Plattenschrank


Es ist ja nicht so, dass ALEX KAPRANOS and PAUL THOMSON sich einen Plattenschrank teilen müssten. Aber für uns haben sie einige der - wohl flicht wenigen, schließlich kennt man sich eine Weile - gemeinsamen Favoriten ausgesucht, die für sie und für ihre Band FRANZ FERDINAND wichtig sind. Wie sagt Herr K: "Vielleicht sollten wir mal über Dr. Alimantado sprechen:' Genau dafür sind wir hier...

Specials MORE SPECIALS (1980)

Alex: Ich finde ja alle Specials-Sachen großartig. Irgendwie gefällt mir aber MORE SPECIALS besser als das erste Album. Das Songwriting ist abenteuerlustiger, die Texte sind besser. Für mich fangen diese Platten einfach die Energie ein, die man als Jugendlicher hat. Außerdem war das ein wichtiger Aspekt meiner Kindheit, als das Two-Tone-Movement anrollte und plötzlich das ganze Land vor meinen Augen seinen Kleidungsstil veränderte. Sogar die Kinder in der Grundschule liefen plötzlich mit Dr.-Martens-Schuhen, Sta-Prest-Hosen und FredPerry-Shirts rum und schnitten sich die Haare ab. Das war schon alles ziemlich aufregend. Paul: Ich erinnere mich noch an „Melody Maker“ und NME aus der Zeit, die waren voll mit Anzeigen für Pork Pie Hats und … wie hießen die Schuhe ohne Schnürsenkel? Penny Loafers! Alex: Die Specials gibt’s ja wieder, sie touren. Ich glaub, wir spielen sogar ein paar Festivals mit ihnen. Aber ich bin gar nicht so scharf drauf, sie zu sehen. Wenn eine Band sich nach so langer Zeit wiedervereint, sind sie ja eigentlich nur noch eine Coverband ihrer selbst. Das Line-up ist mehr oder weniger original – bis auf Jerry Dammers, mit dem sie sich zerstritten haben und der ja das eigentliche Genie hinter der Band war. Er hat auch das grafische Konzept erfunden, mit dem Schachbrettmuster. Genial! Dafür hat er die Polizei abgekupfert! Der Name kommt ja von den Special Constables (Hilfswachtmeister; Anm.), das Schachbrettmuster von den Pohzistenkappen in England. Specials-Platten haben mich auf ganz viel andere Musik gebracht: Punk, früher Ska, Reggae – was ja eine ganze eigene Musikwelt ist… Vielleicht sollten wir mal über Dr. Alimantado sprechen.

Dr. Alimantado BEST DRESSED CHICKEN IN TOWN (1978) Paul: Er war ein Toaster aus Jamaica. John Lydon hat ihn quasi entdeckt. Der zog ja nach dem Ende der Sex Pistols auf eine Art A&R-Mission nach Jamaika los, rauchte einen Haufen Gras —und brachte dann Dr. Alimantado mit nach London.

Alex: Man verbindet Lieblingsplatten ja immer mit Phasen in seinem Leben. Die Specials sind für mich die Zeit, als ich so zehn, elf war. Dr. Alimantado verbinde ich mit der Zeit kurz bevor wir unsere Band gegründet haben, weil du sie damals hattest, Paul. Das war 2002, schätze ich. Paul: Ja. genau. Alex: Du hattest sie in der Sonne liegen lassen, sie war aufgebogen, und wir konnten von jeder Seite die ersten zwei Tracks nicht anhören. Aber den Rest hörten wir rauf und runter und fanden es völlig super. Diese Platte hatte großen Einfluss auf den Sound und die Haltung dieser neuen Band, die sich da formierte. Die Platte lag bei Paul in der Wohnung rum. Und du hattest mir auch ein paar Songs auf dieses Mixtape gespielt… Paul: Richtig. Wir haben damals Alex‘ Auto viel für die Band genutzt, um Equipment rumzufahren und so. Und dieses Tape war immer im Autoradio. Mit Dr. Alimantado drauf und … Judas Priest, „Breaking The Law“, haha! Alex: Und „Schlaraffenland“ von Carmen. Kennst du die? Eine deutsche Band … Bitte wer? Paul: Das Stück ist auf einer Platte von Gomma, dem Münchner Techno-Label. TEUTONIK DESASTER, eine Compilation mit obskuren Neue-Deutsche-Welle-Sachen. Nick (McCarthy, Franz-Ferdinand-Gitarrist) ist mit den Gomma-Leuten befreundet, er hat bei denen ja auch die Platte seines Projekts Box Codax gemacht. Und ganz am Anfang, als Nick quasi bei Alex wohnte, kam er mal mit einer Handvoll Platten an, und da war die dabei. Super Platte.

