Besoffene Masterstudenten und The Strokes: Die Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Julia Lorenz die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Serien, welche Alben lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Die neue Folge zur KW 42 hält die neue Foals für einen overacteten Actionfilm, liest Jugendbücher über Suizid und klebt ein Kotz-Emoji auf „Is This It“ von The Strokes. Noch Fragen?
LOGBUCH: KALENDERWOCHE 42/2019
Diese Woche in Berlin einen Aktionstag für die Amadeu Antonio Stiftung moderiert, es geht um Antisemitismus in der Musikszene. Es wird unter anderem gesprochen über Kollegah, Lisa Fitz, Xavier Naidoo, islamistische Rapper. Wegen den Anschlägen von Halle sichert einiges an Polizei die Veranstaltung. Ein Beamter mit Maschinenpistole kaut gelangweilt Kaugummi. Katja Lucker vom Musicboard Berlin zitiert auf der Bühne eine jüdischen Freundin, die mittlerweile genervt sei von dem ritualisierten deutschen „Nie wieder“. Man solle diesem Bekenntnis doch endlich auch mal Taten folgen lassen.
BESUCH AM SET: „Seriös – Das Serienquartett“
Seit etlichen Jahren kommt in Partygesprächen mit Zufallsbekannten unabwendbar immer ein Thema auf: Serien!
Gibt einerseits nichts Geileres, als endlich die ganzen Gedanken, die man sich Abende lang zu seinen Lieblingsfolgen gemacht hat, mit anderen zu teilen, andererseits hasst man diesen Talk auch dafür, dass er so ritualisiert nervig abläuft. Irgendwann hakt man mit allen nur noch Titel auf Titel ab und denkt, „gleich geh ich zur Bar – und komm‘ nie wieder“.
Das Serienquartett erlöst von diesem Dilemma. Das Konzept ist natürlich entliehen vom „Literarischen Quartett“. Kurt Kroemer hatet sehr authentisch erstmal gegen die Tücken bei den Streaming-Anbietern, Ralph Husemann (Erfinder von „Stromberg“) bietet Struktur und gut platzierte Pointen, Annette Hess bringt den Blick einer Drehbuchautorin („Ku’damm 56“) ein und Annie Hoffmann (Moderatorin und Model) hält die Sache (mitunter ein bisschen zu sehr) an der Oberfläche.
Woher ich das alles weiß? Hatte einen Besuch der aktuellen Aufzeichnung leichtfertig zugesagt, nachdem ich hörte, es werde in Köln gedreht. Allerdings total lost am Ende des letzten Märchen-Stadtteils, den ich bisher nur vom Hörensagen kannte. Irgendwo im Dunkeln finde ich nach stattlicher Anreise tatsächlich das Studio. Bezeichnenderweise in der „Industriestraße“. Klingt wie aus einer schlechten Serie – ist aber wahr. Hat sich dann doch gelohnt.
Sendung läuft immer am letzten Freitag im Monat 21 Uhr auf ONE, diesem Untersender der ARD – und vor allem in der Mediathek.
FESTIVAL DER WOCHE: Nürnberg Pop
Das vielleicht schönste Clubfestival in Deutschland, großartiges Booking, unzählige Locations auf kleinem Raum und dazu noch das beste Wetter (ok, Zufall). Stellvertretend für die vielen guten Konzerte, die ich sah, hier ein Song von Akne Kid Joe. Kommen aus Nürnberg, gehören weit verbreitet.
PLATTE DER WOCHE: Foals
Foals
„Everything Not Saved Will Be Lost – Part 2”
(Warner)
Blendgranate, Gitarrenspuren hundertmal gedoppelt, Hall wie in der Sixtinischen Kapelle und irgendwer spuckt Feuer. Na, da haben die Killers aber wieder einen ganz schönen Größenwahn aufgefahren! Ach stopp, wir sprechen hier ja über die Foals. Die haben sich spätestens mit ihrem dieses Jahr auf zwei Alben verteilten XL-Werk „Everything Not Saved Will Be Lost“ zu den Killers für nicht ganz so besoffene Masterstudenten aufgeschwungen. Ich meine, versteht mich nicht falsch, ich liebe nun wirklich die große Geste. Doch ich habe mit Verlaub auch ein Gefühl dafür, wenn das Songmaterial nicht mit all dem aufgeschichteten „Gib ihm, Bruder“ Schritt halten kann. Wenn ihr schon eine brilligere (von Brille nicht von billig) Version von Stadionpop machen möchtet, dann schreibt also bitte auch die Hits fertig.
