Phillip Boa
Sag‘ zum Abschied leise „servus“. auch wenn’s nur ein kaum hörbar hingekrächztes „Tschüß“ ist. Deutschlands Pop-Querkopf, ohnehin keine Sanges-Nachtigall. laboriert an entzündeten Stimmbändern. Boa hat sechs Langspielplatten samt dazugehöriger Tournee in nur fünf Jahren hinter sich gebracht. Vor ihm muß nun eine Pause liegen — das spüren trotz aller Kraft und Freude auf der Hamburger Bühne auch seine treuesten Fans. Kein Zweifel — der Kampfer-Sanger aus Dortmund hat seinen kreativen Höhepunkt erreicht, aber auch seinen Wendepunkt. Knapp zwei Stunden lang fügen sich die Songs aus dem Voodoo-Repertoire zu einem musikalischen Gesamtkonzept, das mittlerweile wirklich stimmig ist. Boa hat die goldene Mitte gefunden — die alten Stücke kommen homogener denn je daher, die glatteren Kompositionen der beiden letzten LPs werden live ein Stück rauher gespielt als auf Platte. Boa findet den gemeinsamen Nenner von Kunst und Kommerz. Punk-Hauer wie „Kill Your Ideals“ widersprechen sich nicht mit Pop-Ohrwürmern von HELIOS.
Noch nie hatte der Voodoo-Club so viele Wunderlampen mit auf Tour — Dia-Projektionen, beleuchtete Gaze-Schläuche, jede Menge High-Tech-Funzeln. Doch Boa avanciert damit dennoch nicht zum Sonnengott des gesamtdeutschen Pop-Olymps, dafür sorgt schon seine ungebrochen spröde Bühnenpräsenz. Eine fast krankhaft gestörte Sensomotorik treibt ihn immer wieder dazu, seine Plexiglas-Gitarre zu mißhandeln, bei der zweiten Zugabe entdeckt er gar den Macho in sich, mimt den Raimund Harmsdorff für Oberschüler und verbiegt den Mikro-Ständer.
Gesungen wird nicht viel an diesem Abend, denn neben Boa hat auch Bühnen- wie Lebens-Partnerin Pia kaum eine Chance, mit angegriffener Stimme die auf Platte schon eher erotisch gehauchten Verse von „Container Love“ und „And Then Shc Kissed Her“ gegen die prächtig aufspielende Band durchzusetzen. Einen echten Boa haut das aber nicht um — er hat sich schon durch ganz andere Stimm-Tiefen durchgekämpft. Doppelter Glücksgriff ist die Besetzung an den sechs Saiten: Der Brite Ted Chau (Ex-P.I.L.) ist nicht nur allererste Wahl zwischen Rhythmus, Slide und Akustik-Gitarre, er gibt mit seiner perfekten Chor-Stimme auch gleich den Retter in der Sanges-Not bei Boa und Pia ab. Doch auch bei der HELIOS-Tour gilt: Gesang ist nur ein Element von vielen in dem Gesamtkuastwerk. als das sich Boa gemeinsam mit den zwei Briten (Dave Ball am Baß) und dem Voodoo-Trommelzweier immer wieder selbst zelebriert.
Das Konzert zeigt deutlich, wo Boa heute steht — auf dem Zenith seiner eigenen Geschichte, aber zwischen allen Stühlen von Pop und Avantgarde. Im September, wenn der aktuelle Tour-Mitschnitt als Doppelalbum EXILE ON LA VALETTA STREET im Laden steht, wird sich Boa im Exil auf Malta überlegen müssen, auf welchem dieser beiden Stühle das „Arschloch der Nation“ in den nächsten Jahren am besten sitzt.