wärmt auch. Und es tanzen am Ende im ausverkauften Rund, über dem inzwischen klar und kalt die Sterne blitzen, auch viele Menschen, die sich sonst offensichtlich nicht öffentlich rhythmisch zu bewegen pflegen.
Doch alles von Anfang an: Von der Verlegung des Konzerts profitieren zuerst einmal Daniel Snaiths Bandprojekt Caribou, das seine pumpende, fließende Musik in die bereits hereingebrochene Dunkelheit tauchen darf. Die erhöht nicht nur die Strahlkraft der Lightshow. Caribou profitieren außerdem von einem derart klar definierten, vom Bass regierten, aber nie dominierten Sound, der schließlich den ganzen Abend über so bleiben wird – fast schon zu gut für ein Livekonzert.
In der Umbaupause darf man sich noch einmal näher mit dem Bühnenaufbau beschäftigen: Über den großzügig über die ganze Fläche verteilten Podesten mit dem für üblich ausgedehnten Instrumentarium experimentierfreudiger Kapellen hängen 18 Projektions-Quadrate in drei Reihen übereinander – schief und krumm, als wäre der kurze Spätsommersturm von vor zwei Stunden in diese Petersburger Hängung geraten. Wenn das Licht im Rund gleich ausgeht und das ganze wilde Licht auf der Bühne an, spielen diese Quadrate wie auch die ganze Farben und abstrakte Formen speiende Kulisse eine wichtige Rolle. Sie haben einen Auftritt zu illuminieren und illustrieren, den Radiohead selbst vor einem Festival-großen Auditorium wie diesem hier ganz bewusst nicht als Greatest-Hits-Show inszenieren – eher als das glatte Gegenteil. Auf der Setlist haben Stücke der letzten beiden Alben, „In Rainbows“ und „King Of Limbs“, das Übergewicht, neben Songs wie „The Daily Mail“ oder „Supercollider“, die irgendwann in der Zwischenzeit veröffentlicht wurden. Und eben auch darunter: kein Hit, keine Hook, sondern noch ein paar Teilchen mehr, aus das sich jeder seinen eigenen Radiohead zusammenpuzzlen darf.
Die Projektions-Quadrate zeugen aus Perspektiven, die nicht den Popstars schmeicheln möchten, sondern aus Details des konzentrierten Musizierens ihre Spannung beziehen, vom Machen und Werden der Musik – und das ist eindrucksvoller und magischer, als es jede Pose des rauf und runter deklinierten Ikonen-Kanons des Pop sein könnte. Sie zeigen wackelnde Köpfe, Strähnen, Yorkes zappelnden Zopf, Blicke ins Irgendwo, Konzentration in allen Gesichtern, wirbelnde Sticks (gleich auf zwei Schlagzeugen), Hände, Tasten, Saiten, einen sehr großen Fuß auf einem sehr großen Effektgerät. TV-Studiobesuche von 70s-Krautrock-Größen wurden damals so abgefilmt und inszeniert, die Verfremdungen, Störungen und Einfärbungen des Gezeigten inklusive. Diese Bilder fesseln das ohnehin sehr dankbare, wie gegen die Kälte immer enthusiastischer werdende Publikum in der Wuhlheide auch an jene Stücke Radioheads, die immer noch ein wenig nach Werden, nach Suchen und Forschen klingen. Man begreift schließlich, was für ein Glücksfall diese Band gerade deswegen ist: Sie muss sich heute nicht mehr und auch nicht wieder (wie viele andere ins Stocken geratene Mehr-oder-weniger-Supergroups) damit beschäftigen, wie sie zu einem Meisterwerk wie „OK Computer“ kommen konnte. Und sie weiß auch, dass sie das experimentelle Wagnis von „Kid A“ kein zweites Mal eingehen kann. Du kannst keine Erfahrung und auch kein Gefühl wiederholen. Deshalb fährt diese Band weiter und fort.
Wenn dann aber doch „Paranoid Android“ erklingt, so dermaßen zärtlich und zerbrechlich intoniert und umso harscher dort, wo es wehtun soll, ist der Jubel natürlich am größten. Und wenn das ambiente „Everything In Its Right Place“ in „Idioteque“ hinüber gleitet, obwohl die Band die Bühne schon verlassen hat, haut es einem auch einfach mal den Schalter raus. Was es bei Thom Yorke, dem kleinen, drahtigen Derwisch, wie er gerade den 90s-“Pop“-Bono und Jim Morrison gleichzeitig in den Boden tanzt, wohl schon vor ein paar Minuten getan hat. Oder vielleicht auch schon vor 20, 30 Jahren.