BUCHMESSE DER WOCHE: „Der Rüberbringer“
Gern würde ich in dieser Kolumne alle zwei Wochen ein Buch vorstellen. Leider lese ich so langsam wie ein Vorschüler. Mit dem Zeigefinger stockend den jeweils zu lesenden Satz verfolgend. Umso mehr Eindruck hinterlässt das Phänomen Buch bei mir, wenn ich es dann doch bezwungen habe. Vermutlich dürfte „Der Rüberbringer“ aber auch für Leute mit regulären Lese-Skills einen großen Gewinn darstellen.
Der Kölner Autor Tankred Lerch beschreibt das Aufwachen nach einem missglückten Suizid. Der pubertierende Red findet sich nicht nur in der Jugendpsychiatrie wieder, sondern an seiner Seite auch eine merkwürdige Gestalt. Nur er (und andere Todgeweihte) können Joe sehen – von dem man lange nicht weiß, ob er Red in den Abgrund ziehen oder dessen Leben aufs nächste Level pushen will. Auch für Popkultur ist gesorgt: Revolverheld werden gedisst und ein Konzert von Faber ist Kulisse. Die Musik der Heranwachsenden ist hier also noch nicht Rap, eine wahrhaft schöne Fiktion…
Unter’m Strich steht jedenfalls ein kurzweiliges Buch, das lustvoll ein schräges Figureninventar um seinen sympathischen Anti-Helden herumgebaut hat. Manche Szenen verraten in ihrer Pointierung den Sitcom-Hintergrund von Lerch, aber der Witz geht nie auf Kosten der Story. Einfach ein schmerzlich nachvollziehbares Coming-Of-Age-Drama. (300 Seiten, Beltz & Gelberg)
VIDEO DER WOCHE: Shi Offline
Bevor ich jetzt endlich den Acker der Strokes salze, sei unbedingt noch ein Spot auf Shi Offline gerichtet. Die begleitet die Veröffentlichung ihres Debüt-Albums („Golaya“) in dieser Woche mit einem sehr schicken Neo-Trash-Clip zu dem entspannten Stück „Krill“.
MEME DER WOCHE
DER VERHASSTE KLASSIKER: The Strokes – IS THIS IT
The Strokes
„Is This It“
(30.07.2001)
Ich habe schon mal erwähnt, wie hundeelend ich den Sound zu Anfang der Nuller fand: Die elektronische Musik war nervtötend manieriert, der Reihenhaus-Deutschrap um Denyo, Afrob, Massive Töne und ähnliche Gestalten textlich einfach doof. Und Gitarre? Gitarre spielten zu der Zeit nur noch abgehängte Dinos wie Oasis („Standing On The Shoulder Of Giants“) oder karrieremäßig ernsthaft Selbstmordgefährdete.
Bis auf einmal im Six Pack zu Köln der damalige Chefredakteur der Spex von der neuen Gitarrensensation zu berichten wusste. Ihm lief Spucke aus dem Mund, mit einer Zeitung versuchte er notdürftig seine Erektion zu verbergen. Ich arbeitete damals in einem konkurrierenden Verlag, daher erzählte er das alles nicht mir, doch ich beobachtete die Szene von hinter einem Vorhang aus – und hatte mir den Bandnamen notiert. The Strokes. Aha. Das sollte „the next big thing“ werden?
Nun, der Mann behielt recht. Was er verschwieg war allerdings, was für eine eselige Retromucke sich hinter dieser Nummer verbarg. Wie schlecht es Rock in den frühen Nullern ging, lässt sich wirklich daran ausmachen, dass dieser narzisstische Garage-Rip-Off zum Sound der Stunde wurde. Hudeliger Art-School-Nassmüll, die einer ganzen Generation als räudig, echt und gefährlich verkauft wurde.
Ey, das einzige, was man den komischen Pin-Up-Boys der Strokes zu Gute halten muss: Sie waren nicht ganz so lächerlich wie alles, was die nächsten Jahre im Zuge der sogenannten „The“-Band-Welle noch durch den Abfluss der Musikindustrie begleitet werden wollte.
– Linus Volkmann („Musikjournalist“)
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.