Josef K.

THE ONLY FUN IN TOWN (1981) Orange Juice YOU CAN’T HIDE YOUR LOVE FOREVER (1982) Alex: Diese zwei Platten gehören irgendwie zusammen, die sind wie ein Tandem. Beide von Anfang der 80er. Josef K. waren aus Edinburgh, Orange Juice aus Glasgow, die zwei Bands haben sich gegenseitig beeinflusst und später sogar Mitglieder getauscht. Beide Platten hatten einen ziemlich großen Einfluss auf uns, würde ich sagen. Da waren einige sehr komplexe musikalische Ideen – besonders bei Orange Juice-, die mit einem naiven Enthusiasmus aufgetischt werden, der das Ganze einfach perfekt macht. Wenn

so eine gewisse Komplexität allzu durchdacht daherkommt, kann das ja schnell aufgeblasen und schwülstig wirken. Aber bei denen war das so: “ Let ’s do it.! Egal, ob die Gitarre nicht richtig gestimmt ist, lass uns loslegen!“ Das ist doch viel anziehender.

Paul: Ja. sie hatten einen naiven Charme, eine gewisse Zartheit. Später gab’s dann mit Haircut 100 die aufpolierte Version dieser Art Musik… Alex: Ja. grauenvoll! Bei diesen zwei Bands hörte man auch, wo ihre Einflüsse herkommen – die waren ja so offen, da hörte man Chic, Velvet Underground, Bowie… Aber diese Einflüsse flössen dann durch den Filter dieser Bands zu etwas Neuem zusammen. Ich liebe das generell bei Bands: Wenn man spürt, was die Einflüsse sind, daraus aber etwas Eigenständiges wird. Paul: Einen Song wie „Sorry For Laughing“ von Josef K. würde ein „versierter“, routinierter Musiker ja nie und nimmer schreiben. Dem würden solche seltsamen Akkordwechsel ja gar nicht einfallen.

David Bowie THE RISE AND FALL OF ZIGGY STARDUST AND THE SPIDERS FROM MARS (1972) Alex: Die letzten Jahre hätte ich wohl LOVf und HEROES‘ als meine Bowie-Lieblingsalben genannt, aber momentan geh‘ ich wieder mehr zurück zu den früheren Sachen. Letztens hab ich mir mal wieder ZIGGY STAK-DUST angehört, und das ist so eine dermaßen verblüffende Platte, schon vom Songwriting her. Man wäre versucht zu denken, dass das eben so halbwegs konventionelle Rock’n‘ Roll-Songs sind-aber das sind sie absolut nicht! „Five Years“ zum Beispiel. Was für ein eigenartiger Song! Bowie ist ja generell ein eigenartiger Songwriter. Aber auch bei ihm hört man seine Einflüsse raus: Die Akkordfolgen sind nämlich zum Beispiel sehr Beatles-haft. Aber dann brechen sie aus in völlig andere Sphären, Bowies hocheigene weirdness transportiert das dann ganz woanders hin. Ich liebe das, wenn man bei Songs die Persönlichkeit des Songwriters spürt. Welches Bowie-Album würdest du denn nehmen, Paul? Paul: Ich würde schon sagen I.0W, zu dem kehre ich immer wieder zurück. Aber ich höre eigentlich selten das ganze Album, meistens entweder die eine oder die andere Seite. Alex: Ich auch. Die fühlen sich an wie zwei verschiedene Alben. Paul: Und STATION TO STATION natürlich. Großartige Platte. Sag mal, kann das sein, dass wir bisher nur Platten aus den 70ern hatten?

