Prince, Berlin
Der 52-Jährige präsentiert bei seinem einzigen Deutschlandkonzert auf der Berliner Waldbühne vor allem seine Hits aus den frühen 80ern – die er souverän darbietet, aber nicht immer mit Leben füllen kann.
Einst begannen seine Konzerte wie fantastische Reisen. Er kam in einem Cadillac auf die Bühne. Sogar in einer gläsernen Rakete aus dem Boden geschossen. Oder sang wenigstens solange hinter einem Vorhang, bis das Publikum durchdrehte. Heute, wie bei seinem Konzert auf der Berliner Waldbühne, begnügt sich Prince mit einem bescheidenen Auftritt: Er geht, gewandet bis zum Hals in ein weißes Ganzkörperkleid, wie ein dünnes Leiberl, von hinten nach vorne auf die Bühne. Zum pastoralen Orgel-Intro beginnt er mit „Let’s Go Crazy“, „Delirious“ und „1999“ – jener Vom-Himmel-in-die-Hölle-und-zurück-Trilogie aus den frühen 80ern, wohl seiner explosivsten Zeit, als er noch in jedem Song herrlich mit Teufelchen und Engelchen diskutierte, ob sich wilder Sex und Gottesfurcht miteinander vertragen.
Den heute 52-jährigen Prince alte Songs spielen zu sehen, fast 30 Jahre später, hat Vorteile und Nachteile. Das Schlechte zuerst: Prince verkörpert alle Stücke, in denen er einst jauchzte, bettelte und befahl, die er sexuell auflud, nicht mehr wirklich glaubhaft. Songs wie „Delirious“ sind Teil einer Folklore geworden, die er nur noch ironisch – seine hochgezogene Augenbraue, den erst arrogant abgewandten, dann rückversichernden Blick ins Publikum – darbieten kann. Prince wird Charlie Chaplin, seinem großen Vorbild als Schauspieler, immer ähnlicher, vor allem pantomimisch.
Und waren seine frühen Touren angelegt als Darstellung eines spirituellen Wandels, etwa wenn er während seiner „Lovesexy“-Tour (1988) vom Erotomanen zum Gläubigen wurde, agiert Prince heute wie ein Komiker, der seine aggressiveren Lieder wie kleine Kinder behandelt, die er nicht richtig versteht und deshalb domestiziert. Mit dem Alter bekommt Prince ein Problem – das ist der Nachteil seiner Karriere, die auf dem Image potenter Jugendlichkeit aufbaut. Kann Prince überhaupt noch begeistern? Natürlich, und wie! Es kommt auf die Lieder an. „Forever In My Life“ etwa, jener Folk-Elektro-Song über den Wunsch nach Häuslichkeit, funktioniert für den ewigen Zweifler Prince besser denn je. Das Stück ist alterslos. Er spaziert dabei gedankenverloren über die Bühne. Ebenso „Controversy“, dessen politisches Mantra “ I wish we all were nude / I wish there was no black and white / I wish there were no rules“ wie in Stein gemeißelt ist. Auch die Rückkehr seiner Begleiterin Sheila E. ist ein cleverer Zug. Musikalisch betrachtet ist Sheila, als mit wenig Schlaginstrumenten ausgestattete Percussionistin, kaum notwendig. Aber sie ist eine Identifikationsfigur – eine respektierte Musikerin, die Prince damals schon Gegenwehr bot und heute nette Neckereien liefert, etwa als Prince auf der Bühne mit ihr Fangen spielt. Oder sich in ihr Hoheitsgebiet wagt und auf ihre Trommeln haut.
„What’s my name?“, ruft Prince mehrmals, geradezu trotzig, ins Publikum, das ihm an diesem Abend in absoluter Verzückung folgt. „Prince!“ rufen ihm Tausende entgegen. Wieder ein Akt der Rückversicherung. „You love me, and I love you“. So ist das: Prince hat keine Fans, er hat Jünger. Vielleicht lässt sich so erklären, dass er weniger mit seinem Publikum interagiert als ihm lediglich Führerschaft anbietet. „You wanna dance?“ oder „Sing the chorus one more time!“ sind Offerten, es ist kein Miteinander; Jemandem zu antworten ist nicht sein Ding. Prince bietet Geborgenheit, aber keinen Dialog.
Sein Abgang an diesem Abend ist – gemessen am unspektakulären Anfang – auch weniger dramatisch als unfreiwillig lustig. Am Ende von „Purple Rain“ wirft Prince seine Gitarre, die orangefarbene mit dem schönen schwarzen Fleckenmuster und seit Dirty Mind von 1980 im Repertoire, einfach ins Publikum. Er gibt sie her. Das ist so selbstlos, das kann doch nicht wahr sein, oder? Ist es auch nicht: Die Bühnen-Ordner fordern das Instrument gleich wieder ein. Kurz darauf kommt Prince für eine Coverversion ein letztes Mal zurück: „Dance (Disco Heat)“, ein schlechter Song der Disco-Queen Sylvester. Prince liefert sich dabei ein Percussion-Duell mit Sheila E. Er hat seinen Spaß. Werden wir jemals verstehen, wie er tickt?
Albumkritik S. 104, Kontrolliert S. 80