Queer Anthems


Einmal New-York-Disco bis in die Eisdiele des „Berghains“ und zurück: Was wäre Pop-Musik ohne Federboa, Lederhose und Nasenpuder? Nichts! Ebenso wenig wäre sie ohne diese großartigen Künstler, die mit ihren Stücken die sexuelle Befreiung unter der Discokugel ins 21. Jahrhundert getragen haben. Deshalb: We e Queer Music!

Lesley Gore – You Don’t Own Me (Mercury, 1963)

Der prototypische Selbstbestimmungssong. Lesley Gore sah ihn eher als geschlechtslose „humanist anthem“, doch dass die Feministinnen und die Gay-Rights-Bewegung den Song später für sich einspann-ten, hat ihr sehr gut gefallen.

Nina Simone – See-Line Woman (Philips, 1964)

Eine schöne, stolze, schwarze Frau in teuren Kleidern, die den Männern das Geld aus der Tasche zieht und ihre Herzen bricht, und trotzdem bewundert wird. Drag Queens aus armen Verhältnissen erkoren diesen bis heute zu ihrem theme song.

The Carpenters – Let Me Be The One (A&M, 1971)

Die Geschwister Carpenter waren eher asexuell, aber die Campness ihrer Musik und die tragischen Komponenten ihres Lebens waren nicht nur in Todd Haynes‘ legendärem Barbiepuppentrickfilm „Superstar“ höchst ikonentauglich.

David Bowie – John, I’m Only Dancing (RCA, 1972)

Egal, ob der Tänzer des Songs seinen Freund beschwichtigt, oder den Freund seiner Mittänzerin, Bowie ließ sich sein gender bending nicht nehmen.

Lou Reed – Walk On The Wild Side (RCA, 1972)

Der Song für alle unverstandenen Außenseiter, die ihr bisheriges Leben verabschieden und in der Großstadt angespült werden. Der Glam, den sie dort finden, ist selten der eingeplante, aber es ist immer noch Glam.

Jobriath – I’maman (Elektra, 1973)

Mit vereinten Kräften versuchte man aus Jobriath den alles überstrahlenden Megastar des Glamrock zu machen, und es wurde ein fürchterliches Fiasko. Er starb früh und vereinsamt an AIDS, und erst eine von Morrissey lancierte Retrospektive konnte später beweisen, dass er überhaupt je existiert hatte.

The Elton John Band – Philadelphia Freedom (MCA, 1975)

Zum Erscheinungsdatum der Single versteckte sich Sir Elton noch im Schrank, aber diese Hymne an die lesbische Tennislegende Billie Jean King und den Sound der City of brotherly Love (Philadelphia) zeigte schon, dass er auf einem guten Weg war.

South Shore Commission – Free Man (Wand, 1975)

Eigentlich ein Mann-Frau-Duett, aber der geschlechtlich nicht eindeutig zuzuordnende Gesang und markige Textzeilen wie „I’m a free man and talking ‚bout it“ und „Freedom is the key to loving me“ führten schleunigst zur Rekontextualisierung.

Grace Jones – I Need A Man (Beam Junction, 1975)

Die sexuellen Bedürfnissen der Discodiva unterschätzte ganz bestimmt niemand. So fordernd, dass immer noch genug Identifikationspotential für andere Suchende übrig blieb, die nur über einen Bruchteil ihres Selbstbewusstseins verfügten.

Candi Staton – Young Hearts Run Free (Warner Bros. Inc, 1976)

Wer jung ist, soll seine Jugend genießen und selbst bestimmen, wohin er seine Liebe wirft. Der traurige Rest kommt schon noch früh genug. Wird von Ignoranten oft mit Rod Stewarts „Young Turks“ verwechselt.

Amanda Lear – Follow Me (Ariola, 1978)

Der Haushit des Clubs „Trocadero Transfer“ in San Francisco, von dessen Stamm-DJ Bobby Viteritti in die Unsterblichkeit erhoben. Musikalisch wies der Song den Weg in die Zukunft elektronischer Musik, und die kontinuierliche Ungewissheit über Amanda Lears Sexualität tat ihr Übriges.