Alex: (amüsiert-alarmiert) Oh. Wähl mal eine aus den 90ern aus! Eine Herausforderung …

Daft Punk HOMEWORK (1997) und The Prodigy THE FAT OF THE LAND (1997) Alex: Eine faszinierende Platte, finde ich, HOMEWORK. Die kann man im Grunde zusammenspannen mit THE FAT OF THE LAND von The Prodigy. Wir hatten’s gestern erst davon: Wir saßen backstage rum, jemand hatte Prodigy aufgelegt, und Paul meinte, „Mann, das geht ja hier ab wie im Studentenwohnheim!“ Haha! The Prodigy und Daft Punk haben es damals geschafft, Rock- und Dance-Fans zusammenzubringen, in einer gemeinsamen Szene, einem gemeinsamen Umfeld. The Prodigy hatten halt eher einen rohen, punkigeren Ansatz, Daft Punk waren eher eleganter.

The Prodigy werden ja mitunter belächelt heutzutage.

Alex: Ach was, diese Platte war fantastisch. So dermaßen heavy! Extrem kraftvoll. Paul: Ich mag die. Wir mussten mal nach ihnen spielen bei einem Festival in Österreich, das war ganz schön einschüchternd. Sie sind unglaublich live. Alles reine Pantomime zum Sound aus der Dose, klar, aber ich liebe das. Ich stand nicht so sehr auf die Dancemusic in den 90ern – ich mochte gern die härteren Underground-Sachen, aber dieses ganze „Minstry Of Sound“-Zeug … Alex: Oh nein … (stöhnt) Paul: … das war ziemlich schrecklich. Die wirklich tollen Dance-Platten aus dieser Zeit haben nichts damit zu tun. Sachen wie The Prodigy, Underworld, Daft Punk …

Howlin‘ Wolf MOANIN‘ IN THE M00NLIGHT (1959)

Alex: Die ersten zwei Platten von Howlin‘ Wolf sind unglaublich. Songs wie „Smokestack Lightnin'“ und „I Asked Her For Water“ … Diese Band klang … böse. Das ist das richtige Wort: Howlin‘ Wolfs Musik mit dieser Band klingt böse. Der Blues an sich tut mir gar nicht so viel, aber ich liebe Howlin‘ Wolf. Seine Stimme, sein Vortrag, und wie er und Hubert Sumlin zusammen Gitarre spielen, was die zwei für einen Swing haben das hat alles etwas extrem Sinistres an sich. Das Witzige ist, dass Howlin‘ Wolf im wahren Leben der Straighteste war von diesen ganzen Bluestypen. Er war ja der große Konkurrent von Muddy Waters, und der war der Bad Guy – immer hinter den jungen Mädels her, Spieler, immer Ärger mit der Polizei. Howlin‘ Wolf war dagegen ein totaler Familienmensch, mit seiner Frau und zwei Töchtern. Er hatte zwar dieses Wilder-Mann-Image, war privat aber das Gegenteil.

Wie imagegesteuert das schon alles war, wo man klischeehaft denken könnte: Ja damals, die alten Bluestypen, die waren noch authentisch … Alex: Haha! Ja klar! Und in 40 Jahren heißt es: Ja damals, Bands wie Franz Ferdinand, die waren noch authentisch!

