Pop-die Freiheit nehm ich mir!
Hot Chip, die heißeste Electro-Pop-Band der Gegenwart, lebt gar nicht in ihrer eigenen introvertierten Welt. Hinter den Kulissen geht bei ihnen nichts ohne Black Sabbath, Willie Nelson und R. Kelly.
Passionierte Stubenhocker, die zu Hause an Computern und Synthesizern sitzen und Minimal-Abstraktes austüfteln, sind der personifizierte Musikjournalistenalbtraum. Was sie zu sagen haben, liest sich wie die Gebrauchsanweisung für einen Synthesizer. Ist ein Interview mit Hot Chip also eine gute Idee? Bei ihnen steckt das Faible fürs technische Detail bereits im Bandnamen, und tatsächlich entstehen ihre Songs am PC der Bandgründer Joe Goddard und Alexis Taylor. Allerdings gibt es auch einige Argumente, die dafür sprechen, dass man es hier mit aufgeweckten, wachen Kerlchen zu tun hat. Hot Chip haben Maschinen so viel Seele eingehaucht wie lange keine Elektronikband mehr und darüber hinaus höchst unterhaltsame Livekonzerte gegeben. Joe, der joviale Wuschelbart träger, und Alexis, der nette Strebertyp mit der Brille, nennen sich in nerdigen Momenten schon mal Ulysses und Sophokles. Auf ihrem Debüt erwähnen sie explizit die Gebrüder Ween und Yo La Tengo, stellen sie weltbewegende Fragen wie: „Lately I’ve been staring in the mirror, don’t you ever wonder how the hell does Stevie Wonder see things?“ Das waren keine Marotten, dahinter steckt System. Hot Chip sind Popfans, verliebt in die Vielfalt.
Beim Interview in London werfen sie mit Namen nur so um sich, ziemlich unerwartete Namen. Joe sagt, er entspanne sich öfter mal zu „If You Leave Me Now“ von Chicago. Alexis erklärt, er würde gerne mal einen Song schreiben, der so gut sei wie „Against All Odds“ von Phil Collins. Das sind Balladen! Und von denen gibt es auf dem neuen, zweiten Hot-Chip-Album made in the dark auch einige zu hören. „We’re Looking For A Lot Of Love“ erinnert an R. Kelly. „Whistle For Will“ spielt auf Willie Nelson an, jenen Ex-Country-Outlaw, den Alexis für einen der besten Songschreiber überhaupt hält: „Es ist ein bewegendes Erlebnis, diesem Mann zuzuhören. Er ist unglaublich vielseitig. Seine Band aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern war gar nicht so auf Country fixiert. Der Schlagzeuger und der Bassist standen dem Soul viel näher. Und dann Nelsons Fähigkeit, der Sentimentalität immer nahe zu sein, ohne in sie abzurutschen. Einmalig!“
Viele Musiker bekennen sich höchstens widerwillig zu Einflüssen, die sie geprägt haben… „Wir reden gerne über Musik, die uns gefällt. Denn ich finde nicht, dass man Hot Chip diese Einflüsse anhört. Bei anderen Bands ist es viel offensichtlicher, denen merkt man sofort an, dass sie viel Postpunk gehört haben. Zu viel vielleicht.“ Der Seitenhieb kommt nicht ohne Grund. Obwohl Hot Chip selbst als irgendwie „indie“ eingestuft werden, besteht Chefideologe Alexis auf eine strikte Trennung: „Indie-Rock ist doch Müll. Schon die Benutzung des Wortes, indie‘ macht mich fix und fertig. Das ist kleingeistiger Kram für Snobs, die glauben, sie seien was Besseres. Gerade aus Britannien kommt da nur wenig richtig Gutes. Die Smiths waren toll, klar. Von New Order hin ich sogar Fan, sie haben melancholische Gefühle mit Hilfe von zeitgemäßer tanzbarer Musik ausgedrückt. Aber der Rest …?“ Nun, New Order sind ein gutes Stichwort…
Die bisherige Konsensmeinung zu eurem neuen Album geht dahin, dass ihr euch ein Stück weit in Richtung Rock bewegt habt. Ist das so?
