Platte des Monats
In einem ansonsten recht kargen Monat setzten sich Dexy’s Midnight Runners unangefochten an die Spitze. Mit den (noch) unbekannten Slickee Boys schaffte erstmals eine „Garagen-Band“ den Sprung ins Vorderfeld, während Wolf & Wolf CULTU-RESHOCKED auf der Strecke blieben. Die ersten 50 Neu-Abonnenten erhalten wie immer die Platte des Monats als zusätzliche Prämie. Siehe unsere Abo-Anzeige auf Seite 71.
Gastkritiker
Andreas Dorau, einer der Herz-Buben aus unserer Titel-Story, erläutert seine Wertungen wie immer charmant-diktatorisch. Donna Summer: „… wegen des guten Covers.“ Zapp: ,… weil sie gut in den 70ern stehengeblieben sind.“ Go-Go’s: „79er-New Wave-Schlagzeug.“ Dexy’s: „Hätten noch besser sein können.“ Bus Boys: .Uninteressante amerikanische Durchschnittssauberproduktion.“ Sein erklärendes Fazit: „Ich kann Reggae und Rockmusik nicht ausstehen!“ Neue Singles Großartig, wie in funky-Amerika gegenwärtig die 12 inches otpleasure‘ einer jeden Maxi-Single ausgepreßt werden: Club-Mix, Coctail-Mix, Rückseite elektronisch, oft dubwize aufgedonnert, zum Selber-Rappen oder einfach ’nur‘ zum Tanzen. Das Wichtigste bei der Flut an neuen Funkateers ist deren bedingungsloses Vertrauen in die 12 „-Single, die, meist von Indies vertrieben, auch der Flexibilität und den rasanten Stil und Stimmungs-Schwankungen am ehesten gerecht wird. Die Singles in diesem Monat beweisen, daß die Zeit reif ist für einen neuen, einen härteren Beat, eine härtere Gangart, einen unzensierten Rap auf: „…they’re talking about a recession /we allkn ow itjust means depression/what are we gonna do when theeconomy ’s got er ervsh on you/we’re talking about the Reaganomics …“ Das sind John und Billy Valentine, die Valentine Brothers, mit ihrem „Money’s too tight“, einem ungeheuer tiefen und aufwühlenden Song, der Parallelen zu den O’Jays (von vor ca. fünf bis sieben Jahren) aufwirft. „Money’s too tight“ (Bridge Records) ist ein Stück herausfordernder, organisierter und vor allem gezielter Militanz (statt wirrer Anarcho-Niederschrei-Parolen, also Clash ’82, Westkurve Olympia-Stadion, Abwärts etc.) – die notwendigste Single weit und breit!
Ein ganz neues Level in puneto Aktivismus und Agitation erreichen auch DJ Magic Ray und seine Undefeated Three, die über eine voll durchgetretene Bass-Drum und Echo und Synthie-vemebelte Percussions ihren „Unity Rap“ (Apexton) loslassen.
Nicht unbedingt die beste, aber mit Sicherheit die witzigste Single des Jahres legt Rieh Little mit „President’s Rap“ (Boardwalk) vor. Im Mittelpunkt steht – wieder einmal – Ronnie Ray-Gun, diesmal zusammen mit Nancy, seiner First Lady. Das ganze spielt im Weißen Haus und Rieh Little äfft die Stimmen der beiden täuschend echt nach: ,… / shot down hur Japanese hghting planes in 1944! Oh, that was in the Paci/ic? No, that was in…;Lassie comes hörne. Congratulations Mr. President, how you handle the air trallic control…“ Dazwischen werden immer wieder Lachsalven im Stil großer US-Talkshows eingeblendet und der 10minütige Dialog läuft über den vielverwendeten Backing Track von „Genius of Love“. Ach ja, und ganz am Ende gibt Ronnie noch das intelligenteste Statement seiner Laufbahn ab: ,1 should’ve stuck to showbusiness!“ Umwerfend komisch.
Komisch ist auch „Murphys Law“ von Cheri (auf Venture) mit seinem sanft rollenden Swing, einem Baß, den man sein Leben lang nicht mehr vergißt und Chorgesang wie bei den kleinen Strolchen (Flüstertüte oder Vocoder?). Vollgepumpt mit technischen Gimmicks „Don’t Make Me Wait“ von New Yorks Peech Boys (West End), ähnlich zwingend wie „Murphys Law“, also ein gebremster und wunderbar ausbalancierter Groove, der eigentlich nur von den verführerisch weichen Harmoniestimmen und den blubbernden Hall und Echo-Spielereien bestimmt wird. __ oh I desire you/don’t make we wait, don’t make me wait another night/tonight I’m gönne love you, uh-huhu-uhh…“ Das ist Gesang!!! „Don’t Make Me Wait“ gehört in die besten Clubs, für eitle Menschen, die sich gerne gut anziehen! Die Sex-Single von der Band mit dem besten Namen des Monats. Auch „“Firne“, das Debüt von Stone (Ariola), könnte eine wahre Club-Hymne werden. Der Song beginnt mit tickenden Synthie-Effekten und fällt dann in einen regelrechten Shuffle, hat ein todsicheres Hook it’s thehook thatmakesyoucook!und ist abenteuerlich abgemischt. Am Schluß noch ein Hinweis auf Grandmaster Flash’s Neueste, „Flash To The Beat“ (Sugarhill), eine arge Enttäuschung, sein erster Flop, und fünf goldene Sterne für die Teldec, die – allerdings mit 6-monariger Verspätung (und wer will so lange warten?) -Flash’s excellente Version von „Genius of Love“ (besser als das Original!) und D-Trains lloorstomper „You’re The One For Me“ ins Programm genommen hat.
