Prince und die 90er: Pop-Genie auf Sinnsuche
Die 90er-Jahre waren keine leichte Zeit für Prince. Das Jahrzehnt war geprägt vom Streit mit seiner ehemaligen Plattenfirma über die Rechte an seiner Musik. Aus dem Meister war ein Sklave geworden, aus dem Popwunderkind der 80er-jahre ein Sinnsuchender. „EMANCIPATION“ sollte 1996 den Neuanfang markieren. Es ist das Album, bei dem er zum ersten Mal in der Lage war, seine künstlerische Vision kompromisslos umzusetzen. Es ist aber auch ein Dokument der geplatzten Träume. Nun wird es erstmals angemessen gewürdigt.
Nun also der Hausbesuch. Mayte und er saßen im Paisley Park Winfrey gegenüber. Beide trugen weite, weiße Oberteile, als kämen sie direkt aus dem Krankenhaus. Mayte sah verständlicherweise noch sehr angeschlagen aus. „So muss es sich anfühlen, wenn ein Leichnam in einem Begräbnisinstitut aufgehübscht wird“, notierte sie später über ihren Auftritt, dem sie sich anfangs habe verweigern wollen.
Das rund 45-minütige Special, man findet es auf YouTube, ist grausam anzusehen. „Wie geht’s?“ – „Es könnte nicht besser laufen!“ Oprah Winfrey sprach Gerüchte an, die besagten, dass es bei der Geburt des Jungen zu Komplikationen gekommen sei, dass er verstorben sei. Prince antwortete, die Familie „existiere“, man befände sich „noch ganz am Anfang“, und die Familie solle noch größer werden, also: „höre nicht auf das, was die Leute sagen“. Dann zeigte er Winfrey das für Amiir eingerichtete, in blaues Licht getauchte Kinderzimmer.
Prince konnte der Talkmasterin kaum in die Augen sehen. Aber er blieb wie immer Profi, wenn es nicht ums Private, sondern um seine Künstlerpersönlichkeit ging. Er hatte einige Witze vorbereitet. Die trockenen Sprüche hatten nichts mit der Familiensituation zu tun, sondern mit seinem „Love Symbol“-Moniker. Ein sicheres Feld. „Die Sache mit dem Synonym hat sich verselbstständigt“, sagte er scheinbar erstaunt. Ich habe gehört, man nennt Diana mittlerweile ‚The Artist formerly known as Princess‘“. Lachen im Saal. Oder: „Der Vorteil an meinem unaussprechlichen neuen Namen ist, dass mich die Leute zum ersten Mal in meinem Leben mit ‚Sir‘ anreden müssen.“
Eine Woche nach der Oprah-Groteske begann die entscheidende Werbe-Phase für EMANCIPATION. Prince gab sein Konzert im Paisley Park, bei dem er neben den neuen Stücken auch lange von ihm ignorierte Klassiker wie „Purple Rain“ spielte. Dann wurde das Video zu „Betcha By Golly Wow!“ veröffentlicht. Darin besucht Prince Mayte im Kreißsaal und streichelt glücklich ihren Bauch. Sie war wieder die Hochschwangere – eine Inszenierung, der Clip entstand nicht vor der Geburt, sondern nach dem Tod ihres Sohns. Das Paar gab die Hoffnung auf Nachwuchs nicht auf. 1997 erlitt Garcia jedoch eine Fehlgeburt. Zuvor soll Prince sich wieder gegen eine Fruchtwasseruntersuchung ausgesprochen haben. Im Jahr 2000 wurde die Scheidung rechtskräftig.
Mit dem heutigen Wissen um diese Tragik wird EMANCIPATION noch bedeutsamer. Das Album war ein Dokument der Hoffnung, falls man es bei Erscheinen im November 1996 gehört hatte und noch nicht wusste, dass das Baby kurz nach der Geburt verstorben war. Heute wissen wir: Es ist ein Dokument der geplatzten Träume.