The B-52’s – Rock Lobster (DB Recs, 1978)

Inmitten des grellen Beach-Party-Tumultes ihrer Debütsingle fiel gar nicht auf, dass die Mädchen die Surfbretter ritten und die Jungs einen Bikini trugen. Der Sound der B-52’s war stets so chaotisch und mitreißend wie ihre Subtexte gewitzt waren.

Cheryl Lynn – Got To Be Real (Columbia, 1978)

Der Soundtrack zu den Kategorien der Vogueing Balls, in denen die „Realness“, also ein möglichst genaues Abbild realer, meist heterosexueller Rollenbilder, die höchste Priorität war. Wer in der Realität nicht aufgefallen wäre, hatte gewonnen.

Nicolette Larson – Lotta Love (Warner Bros. Inc., 1978)

Das Stück steht exemplarisch für die Soft-Rock-Einverleibung, die sich Disco in seiner Balladenphase gönnte. Neil Young covernd, von einer Backingsängerin Youngs gesungen, vom Disco-DJ Jim Burgess in den Tanzhimmel gemixt. „It’s gonna take a lotta love to get us through the night.“

Marilyn McCoo & Billy Davis Jr. – Shine On Silver Moon (Columbia, 1978)

Das Liebespaar der MOR-Souler The 5th Dimension mit einer Mondscheinserenade. Es kann sich nur um die Mondskulptur des „Studio 54“ handeln, die aufleuchtete, sobald der Kokslöffel unter der Nase angelangt war. Supercamp.

Teri DeSario – Ain’t Nothing Gonna Keep Me From You (Casablanca, 1978)

Wer besser nicht mit den Bee Gees in Verbindung gebracht werden möchte, aber ungern auf die großartige Songschreiberkunst der Gebrüder Gibb verzichtet, greift eben zu deren Auftragsarbeiten. Da gibt es wirklich einiges zu entdecken.

Sylvester – You Make Me Feel (Mighty Real) (Fantasy, 1978)

Das Selbstverständnis, mit dem Sylvester seine schillernde Persona inszenierte, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Und seine Musik sowieso nicht. Wenn jemand jemals mighty real war, dann war es Sylvester.

Macho – I’m A Man (Prelude, 1978)

Steve Winwoods Klassiker durchschritt unterschiedlichste Interpretationen, aber diese 17-minütige Zweckentfremdung hätte er sich wohl auch nicht träumen lassen. Disco mit Rockanleihen für eine Klientel, die es in jeder Hinsicht härter mag.

Queen – Don’t Stop Me Now (EMI, 1979)

Die Band trug die uneindeutige Konnotation ja schon im Namen. Und auch hier war es egal, ob Freddie Mercury einen Mann oder eine Frau „supersonic“ machen wollte. Kaum jemand machte es so energetisch deutlich, dabei den größtmöglichen Spaß haben zu wollen.

Abba – Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight) (Polydor, 1979)

Die meisten Hits der schwedischen Mitsingmaschine sind nicht gerade ein Ausbund an Doppelbödigkeit, aber auch bei ihnen gibt es dunkle Gemütszustände und simple Gegenrezepte. Im Vergleich zu etwa „Fernando“ tun sich Abgründe auf.

Bette Midler – My Knight In Black Leather (Atlantic, 1979)

Miss Divine M, fag hag extraordinaire, war seit ihren Anfangstagen als Sangesattraktion der legendären New Yorker „Continental Baths“ oft over the top, aber selten so wie hier. Eine aberwitzige Satire.

Cut Glass – Alive With Love (Ear Hole Records, 1979)

Emotionale Stimmen und Synthesizer, die zusammen einen zeitlosen Ohrwurm ergeben. Die späten Ausläufer der Disco-Ära sind prall gefüllt mit dieser Formel, aber selten war dieser romantische Zwiespalt so schön aufgelöst wie hier.

Dennis Parker – Like An Eagle (RCA Victor, 1979)

Als der frühere Porno- und spätere Seifenoperndarsteller 1985 nach einer AIDS-Diagnose seinem Leben ein Ende setzte, hinterließ er einen Nachtflieger mit unbestimmtem Beuteschema, der bis heute seine Schwingen ausbreitet.

