Phillip Boa
Also so, wie ich mir das vorgestellt hätte“, brummt ein perplexer Brite, der, wie alle andern auch, trotzdem bis zum Ende blieb, „so war’s überhaupt nicht.“ In der Tat: Boa brachte eine Abenteuerwut auf die Bretter des inzwischen doch recht mainstreamigen Marquee, wie’s die Zuschauer seit Monaten nicht mehr erlebt hatten.
Es begann mit dem Genie-Streich, die eingesessenen Bardamen des Ortes – ihrem blondierten Bon Jovi-Drang zum Trotz – in Boa-Shirts zu verpacken: ein echter Kulturschock für die Lokalbevölkerung. Kaum weniger unorthodox sein musikalisches Selbstverständnis, das mich in vielen Punkten an seine Landsleute von Amon Düül erinnert, die vor fast 20 Jahren ebenfalls auf der Marquee-Bühne standen: Zum Beispiel der Sinn für musikalischen Humor, der zudem noch die britischen Rock-Klischees gänzlich ignoriert. Selbst wenn er dann in knautschleder-dunklen Gruftimontur auf die Bühne schleicht und sich letztlich doch dem Vokabular angelsächsischer Stilsprache zu fügen scheint, ist er gerade deswegen so witzig, weil an seinem Verhalten etwas nicht stimmt. Da sind die Buchstaben durcheinandergekommen, wenn auch die Worte stimmen. Er bringt die Gesten eines lakonischen Nachrichtensprechers dann, wenn dem Image nach die Fetzen fliegen mußten. Vom Überraschungseffekt zehrt Boa mehrere Songs lang: „Happy Spider“, „Skull“, „Primitive Children“, „The Tragic Mastery Of Stockhausen“ – ob alt oder neu: Was fesselt, ist die absolut organisch wirkende Andersheit der Musik. „Sein größtes Plus ist“, meint der Mann vom Melody Maker, „daß er uns zu verstehen gibt, daß da drin eine Menge Ideen herumsausen – obwohl es dann nicht klar wird, worin genau diese Ideen bestehen.“
Daß die perkussionsdomimerte Band – selbst Baß und Keyboards werden des öfteren zum klappernden Rhythmuseinsatz gebeten – wesentlich dynamischer sein könnte, ist nicht so wichtig. Es steckt dem Publikum genug Unkonventionalität in dieser kuriosen Songschreiberei, daß munter applaudiert, gar geslamdanced wird.
Der Grad wohlwollender Zustimmung wird erst mit Song Nummer 11 überschritten: „Albert Is A Headbanger“ ist eine Entgleisung der grandiosen Art. Gleich im Anschluß „Container Love“, wo Pias ungelenker Gesang (der sich bis dahin in seiner flüsternden Falschheit schwertat) endlich die rechte Tonlage findet. Die Zugaben sind derart gewaltig, daß der Schreiber dieser Zeilen glatt das Aufschreiben der Titel vergißt… Im Rückblick: ein frustrierender Gig, gerade wegen seiner Qualitäten: Soviel war angedeutet, nicht aber präzis ausgearbeitet. Trotzdem hieß es dann im Melody Maker: „Phillip Boa & The Voodoo Club erinnern uns auf feinste Weise daran, was Rockmusik noch erreichen kann in den Fingern von empfindsamen menschlichen Wesen.“