Captain Beelheart & His Magic Band TROUT MASK REPLICA (1969) Paul: In der Schule hat mir mal ein Bekannter TROUT MASK REPl.ICA gegeben und meinte: Das haut dir den Schalter raus! Und beim ersten Mal hören dachte ich nur: Was zum Teufel machen die denn da? Denken die sich das aus, während sie spielen — versuchen die überhaupt, zu spielen? Und dann las ich, dass die allein acht Monate dran gearbeitet hatten, sich diese Songs draufzuschaffen. Die mussten nämlich erst mal transkribiert werden. Beefheart schrieb – also: erfand die Songs, kloppte dieses schräge Zeug auf dem Klavier. Und dann war es der Job von John French, dem Drummer der Magic Band, das in Noten zu übertragen und dem Rest der Band beizubringen – und dieser Prozess dauerte acht Monate. Beim fünften Hören oder so von TROUT MASK REPLICA klickt es plötzlich in deinem Kopf und du kapierst, dass dieses Album ein absoluter Geniestreich ist.

VanousArtists NUGGETS: ORIGINAL AR-TYFACTS FROM THE FIRST PSYCHEDELIC ERA, 1965— 1968 (veröffentlicht 1972) Alex: Die NUGGETS-Compilation mit frühen amerikanischen Garagen-Psychedehc-Sachen gehört für mich in die Liste. Als ich anfing, selbst in Bands zu spielen, kamen dann so die ersten kleinen Gigs in Glasgow, und ich war noch recht unsicher. Und zu der Zeit hörte ich die NUGGETS-Sachen und kapierte: Hey, man muss nicht glatt und sauber spielen können, es geht auch roh und unpoliert, und das ist sogar aufregender! Paul: Ich hab gestern erst ein Stück davon gehört, von den Castaways …

Alex: „Liar Liar“! Mann! Das ist wirklich mal ein unkonventionelles Lied. Und was der Typ für einen Stimmumfang hat! Ich dachte früher, da singen ein Mann und eine Frau! Paul: Ich dachte lange, das sei Jefferson Airplane oder so.

Monks BLACK MONK TIME (1966) Paul: Diese Platte war komplett ihrer Zeit voraus, die klingt wie nichts aus dieser Zeit, als sie rauskam, 1966.

Wenn man die Doku über sie sieht – „The Transatlantic Feedback“ von 2007 – und man kennt sie nicht, ist das so abgefahren, dass man glauben könnte, das Ganze ist ein enorm ausgefuchster Hoax.

Alex: Ja. genau! Diese Typen! Paul: Ich hab sie vor zwei Jahren live gesehen, auf dieser Reunion-Tour. Gary Burgers Neffe spielte Keyboards und sang die Falsett-Teile, weil Burger nicht mehr hoch kam, aber ansonsten klangen sie wie früher. Der totale Star der Band war ja der Banjospieler, Dave Day, wie der abging! Das waren gar keine Noten, was der da spielte auf seinem elektrischen Banjo, das klang wie … wie Blech! Er ist vor Kurzem gestorben … Alex: Was ich an denen auch so bewundere, war die Entschlossenheit und Hingabe, mit der sie als Freaks auftraten. Paul: Haha, ja! Amerikanische Ex-G.I.s, die in Deutschland blieben und sich als Mönche verkleideten!

Alex: Und die sich Tonsuren in ihre Haare rasierten! Hallo?

1966? Unglaublich. Ich finde so was bei Bands extrem fesselnd. Bands, die sich ganz bewusst als Freaks, als Sonderlinge absondern, die sich dezidiert hinstellen und sagen: Nein, ich bin nicht wie du, ich bin nicht wie alle anderen – ich bin ein Freak. Gestern haben wir in Berlin gespielt, und im Backstage hingen Fotos von Bands, und da war auch eins von den Leningrad Cowboys mit ihren Frisuren. Ich liebe das! Die rennen so zusammen auf der Straße rum -wie großartig! Ich hab da einen Riesenrespekt davor.

Interview und Foto:

www.franzferdinand.co.uk