Gina X Performance – No G.D.M. (EMI, 1979)

Legendenproduzent Zeus B. Held und New-Wave-Diva Gina Kikoine verkaufen New York die neonschicke Dekadenz zurück, mit einer Hommage an die britische Schwulenikone Quentin Crisp, und dessen unerreichbaren „great dark man“.

Madleen Kane – Forbidden Love (Carrere, 1979)

Mit einiger Melodramatik und Gesangslimitierungen, wie sie Models meist eigen sind, verschaffte die schwedische Exilantin Madleen Kane denjenigen ein Druckausgleichsventil, die ihre Liebe nicht ausleben konnten. Damals gab es noch sehr viele davon Betroffene.

Marlena Shaw – Touch Me In The Morning (Columbia, 1979)

Eine schwelgerische Disco-Symphonie ohne Gleichen, die sich konsequent himmelwärts schraubt, dazu ein geradezu niederschmetternder Text über flüchtiges Liebesglück. Genieße den Moment, im Morgengrauen ist er vorbei.

Marianne Faithfull – Why D’ya Do It (Island, 1979)

Marianne Faithfull überredete den Autor Heathcote Williams, ihr diesen für Tina Turner gedachten Text zur Verfügung zu stellen. Eine hervorragende Entscheidung, fanden Larry Levan und sein Publikum und adelten diesen Punk-Reggae-Kontroversenklassiker mit bedingungsloser Wertschätzung.

Sheila & B. Devotion – Spacer (Carrere, 1979)

Der golden touch der Chic-Organisation macht auch aus romantischen Eurodisco-Spacekadetten-Fantasien eine eigene Galaxie. Jahre später kongenial weitergeführt von Alcazars klugem Camp-Konsenshit „Crying At The Discotheque“.

Skatt Bros. – Walk The Night (Casablanca, 1979)

Ursprünglich als straighte und rockigere Antwort auf Village People vermarktet, doch die schwule S/M-Szene fühlte sich unmissverständlich repräsentiert: „He’s got a rod beneath his coat, he’s gonna ram right down your throat.“ Verständlich.

The Terrell Company – Out On Fire Island (Fantasy, 1979)

Eine Hommage an die Koordinaten, welche die Insel vor den Toren New Yorks zum mythischen Ausflugsziel der gay community machten: Natur, Sex und Disco.

Village People – Go West (Metronome, 1979)

Das Original zum größten 90s-Hit der Pet Shop Boys, der fortan in allen Fußballstadien der Welt weiterleben sollte. Das konnte der Musikproduzent Jacques Morali nun doch nicht geahnt haben, als er seine maskulinen Stereotypen zusammencastete.

Diana Ross – I’m Coming Out (EMI, 1980)

Es ist nicht bekannt, ob die ewiglich beste Discoband aller Zeiten, Chic, deren Köpfe für diese Produktion verantwortlich zeichneten, den Divenstatus von La Ross bewusst mit einer Befreiungsbotschaft an ihre treue schwule Gefolgschaft koppeln wollte. Auf jeden Fall kam es dort so an.

Foxy – Party Boys (T.K. Records, 1980)

Sich stylen für den Auftritt im Club, in Gedanken schon die Parade der „Party Boys“ abschreiten. Mit denen sollte man sich nicht einlassen, das gibt nur Ärger. Aber vielleicht will man ja eigentlich genau das.

Loose Joints – Is It All Over My Face (West End, 1980)

Man kann wirklich dankbar sein, dass Arthur Russell sein Genie nicht nur mit dem Cello auslebte, sondern auch gerne tanzen ging. Larry Levan, der Herrscher über die DJ-Kanzel der „Paradise Garage“, dankte es ihm ebenfalls, mit einem seiner schönsten Remixe.