Ulli Güldner Den richtigen Song zur rechten Zeit bringt eine mysteriöse Figur namens Taco ein, der sich an Irving Berlins „Puttin‘ On The Ritz“ erinnerte und davon eine moderne Tanz-Version mit allen Tricks und Raffinessen einspielte. Sehr stimmungsvoll, nie langweilig und mit leichtem Residents-Einschlag (RCA). Ohne Saxophon, doch mit exotischer Percussion die zum Quartett geschrumpften Psychedelic Fürs und „Love My Way“. Todd Rundgrens Produktion schuf ein verklärtes Pop-Werk, das nicht auf Anhieb ins Ohr findet, mit etwas Zeit und Ruhe jedoch an Klasse gewinnt, allein schon durch Butler Rep’s gefühlvolle Stimme (CBS).
Auch Pop, doch wesentlich populärer, kommt auf der neuen Single vom Tom Tom Club : Ihre Version des Dnfters-Songs „Under The Boardwalk“ hat die leichtfüssige Rhythmik des Sommers, kombiniert mit den Mädchenstimmen der Weymouth Sisters.
Das amerikanische Ralph-Isabel bringt zum zehnjährigen Bestehen zwei Maxi-Singles mit älterem, doch gutem Material: Ttucedomoon mit „What Use? (Renüx)“, B-Seite auf keiner LP, und Yello mit „Bimbo“ (über IMS). Auch aus den USA und schon als Kuriosität gefeiert: die Bad Brains, ein Quartett aus vier Rasta-Glaubigen, die auf der A-Seite ihrer 12″ mit „I Luv I Jah“ Reggae made in New York spielen, auf den drei Songs der B-Seite aber ihre anderen Vorlieben zeigen und, so schnell und hart wie (für Rastas) möglich, Punk spielen. Absolut merkwürdig (über IMS).
Sehr gut (LP wurde im letzten Heft gelobt): The Go-Betweens und „Hammer The Hammer“. Wieder mit beatartiger Leichtigkeit und emotionalem Nachdruck. Ähnlich den ganz frühen Talking Heads (Rough Trade/DRP).
Epmfehlenswert auch die belgische Formation Soft Verdict mit „At Home“/“Not At Home“, zwei langen Instrumentalnummem, deren klassisches Flair an eine Kreuzung zwischen dem Penguin Cafe Orchestra und Steve Reichs avantgardistischer Minimal-Musik denken laßt (Crepuscule/DRP).
Neu aus Deutschland: DAF mit ihrer Antwort auf Nicole’s „Ein bißchen Frieden“. Natürlich klingt „Ein bißchen Krieg“ wie ein makabrer Witz, aber die D AF-Philosophen werden es schon zu erklären wissen. Für NdW-Sammler: Die Gruppe Eigelb mit „Ich bin verrückt nach dir, mein Kind“ Erstauflage in Orange-Vinyl. Musik: fünfziger Schlager, modem gefeilt (Phonogram).
Der Hit dieser Reihe gehört den Zimmermännern: „Erwin, Das Tanzende Messer“ tickt im flotten Disco-Rhythmus, mit dabei am Clavinet: Funk-Spezialist Patrick Gammon von Gammarock. Westcoast für die Disco, traurige Geschichte und durchweg für deutsche Verhältnisse überragender Gesang (ZickZack). Eine Kollaboration von Ziggy XY (Kosmo’traum) und Ralf Hertwig (Schaumburg) nennt sich Bergtraum. Viel Getrommel und hilfloser Sprechgesang, ich find’s langweilig. Das Synthi-Riff von „Almenrausch“ klingt außerdem nach „Es geht voran“ (ZickZack).
Auf gleichem Label und ebenfalls monoton sind Kieutzer mit der 12″ „Lieblingsfarbe“. Ihre Gesänge (Chants) gestalten die Rhythmen allerdings recht interessant, so auf dem besten Stück „Arientanz“. Gut, aber schnellebig.
Kai Falke