Pixies: Elfen unter Druck


Noch heute gelten die Pixies in weiten Kreisen als maßgebliche Alternative-Band. Auch wenn ihre Karriere nur fünf Alben und fünf Jahre gedauert hat.

Am Anfang stand das Album „Come On Pilgrim“, erschienen Ende 1987 auf dem renommierten britischen Label 4AD, zusammengeklopft von Black Francis (Gesang, Gitarre), Kim Deal (Bass, Gesang), David Lovering (Schlagzeug) und Joey Santiago (Gitarre) an einem langen, ungemütlichen Wochenende in Fort Apache. Dieses Debüt-Mini-Album allerdings trägt nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der insgesamt 18 in Fort Apache aufgenommen Tracks war bislang noch nie offiziell veröffentlicht worden; alle 18 Stücke kursierten nur als ehrfürchtig „The Purple Tape“ genanntes Demo in Fankreisen. Nun liegt mit „The Pixies“ (Cooking Vinyl/Indigo) die offizielle Veröffentlichung der zweiten Hälfte des „Come On Pilgrim“-Albums vor. Sicherlich keine Offenbarung, aber energisches und energetisches Dokument einer revolutionären Band in ihrer hungrigsten (und verfrorensten) Phase. „Ich habe mir fast den Arsch weggefroren. Soweit ich mich erinnere, war es kalt, als wir ankamen, und mit der Zeit wurde es immer kälter und kälter und kälter. Und wir hatten wenig zu essen. Sehr wenig“, erinnert sich David Lovering. Anders als vielfach kolportiert war das dabei entstandene „Purple Tape“ alles andere als ein Demo. Frank Black: „Es war uns damals völlig fremd, in Kategorien wie ‚Demo‘ oder ‚LP‘ zu denken. Wir wollten unsere Stücke aufnehmen und veröffentlichen. Wenn wir keine Plattenfirma gefunden hätten, hätten wir die LP selbst herausgebracht. Definitiv.“

Es gibt keinen Anlass, an seinen Worten zu zweifeln. Frank Black (wie sich Charles Michael Kitridge Thompson jetzt nennt) ist der Mann mit dem Masterplan. Er schrieb die Pixies-Songs, er schrieb die Pixies-Texte und er wusste, wo er lang wollte. Zumindest seit er Musik als seine Bestimmung erkannt und anerkannt hat. Aber auch der Weg dahin war vergleichsweise kurz. Mitte der Achtziger studierte Charles Thompson auf der Amherst University in Massachusetts, ohne Plan und ohne großes Ziel. In seiner Freizeit trifft er ab und an einen Kumpel aus College-Zeiten, den gebürtigen Phillipino Joey Santiago. Bevorzugtes Gesprächsthema bei ihren Zusammentreffen: Wie es denn wäre, was man denn täte, wenn man eine Band hätte. Bis an jenem Tag diese Dame in Charles“ Spanischkurs auftaucht und fragt, ob denn jemand Lust hätte, für ein Jahr nach Puerto Rico zu gehen. Thompson hat zwar keine große Lust auf Puerto Rico, aber große Lust zu gehen. „Meine Art to join the army'“, meint er rückblickend. Puerto Rico und Thompson konnten sich aber nie so recht miteinander anfreunden, und so zog es den Austauschstudenten weiter: „Ich wollte nach Neuseeland, um dort den Halley’schen Kometen zu beobachten, den man angeblich dort besonders gut sehen konnte. Aber eines Abends quatschte ich ein bisschen mit einem Mitstudenten, es ging darum, was wir mal beruflich machen wollten. Ich sagte, dass ich Musiker werden wollte, und er fragte mich, warum ich das dann nicht einfach täte. Da hat es bei mir irgendwie ‚klick‘ gemacht. Am nächsten Tag schrieb ich einen Brief an Joey: „Ich komm zurück, und wir gründen eine Band. Treffen wir uns in Boston. ‚Mein Gott, wie oft in meinem Leben hab ich einen Brief geschrieben!“