Madelynn von Ritz – When I Close My Eyes I See Blood (Lorimar, 1980)

Eine Sängerin, die wie ein Sänger klingt, vom „Cruising“-Soundtrack, dessen reißerischer Fokus auf die harte Lederszene lange ein hartnäckiges Image im Mainstream-Kollektivbewusstsein blieb. The community was not amused.

Olivia Newton-John – Magic (Jet, 1980)

Der Übercamp von „Xanadu“ gehört sicherlich zu den merkwürdigsten Erfahrungen der Popgeschichte. Die Musik des Films steht da leider immer etwas zurück. Es besteht dringender Aufarbeitungsbedarf!

Voyage – I Love You Dancer (Papagayo, 1980)

Die Band hinterließ bereits mit Euro-Disco-Exporthits wie „Souvenirs“ und „Point Zero“ Eindruck in Übersee, aber als sie die Geschehnisse und Balzrituale auf der Tanzfläche thematisierten, wurden sie wirklich unsterblich.

The Boys Town Gang – Cruisin‘ The Streets (WEA International Inc., 1981)

Beginnt als traditioneller Disco-Song mit unverhohlenen Textanspielungen auf die Cruiser-Kultur, und mündet dann in eine nachgestellte Straßenszene, deren expliziter Inhalt immer noch nicht überboten wurde.

Deutsch-Amerikanische Freundschaft – Der Räuber und der Prinz (Virgin, 1981)

Das dynamischste Duo der deutschen Popgeschichte geizte nicht mit Provokationen, doch die wenigen Zeilen dieser Ballade waren mindestens ebenso nachhaltig wie ihre politisch-ideologischen Befreiungsschläge Marke „Der Mussolini“.

Divine – Native Love (Step By Step) („O“ Records, 1981)

Harris Glenn Milstead wartete nicht, bis sich die Türen für seine überlebensgroße Persönlichkeit öffneten, er brach einfach hindurch. Dazu die prototypischen Sequencer Bobby Orlandos, die man oft kopieren und auch oft erreichen konnte. Aber man hatte sie eben nicht erfunden.

Klaus Nomi – Total Eclipse (RCA Victor, 1981)

Er wäre wohl viel lieber ein gefeierter Opernsänger geworden, aber kaum jemand hat so nachhaltig aus der Not eine Tugend gemacht wie Klaus Nomi. Und wenn er nicht so früh an AIDS verstorben wäre, hätte er wohl auch sein Hauptziel erreicht.

Patrick Cowley – Menergy (Polydor, 1981)

Ein definitiver Moment im beeindruckenden Schaffen des Syntheziser-Genies. Er ahnte spätere Entwicklungen der elektronischen Musik um etliche Jahre voraus und starb 1982 als eines der ersten prominenten AIDS-Opfer. Der Verlust hallt bis heute nach.

Pete Shelley – Homosapien (Island, 1981)

Legendärer Ex-Punk (Buzzcocks) macht einen Synthpop-Hit mit einem Text über schwulen Sex. Viele Fans der ersten Stunde waren mindestens verwirrt, und die BBC verkraftete es gar nicht und sprach einen Bann aus. Und der hat in der Popgeschichte noch immer funktioniert.

Culture Club – White Boy (Virgin, 1982)

Auf ihrem Debüt positionierten sie sich in Musik und Text noch wesentlich deutlicher (und wesentlich erfolgloser) als mit dem Schunkelreggaehit, mit dem Boy George seine Persona in Sphären tragen konnte, in die vorher kaum ein Crossdresser-Clubkid vorgedrungen war.

Donna Summer – I Feel Love (Casablanca, 1982)

Der Quantensprung von Disco zu Techno. Vor allem der 15-minütige Remix von Patrick Cowley, der fünf Jahre nach Erstveröffentlichung erschien, ist eine ewige Lehrstunde in psychedelischer Intensität. Hinterlässt im Club für alle Zeiten Schutt und Asche.

Joe Jackson – Steppin‘ Out (A&M Records, 1982)

„Real Men“ vom gleichen Album (night and day) wurde deutlicher, was maskuline Rollenbilder angeht, aber „Steppin‘ Out“ ist natürlich die ewige Hymne. Schnell, elegant, immer gültig, wenn es um die Ungewissheiten geht, die die Nacht mitbringt, oder die Absage an alles, was vorher war.

