Pop Art


Die Pop-Kolumne von Dirk Peitz

Gefährliches Chartwissen: 23. Juni 2010, iTunes-Single-Charts Platz 64: Ke$ha, „Tik Tok“

Schon interessant, wie unmittelbar klar war, dass man Ke$ha scheiße finden müsste. Dabei schien es, als habe sie, 23-jährig gerade, bei ihrem Auftauchen in den Charts vor einem halben Jahr zunächst ja lediglich die vermeintlichen Hobbies zeitgenössischer High-School-Abgängerinnen in ein total verständliches Pop- und Verdienstmodell verwandelt, also symbolisch den permanenten spring break ausgerufen: saufen, ficken, göbeln, und am nächsten Tag alles wieder von vorne.

Die prinzipielle gesellschaftliche Ungerechtigkeit besteht allerdings darin, dass bereits im realen Leben solcherlei Verhaltensweisen bei Mädchen anders als bei Jungen bewertet werden, mithin das Mädchen für eine Schlampe und der Junge für einen Hecht gehalten wird. In der Parallelwelt der Popkultur gelten dann nicht nur die gleichen, sondern verschärfte Regeln für die verschiedenen Geschlechter: Es gibt mutmaßlich unter männlichen Popstars ebenso viele Alkohol- und Drogendelinquenten wie unter weiblichen, über letztere wird jedoch erheblich mehr berichtet; was möglicherweise daran liegt, dass Frauen auf ihren Dröhntouren den mitreisenden Paparazzi mehr Gelegenheit bieten, verschiedene Stadien von gut verkäuflicher Unbekleidetheit zu dokumentieren. Oder so ähnlich.

Einen ähnlich direkten Transfer gesellschaftlicher Konventionen in die Sphäre der Popkultur scheint es bei der Frage zu geben, ob und in welcher Form die Betroffenen Auskunft geben sollten über etwaige Eskapaden oder sich gar damit brüsten. Jungen wird das eher verziehen, man hält sie bloß für Angeber; zugedröhnte Mädchen hingegen verschlechtern dadurch ihren ohnedies gefährdeten Leumund in der Regel weiter. Wenn also Ke$ha in Liedtexten eine Vorliebe für allerlei rufschädigende Gewohnheiten referiert, ist die öffentliche Empörung darob demnach also strukturell die gleiche, die ihr auch entgegenschlüge, wenn sie derlei Geschichten bloß im Freundeskreis erzählen würde. Darüber hinaus erscheinen manche ihrer Behauptungen nicht plausibel: Wenn sie etwa singend beziehungsweise rappend behauptet, sie putze sich gern mit Jack Daniels die Zähne, so kann sie angesichts der Intaktheit ihres Gebisses diese Art der Zahnhygiene erst seit kurzem praktizieren. Oder so ähnlich. Ke$has Lieder sind natürlich trotzdem scheiße.