Pop Art
Die Pop-Kolumne
18. April 2010, iTunes-Single-Charts von 0 auf 1: Mehrzad Marashi (DSDS-Gewinner), „Don’t Believe“
Letztens in Berlin. Konzert vorbei, Raucherecke, paar Jungs stehen herum, jeder sein circa viertes Bier in der Hand, das Gespräch mäandert vor sich hin, kaputte Beziehungen, neue Platten, kein Geld – das Übliche. Dann fällt der Name Xavier Naidoo. Weil nach dem circa vierten Bier eben mal kurz gehasst werden muss. Einer gibt die übliche Standardbegründung dafür, warum man Naidoo angeblich guten Gewissens hassen darf: Mal abgesehen davon, dass die Musik ein Scheiß sei, nerve das Wolkige der Texte, dieses Gefrömmel, diese Pseudospiritualität, dieser Sinnsuchermist.
Man kann also super abschalten. Einfach zuhören, nicken, weitertrinken. Der Ablauf solcher Konzertnachbesprechungen ist so vorhersehbar wie der von Familienfesten und Zahnarztbesuchen. Was ja aber auch ganz angenehm ist, stete Wiederholung macht das Ritual, und Rituale sind immer noch besser als böse Überraschungen. Doch ausgerechnet in diesem Moment hört man sich selbst überraschenderweise einen Monolog anstimmen. Verdammtes viertes Bier.
„Hey Leute, aber der Naidoo war doch einer der ersten Vertreter von so was wie Migranten-Popkultur in Deutschland, nicht? Vorher gab es bloß zugezogene Schlager-Exoten und Stimmungskanonen, die Roberto Blancos dieser Welt. Und dann kam erst mal lange nichts. Eigentlich bis Moses Pelham. Als der Mitte der 90er auftauchte mit seinen Leuten mit so genanntem Migrationshintergrund, Sabrina Setlur und eben Xavier Naidoo, da wurden die zum ersten Mal sichtbar. Man kann über den Pelham ja denken, was man will, aber der hat Hip-Hop als Erster korrekt ins Deutsche übersetzt. Als Minderheitenkultur, die sich den Weg freipöbeln musste. Weil ja sonst niemand zugehört hätte. Dass daraus am Ende Aggro-Berlin wurde, dafür kann der Pelham ja nichts. Und der Naidoo war superwichtig dafür, dass die Kids, egal welcher Herkunft, gesehen haben: Da steht einer mit so genanntem Migrationshintergrund auf der Bühne und singt von Gefühlen. Auch deshalb kann heute ein Junge, der im Iran geboren wurde, „Deutschland sucht den Superstar“ gewinnen. Keine Ahnung wie der heißt, aber guter Junge. Halt DSDS. Hey, Leute: Haben wir früher nicht eine Migranten-Popkultur herbeigesehnt? Da können wir uns doch jetzt nicht beschweren, dass die Musik und die Texte uns nicht gefallen, ihr ignoranten Indie-Rocker!“
Stille. Allgemeines Kopfschütteln. Dann fragt einer: „Noch’n Bier?“ Und ein anderer, was denn der Job so mache.