Für manche Leben reicht ein Brief. Joey Santiago war einverstanden mit dem Plan, packte seine Gitarre und traf sich mit Charles in Boston. Via Anzeige im „Boston Phoenix“ fahndeten die beiden im Sommer 1985 nach einem Bassisten und einem Drummer für eine Band zwischen „Peter, Paul & Mary und Hüsker Dü“. Die einzige Antwort kam von einer Dame namens Kim Deal. Sie hatte nach Boston geheiratet, hatte es aber im heimischen Dayton schon zu lokaler Berühmtheit gebracht – mit ihrer Schwester Kelley als Folk-Duo The Breeders, das immerhin mal eine Show für Steppenwolf eröffnen durfte. In Boston machte sie eher durch Drogen- und Alkoholexzesse von sich reden, sie war so ziemlich das Gegenteil vom nüchternrationalen Charles Thompson. Aber Kim wollte als Einzige in Boston bei den Pixies (Joey Santiago war auf den Namen gekommen) mitmachen und brachte sogar noch einen Drummer in die Band: Dave Lovering, auch bereits in anderen Bands aktiv gewesen.

Von Anfang an war klar, wer das Heft in der Hand hatte. David Lovering lässt keinen Zweifel aufkommen: „Die Pixies, das war Charles‘ Band. Erbrachte die Lieder mit, spielte sie uns auf der akustischen Gitarre vor. Manche behielt er aber auch für sich. Ich kam mit dieser Ego-Tour eigentlich recht gut zurecht. Klar, manchmal habe ich schon gedacht, dass meine Idee jetzt besser gewesen wäre. Aber man konnte sich schon einbringen, und vom Publikum und von den Medien wurden die Pixies ohnehin in erster Linie als Band wahrgenommen.“ Anfangs war die Akzeptanz noch sehr gering, aber sie wuchs rasant, und Charles Thompson, der sich inzwischen Black Francis nannte, berauschte sich an den ersten Wellen der Anerkennung, die an ihn heranschwappten. Er erinnert sich: „Songwriting war das erste richtige Erfolgserlebnis in meinem Leben. Ich war so erregt davon. Ich kann Songs schreiben! Sie kamen einfach aus mir heraus, ganz natürlich, wie von selbst. Und sie waren offensichtlich nicht schlecht.“

Und die Pixies wurden gebucht. Im Sommer 1986 spielten sie ihre ersten Gigs, erst in „Jack’s Lounge“, dann im „Rat Club‘. Akquiriert hatte die Konzerte Gene Walsh, ein Mädchen aus der Band-Clique, das als Managerin auftrat. Und immer noch mit Frank Black verheiratet ist. Von den Management-Aufgaben hat es sich inzwischen zurückgezogen, die übernehmen nach den ersten überraschend erfolgreichen Konzerten andere: Ken Goes wurde Manager (und ist für Frank Black immer noch), und Gary Smith, ein örtlicher Produzent, lud die Pixies ein, in seinen Fort-Apache-Studios aufzunehmen. Die Ergebnisse dieser Session machten Furore. Das britische 4AD-Label hatte das Potenzial der Songs erkannt und die Hälfte von als „Come On Pilgrim“ veröffentlicht. Für das nächste Album „Surfer Rosa“ engagierte die Firma den Produzenten Steve Albini. Ein Glücksgriff für die Pixies, wie Dave Lovering bestätigt: „Steve Albini redete uns nie bei der Musik drein. Das Einzige was er tat war, dass er uns noch weiter in die Richtung trieb, in die wir eh gegangen wären. Ich kannte damals weder ihn noch seine Band Big Black. Aber er verpasste uns einen fantastischen Sound.“ Und er machte zusammen mit der Energie der jungen Pixies „Surfer Rosa“ zum immer noch gleißenden Highlight der Bandgeschichte. Denn genau genommen ging es von da an schon wieder abwärts mit den Pixies – die folgenden Alben erreichten nie mehr die Klasse von „Surfer Rosa“, die Band zerrieb sich in inneren Spannungen und am Druck von außen. Frank Black: „Ich wünschte, man hätte damals von Seiten der Plattenfirma etwas weniger Gas gegeben. Ich wünschte, jemand aus dem inneren Kreis um die Band hätte gesagt: .Langsam, langsam‘.’Wir waren zu unerfahren, und die Firma wollte Geld mit uns verdienen – alle neun Monate ein Album, dazwischen auf Tour. Und die Leute machten sich Sorgen, ob nicht meine Freundin zu viel Macht über mich hätte, anstatt sich um die Qualität unserer Demos zu kümmern. Hätte man uns mehr Zeit gelassen, hätten wir vielleicht länger durchgehalten.“

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