Pretenders: Kraft packed


Sie wäscht nicht nur mit den Bio-Produkten von "Ark" und ist streitbare Vegetarierin - ab und zu veröffentlicht Chrissie Hynde auch noch ein Album. Immerhin wollen zwei Kinder versorgt sein. ME/Sounds-Mitarbeiter Christoph Becker ließ sich in London über Lüste, Launen und die Last der Verantwortung erzählen.

Meat is murder“ prangt es unübersehbar vom Jacket. Der Button ist die erste Kampfansage. „Menschen, die Fleisch essen, sind in meinen Augen pervers. Der Geschmack von Blut scheint ihnen zu gefallen. Das ist lebensverachtend. Denn abgesehen davon, daß dieses Fleisch von gespritzten, mutierten Tieren stammt, müssen deshalb Menschen in der Dritten Welt an Hunger krepieren. Dieser Teufelskreis ist jedem bekannt, doch keiner tut etwas.“

Puuuh! Der Haken sitzt. Wie war das doch gleich mit der Currywurst beim Imbiß um die Ecke? Der Geschmack von Blut. Chrissie nimmt keine Rücksicht mehr auf zarte Gemüter oder Geschmäcker. Ihre Wut teilt sie ungefiltert und kompromißlos jedem mit, der in ihre Nähe kommt. Und ein Interview ist nun mal der beste Weg, der Welt mitzuteilen, was sie quält, beschäftigt und frustriert. „Es ist höchste Zeil, daß Menschen den Mund aufmachen und deutlich sagen, was ihnen stinkt. Denn sonst ist es zu spät. Anstatt ständig zu verdrängen, sollten wir beginnen, unsere Ideen in konkrete Aktionen umzusetzen: So wie wir angefangen haben, mit ARK, einer Palette von umweltfreundlichen Produkten, in England eine Alternative zum üblichen Dreckmist zu geben. Der erste und wichtigste Schritt ist immer der eigene.“

Mit Chrissie Hynde über etwas vergleichsweise unverfängliches und durchaus naheliegendes wie Musik zu sprechen, ist schwierig. Ihr ein paar Worte über das neue Album PACKED zu entlocken, beinahe unmöglich. Lieber unterhält sie sich über die Belanglosigkeit von Popmusik im allgemeinen und ihre eigene Bedeutungslosigkeit im speziellen. „Ich finde, es gibt wahrlich wichtigeres als Popmusik auf der Welt. Zugegeben, ich verdiene damit mein Geld, zugegeben, es geht mir nicht schlecht. Aber deshalb muß ich noch lange nicht Pop zu einer Ikone, zu einem neuen Götzen machen. „

Unprätentiös und down to earth war Chrissie Hynde schon immer. Selbst ihre kommerziell erfolgreichsten Hits, sei es „Dont Get Me Wrong“ oder „I Got You Babe“ zusammen mit ÜB 40. besaßen immer eine Spur von spröder Verweigerung. Ihre Stimme besitzt das Charisma eines raureifbehangenen Kaktus – cool, illusionslos und stets auf Distanz. Mit ihren vier bisherigen Alben und ständig wechselnden Pretenders-Besetzungen gelang es ihr, die immer leicht labile Mischung aus trashigem Garagen-Rock und unterkühlten Balladen bis in die vergoldeten Charts-Regionen zu manövrieren.

Eine Entwicklung, die ihr – neben einer Menge unliebsamer und nur schwer verdauter Popularität – eine angenehme finanzielle Beweglichkeit sichert. „Ich bin alles andere als ein Arbeitstier. Die Sicherheit, die mir mein Bankkonto verschafft, möchte ich nicht missen. Ich habe ausreichend Zeit, mich um meine Kinder zu kümmern, kann Freunde treffen, herumhängen und genau das machen, was ich möchte. Das ist sicher eine extrem privilegierte Situation. Trotzdem glaube ich nicht dekadent zu sein. Denn ich versuche meine Möglichkeiten zu nutzen, um als Mitglied der Gesellschaft nützlich zu sein. Schließlich habe ich jahrelang erfahren, was es heißt, für einen miesen Lohn bis zum Umfallen arbeiten zu müssen. Irgendwann stumpft man ab.

Mich hat vor diesem Zustand die Musik gerettet. Zuerst hab ich nur gehört und so versucht, meinen Frust abzubauen. Irgendwann begann ich dann, eigene Songs zu schreiben und meine Ängste, meinen Haß und meine Liebe zu verarbeiten. So entstanden die Pretenders – und so arbeite ich heute noch. Wenn ich etwas zu sagen habe, schreibe ich einen Song. Andere erfinden Geschichten. Ich singe, was aus mir heraus will.“

Mit PACKED greift Hynde ihre typische, mal mehr, in letzter Zeit eher weniger ausgeprägte Anti-Attitüde auf. Mit dem Charme eines verbissenen Terriers pinkelt sie allen Modernitäts-Fetischisten ans Bein. Gleichzeitig klingt ihre Gitarre – und PACKED ist ein klassisches Gitarrenalbum – wie eine unentschlossene Mixtur aus muffigem ProbekeUer und strahlenden Sunshine-Vibes. Ist PACKED. trotz der inhaltlichen Rundumschläge, letztlich so etwas wie ein Sommer-Album?

„Das ist ein neuer Gedanke. Die Grundstimmung ist bestimmt positiver als früher. Insofern kann man PACKED vielleicht als mein persönliches Sommer-Album bezeichnen. Trotz all der Motzereien, die ich in den Texten loslasse. Wenn ich ehrlich bin. ist mir die Platte aber gar nicht mehr so wichtig. Nicht daß ich falsch verstanden werde: Ich stehe voll hinter den Songs, ich habe sie mit Herzblut geschrieben. Aber das ist schon lange her.“

Karriere war nie das große Zauberwort für die gebürtige Amerikanerin. Mit dem fetten Business wollte das Arbeiterkind nichts zu tun haben. Daß sie trotzdem beim größten Medienkonzern der Welt, Warner Brothers nämlich, unter Vertrag steht, akzeptiert sie als Dilemma. „Natürlich weiß ich um das Problem der Vermarktung. Ich wettere gegen multinationale Konzerne und stecke selbst mittendrin. Bullshit! Es ist nunmal so, und deshalb rufe ich alle meine Hörer auf: Macht Boollegs, kupfert ab, was das Zeug hält!“

Ein Thema allerdings spart Chrissie im Gespräch mit dickköpfiger Beharrlichkeit aus: ihre offensichtlich gescheiterte Ehe mit Simple Minds-Sänger Jim Kern Privatleben ist tabu. Und man sollte sie tunlichst nicht mit Sticheleien nerven. Denn ansonsten könnte das Interview recht fix beendet sein und eine Furie vor einem stehen.

„Ich bin der Meinung, daß es niemanden etwas angeht, was ich privat anstelle. Ob sich Lennon mit Drogen die Birne vollgehauen hat, ist völlig egal. Auf seine Kreativität kommt es an, nicht aufsein Privatleben. Wenn dann behauptet wird, daß ich doch letztlich auch ich vom Glamour dieses Business profitiere, kann ich nur antworten: Auf diese Segnung verzichte ich gern. „