Powwow in der Eifel


20 Jahre Rock am Ring: Europas größtes Dauerfestival feiert.

Zumindest ein paar Zehntausend etwas älterer U2-Fans läuft es bei der Erinnerung daran noch heute kalt den Rücken herunter, das Bild hat sich fest in ihr Gedächtnis gebrannt: Eine gewaltige Hitzglocke liegt am 26. Mai 1985 über dem Gelände des Nürburgrings, als schließlich der predigende Bono das Dach der Doppelbühne erklimmt und das Publikum aus schwindelerregender Höhe auffordert, sich an den Händen zu fassen und mit ihm John Lennons „Give Peace A Chance“ zu singen – es ist der hymnische Höhepunkt beim ersten Rock-am-Ring-Festival. Vieles hat sich geändert seitdem, naivpazifistisches Händchenhalten gehört zum Beispiel nicht mehr so richtig ins Verhaltensrepertoire heutiger Festivalbesucher – doch U2 und Rock am Ring, sie sind 2005 präsenter denn je.

Was zunächst mehr als Testballon gedacht war, um herauszufinden, ob sich die akehrwürdige Grand-Prix-Strecke in der Eifel überhaupt für andere Arten von Events als nur Motorsportveranstaltungen eignet, ist längst zum größten regelmäßig stattfindenden Festival auf dem europäischen Festland geworden. Seit 1994 in Form eines Zweiergespanns: zu Rock am Ring gibt es nun seit elf Jahren den süddeutschen Zwilling Rock Im Park. Seine Premiere erlebt der jüngere Zwilling in München, zunächst am stillgelegten alten Flughafen in Riem (weshalb er in diesem Jahr auch noch unter „Rock in Riem“ firmiert), dann 1995 und 1996 im Olympiapark (wo er schließlich seinen heutigen Namen erhält) und seit 1997 schließlich in Nürnberg. Gewaltig entwickelt hat sich seit den Anfangsjahren das Line-Up: Bevölkerten 1985 gerade mal 17 Acts die damalige Doppelbühne, so sind es seit den späten Neunzigern nun stets zwischen 80 und 100 Bands, die sich, verteilt auf Main Stage, Alternastage und Talent Stage, bei Rock am Ring/Rock im Park die Ehre geben. Entsprechend findet das Festival seit 1992 dreitägig und nicht mehr nur an Samstag und Sonntag statt.

Gesteuert wird das ganze logistisch hochkomplexe Unterfangen aus einer hübschen kleinen Villa im Frankfurter Stadtteil Dornbusch dem Sitz der Konzertagentur Marek Lieberberg (MLK). Der einstige Journalist Lieberberg, der für sich in Anspruch nehmen kann, ab 1970 als Mitgründer der Mama Concerts GmbH Open-Air-Festivals in Kontinentaleuropa erst so richtig durchgesetzt zu haben, und sich 1987 als Unternehmer endgültig auf eigene Beine stellte, organisiert von hier aus mit einem Team von rund 20 Mitarbeitern über 50 Tourneen und über 500 Konzerte im Jahr. Für Rock am Ring und Rock im Park arbeitet MLK mit Partneragenturen und -firmen (etwa für Catering und Security) zusammen.

Trotz ihres vermutlich konkurrenzlosen Know Hows in Sachen Festivalveranstaltungen erleben auch Marek Lieberberg und seine Leute mit ihrem größten Festival immer wieder mal Krisen- und Umbruchsjahre. 1987 etwa drohte das Open Air am Ring in einer Art Sintflut zu ersaufen – eilig wurden damals etwa 200 Tonnen Eifellava auf das Gelände geschafft, damit die Füße der Fans nach tagelangen, ununterbrochenen Regengüssen nicht vollends im Matsch steckenblieben. 1988 erlitt Rock am Ring ein Zuschauerdebakel – Michael Jackson (noch auf der Höhe seines Ruhms), Bruce Springsteen und Pink Floyd räumten in jenem Sommer den Open Air-Markt in Deutschland mit gigantischen Shows ab – Rock am Ring sah dagegen mit einem eher unspektakulären Line-Up (Headliner waren damals, aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbar, Chris Rea, die Rainbirds und Fleet wood Mac) ziemlich blaß aus. Nur 30.000 Zuschauer wollten sich das auf dem Gelände unterhalb der Nürburg anschauen – ein finanzieller Reinfall für den Veranstalter. Es dauerte bis 1991, bis MLK sich wieder an das Abteneuer Rock am Ring heranwagte.

Als legendär gilt dafür die Milleniums- Ausgabe: Anno 2000 lockte das Festival mit einer äußerst bunten Quer-durch-die-Generationen-Mischung – Acts wie Bush, Oasis, Pearl Jam und Rage Against The Machine, Santana, Sting und die Eurythmics sorgten für ein herausragendes Erlebnis. Nach einem leichten Durchhänger 2002 entschloß man sich bei MLK im Jahr darauf zu einem Paradigmenwechsel für das Festivalgespann: Marek Lieberberg betraute für 2003 erstmals seinen Sohn Andre, seines Zeichens Leiter der Abteilung Modern Music in der Agentur, damit, das Festivalprogramm zusammenzustellen, um ihm ein moderneres Gepräge zu geben. MUSIKEXPRESS, ROLLING STONE und METAL HAMMER stiegen als Printpräsentatoren ein. Der MUSIKEXPRESS war von Stund an mit seinem grünen Doppeldeckerbus auf dem Ringgelände direkt neben der Alternastage präsent und lud zu Autogrammstunden mit prominenten Acts von Dave Gahan bis zu den damals brandneuen Wir sind Helden, sowie zum lockeren Plausch mit den ME-Redakteuren. Die konzeptionelle Erneuerung im Jahr 2003 offenbarte sich in einem eindrucksvollen Festival und ging auch kommerziell voll auf: Das Open-Air-Gespann hatte ein Rekordjahr mit insgesamt rund 140.000 Zuschauern, davon etwa 85.000 am Ring und 55.000 im Park.

Im vergangenen Jahr sahen sich die Veranstalter mit einem verzwickten Terminproblem konfrontiert: Erstmals seit vielen Jahren stand das Gelände am Ring nicht mehr am wegen des arbeitsfreien Montags beliebten Pfingstwochenende zur Verfügung, weil sich Bernie Ecclestone, mächtiger Chef des internationalen Formel-i-Zirkus, den traditionellen Termin für den Grand Prix von Deutschland geschnappt hatte. Rock am Ring wich auf das erste Juni-Wochenende aus – und machte damit vor allem wettertechnisch gute Erfahrungen. So wird das Festival auch in diesem Jahr am ersten Wochenende im Juni (3.-5.6.) über die Bühne gehen.

Doch was letztendlich zählt, ist ohnehin die Musik: Mit Headlinern, die diesen Titel auch verdient haben, wie R.E.M., Green Day, Marilyn Manson, Iron Maiden und Incubus dürfte wieder für allerhand spektakuläre Momente gesorgt sein. Trendorientierte Geister können sich u.a. auf die Hives, Chemical Brothers, Mando Diao oder Adam Green freuen. Wichtig im heutigen Konzept des Festivals ist es ohnehin, nicht nur große, sondern eben auch interessante neuere und vor allem künstlerisch wichtige deutsche Bands dabei zu haben – und so werden dann Gruppen wie Kettcar oder Tomte für ihre ganz eigenen Akzente sorgen. Mehr zum Line-Up des Festivals, zur Ticketbestellung etc. auf Seite 126 in diesem Heft und (regelmäßig aktualisiert) auch auf unserer Homepage www.musikexpress.de.