Johnny Dynell And New York 88 – Jam Hot (Epic, 1983)

DJ aus der Mitte der schillernden New Yorker Downtown-Szene bringt mitsamt glitzerndem Paradiesvogel-Gefolge den Post-Disco-Sound der artsy Clubs mit der frühen Hip-Hop-Kultur zusammen.

Le Jeté – La Cage Aux Folles (Megatone, 1983)

So windschief wie in „Cabaret“ das Berlin der 1920er beschworen wurde, versetzt sich dies in den oh so frivolen Chic des Narrenkäfigs von St. Tropez. Complètement faux, ziemlich albern, nimmt aber auf voller Lautstärke verheerende Züge an.

Miquel Brown – So Many Men, So Little Time (Record Shack, 1983)

Schwul und wohlhabend, musste der Produzent und DJ Ian Levine hart um die Anerkennung der Northern-Soul-Elitisten kämpfen, aber er hatte die richtigen Platten. Er brachte seine Liebe zu klassischem Soul-Songwriting mit Hi-NRG-Pioniersounds zusammen und startete voll durch.

Wow – Bring On The Men (Memo, 1983)

Theoretisch ist diese Aufforderung einer namenlos gebliebenen Sängerin, schleunigst die Männer anzubringen, egal ob als Liebhaber oder als Freund, ein rein heterosexuelles Anliegen, der Produzent Bobby Orlando war schließlich auch entschieden straight. Theoretisch.

Frankie Goes To Hollywood – Relax (ZTT, 1983)

Das Label ZTT von Trevor Horn und Paul Morley ist eines der besten Beispiele dafür, wie konkret sich Erfolg im Pop kalkulieren lässt. So smart und aufregend in Wort, Klang und Konzept wie bei „Relax“ gelingt dies allerdings nur sehr selten.

Falco – Junge Roemer (Teldec, 1984)

Er hatte generell viel für Stil, Schönheit und Dekadenz übrig. In diesem Song beschrieb er die jungen Hedonisten, die den Verlockungen und Versprechungen der Nacht erliegen, so liebevoll und treffend, dass man der Sonne tatsächlich entsagen wollte.

Bronski Beat – Smalltown Boy (Metronome, 1984)

Das Drama eines jeden Jungen, der wegen seiner sexuelle Neigungen in seinem Heimatkaff angefeindet wird, in Stein gemeißelt mit einem perfekten Popsong und einem herzzerreißenden Video. Rekrutierte seitdem sehr viel Toleranz.

Jimmy Ruffin – Hold On To My Love (ERC Records, 1984)

Als der legendäre New Yorker Schwulenclub „The Saint“ 1988 nach einem 48-stündigen Marathon für immer seine Pforten schloss, entließ DJ Robbie Leslie sein Publikum mit seinem Remix dieses Songs in die Realität.

Karen Finley – Tales Of Taboo (Pow Wow Art International, 1986)

Die gern obszöne Performancekünstlerin aus New York mit einer Freestyle-Coverversion von Anne Clarks „Sleeper In Metropolis“, der humorlosen Poetin des New Wave. Miss Finley erzielt technischen Knockout nach Gongschlag Runde eins.

Man 2 Man Meet Man Parrish – Male Stripper (Bolts Records, 1986)

Electro-Pionier huldigt der sleazy Seite des Körperkults, dem Stripping. Demnach ziehen aus diesem Handel alle Beteiligten ihren Nutzen, und das Objekt der Begierde behauptet seinen Stolz. Explizit und überraschend hoch in den Charts.

Pet Shop Boys – I Want A Lover (Parlophone, 1986)

„Love Is The Drug“, eine Dekade später. Zu dieser Zeit galten die Pet Shop Boys noch als heterosexuell, obwohl sie, wie sich hier leicht nachhören lässt, nie ein Geheimnis um ihre Orientierung gemacht haben.