Alexis Taylor: In zwei Songs sind Gitarren zu hören, vielleicht liegt es daran. In den vergangenen zwei Jahren hat sich bei uns aber nichts grundsätzlich verändert. Ich höre mir kaum elektronische Musik an. Joe ist da anders, und Felix (Martin) und AI {Doyle) sind es erst recht. Bei ihnen darf es schon mal in Richtung Techno gehen. Ich mag eben Soul oder Country, sowohl in klassischer als auch moderner Form. Von daher stehen sich in dieser Band all diese unterschiedlichen Einflüsse gegenüber. Wir verarbeiten sie wie Devo, nur andersherum. Devo machen Rockmusik, aber mit Synthesizern. Wir sind eine elektronische Band, die sich ein Stück von allen möglichen anderen Musikrichtungen nimmt, ob es nun Rock, Soul, Country oder Folk ist.
Und weiche Rockmusikerfinden euren Gefallen?
Royal Trux hatten eine Zeit lang die Angewohnheit, Schlagworte zu benutzen, durch die ihre schräge und schwierige Musik gleich hörbarer wurde. Manchmal war es der reinste Krach, aber durch Worte wie „JuicyJuicy Juice“ klang alles plötzlich klarer. Diese Idee gefällt uns vom Prinzip her. Wir haben uns während der Aufnahmen auch mal wieder mit Black Sabbath beschäftigt. Die gefielen mir schon früher. Sie spielten am Anfang lautes und primitives Zeug, ohne diese ganzen Gitarrensoli wie später im Heavy Metal. Wir überlegten uns, ob wir das womöglich verarbeiten könnten. Aber eines war wichtig: Wir wollten nicht wie diese ganzen Franzosen klingen, die meiner Meinung nach zu viel von der Ästhetik des Heavy Metal übernehmen. Bei Vitalic oder Digitalism ist es nur aggressiver Krach. Etwas mehr Feingefühl sollte man schon haben.
Ihr habt in „Shake A Fist ein Sample von Todd Rundgren benutzt…
Joe und ich finden Musiker interessant, die alles allein gemacht haben. Die alle Songs schreiben, alle Instrumente spielen, selber produzieren. Hot Chip bestehen aus fünf Leuten, keiner macht auf Diktator. Jemand wie Todd Rundgren ist das genaue Gegenteil, er ist ein Kontrollfreak. Wir finden es spannend, uns mit einem Typen zu beschäftigen, der so offensichtlich anders ist als wir. In gewisser Weise, und das mag sich komisch anhören, ist er aber doch wie wir. Er hat aus Brian Wilson und Soulmusik sein eigenes Gemisch zurechtgebastelt.
Und dann wäre da noch dieser Song, in dem es ums Wrestling geht: „Wrestlers“…
Die Welt sollte von diesem seltsamen Sport erfahren. Eines Tages saßen wir im Studio und warfen uns all diese Assoziationen zum Wrestling an den Kopf. Daraus ist ein Song geworden. Er sollte humorvoll, aber nicht albern sein. Ich habe mal gehört, dass der Rock’n’Roll-Produzent Jim Dickinson die Eigenart hatte, Aufnahmen am Montag gegen 17 Uhr abrupt zu beenden. Er ist dann zum Wrestling gefahren.
Was hat es mit dem Albumtitel made in the dark auf sich? Finster klingt die Musik ja nun wirklich nicht.
Es geht nicht um die Dunkelheit bei Nacht, ohne Licht. Es ist auch nicht der Zustand, den Bonnie „Prince“ Billy in „I See A Darkness“ beschreibt. Im Song „Made In The Dark“ geht es um die Dunkelheit, in der man sich befindet, wenn man mit einer Person sexuell verkehrt. In dieser Dunkelheit wird jeder Mensch geschaffen, sie hat also eine positive Bedeutung. Wir haben den Titel auch für das Album gewählt, weil er beschreibt, wie wir Musik machen. Vieles entsteht, ohne große Worte zu machen. Wir arbeiten oft intuitiv, improvisieren und bedienen uns der Reserven des Unbewussten. Nach dem Interview hat Alexis noch eine Empfehlung parat. Er schickt mich in einen kleinen Plattenladen in einer Seitenstraße von Camden. „Sounds That Swing“ heißt er und ist auf Musik der Fünfziger spezialisiert. Auf Rock’n’Roll. Und auf Garagenrock, der später kam. Alexis geht hier oft einkaufen, um darin kleine Nuggets zu finden, mit denen er seine Bandkollegen, Interviewer und nicht zuletzt die Fans bei nächster Gelegenheit überraschen kann. Pop ist eine Grabbelkiste, und wenn man schlau ist, macht man es wie Alexis Taylor: Man greift einfach hinein.
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