Tom Hooker – Looking For Love (Baby, 1986)

Sehr typisch für italienische Adaptionen internationaler Clubkultur ist dies mit dem Holzhammer zielgruppenorientiert. Die Stabs von Frankie entliehen, der hunky Bilderbuch-Exilsänger aus den Staaten, haarsträubender Text. Natürlich unwiderstehlich.

C.T. Satin – I Found A Friend (Underworld, 1987)

Erschienen, als man sich zwischen Chicago und New York noch heftig darüber stritt, wo die Verwaltung des Disco-Erbes am amtlichsten aufgehoben war. Dies ist aus New York, hätte aber vom Sound her auch aus Chicago kommen können. Glücklich sein konnte man dazu überall.

Dusty Springfield – In Private (Parlophone, 1989)

Sie weigerte sich Zeit ihres Lebens, ihre sexuellen Vorlieben zu erklären, aber es machte ihr auch vor allem während ihres von den Pet Shop Boys betreuten Comebacks nichts aus, die Spekulationen gehörig zu befeuern. Eine Heldin.

Jamie Principle – Cold World (Atlantic, 1989)

Die ungemein wichtige Glam-Integrationsfigur des frühen Chicago House als Sprachrohr der „Children“, trotzig der kalten Ignoranz der Gesellschaft seinen eigenen Lebensentwurf entgegenhaltend: „I will not change“.

Marc Almond – I’ve Never Seen Your Face (WEA, 1991)

Mit der für ihn typischen Kombination von großer Glam-Geste und „schmutzigem“ Inhalt bringt Almond das Dilemma von anonymem Sex auf den Punkt. Intimität als schneller Schuss und die Entzugserscheinungen danach, gegenüber der Sehnsucht nach Liebe im Normalzustand.

Jackie 60 Presents The Jackie MC’s – The Jackie Hustle (Arista, 1992)

Die lose auf Van McCoys „The Hustle“ basierende Haushymne des New Yorker Clubs „Jackie 60“. Arthur Baker und Danny Tenaglia gaben dem Anlass entsprechend im Studio ihr Bestes, und die Jackie MCs ihren Senf dazu. Ultracharmant.

RuPaul – Supermodel (Tommy Boy, 1992)

RuPaul war das definitive Aushängeschild der Drag-Queen-Szene innerhalb von House, der lebendige Beweis dafür, dass man sich nicht nur als Star geriert und fühlt, sondern infolgedessen auch einer werden kann, und bleibt.

Junior Vasquez – Get Your Hands Off My Man (Tribal America, 1994)

Der definierende Track der Regentschaft von Junior Vasquez im New Yorker Club „Sound Factory“. Bildet sowohl das unerbittliche Selbstbewusstsein des DJs als auch das seines Publikums ab. Don’t mess.

Ultra Naté – Free (Strictly Rhythm, 1997)

Es gab nach der klassischen Disco-Ära jede Menge Hymen, die für die Gay Pride Marches dieser Welt am Reißbrett entworfen zu sein schienen, aber diese war beim Diven- und Produzentenpersonal einfach überlegen besetzt.

Justus Köhncke – Weiche Zäune (Kompakt, 2003)

Der große Romantiker der hiesigen elektronischen Tanzmusik mit einem vielschichtigen Lamento über gefallene Barrieren, die nur zu neuen führen: „Diese weichen Zäune, durchkreuzen unsere Räume. Wir hatten andere Träume – in der Diskothek“.

Hercules & Love Affair – Blind (DFA, 2008)

Es war einfach eine großartige Idee, die zittrige Traurigkeit von Antonys Ausnahmestimme von Frankie Knuckles zu einer beschwingenden Garage-House-Reminiszenz remixen zu lassen. Zwei Meister ihres Fachs erzielen zusammen die doppelte Wirkung.

Patrick Cowley & Jorge Socarras – Burn Brighter Flame (Macro, 2009)

Als dieser Song Mitte der Siebziger geschrieben und aufgenommen wurde, gab es kaum eine so dezidiert homosexuelle Pop-Ballade, die dann auch noch klang wie aus einer anderen/besseren Welt. Erst 30 Jahre später wurde „Burn Brighter Flame“ tatsächlich veröffentlicht.