Peter Tosh – „I’m the toughest“
Arrogant und unnahbar wirkt er zunächst. Besonders dann, wenn er seine Heimat gegen das kalte und ungeliebte "Babylon" vertauschen muß. Auch auf seiner jüngsten Tournee machte Peter Tosh keinen Hehl daraus, daß die westliche Welt für ihn das "Shitstem", also das "Shit-System " verkörpert. Daß hinter der abweisenden Fassade aber ein aufgeschlossener Mensch steckt, konnte Ulli Güldner feststellen, als er den "Buschdoktor" fünf Tage lang auf seiner Tournee begleitete ..
„I and I don’t like posing in the streets“, räsoniert Tosh mürrisch, schlägt den Kragen seiner leuchtend roten Windjacke hoch und steuert eilig auf das bereitstehende Fahrzeug zu, um sich vor den Blitzlicht-Attacken des allzu aufdringlichen Fotografengeschwaders in Sicherheit zu bringen. Mit Höllentempo rast der Wagen durch die verschlafene Brüsseler Innenstadt zurück zum Airport-Hotel.
Nach zweijähriger Konzertpause fällt heute Abend der Startschuß für den zweiten Eroberungsfeldzug durch babylonische Gestade. Noch ist die Stimmung gedrückt, Zeit und Temperaturunterschied fordern Tribut unter den soeben eingeflogenen Mitgliedern von Toshs „World Sound And Power-Crew“. Sly und Robby verziehen sich mißmutig in ihre Zimmer, die Tamlins ärgern sich über die hundsmiserable Qualität der flämischen Küche, Robby Lynn wähnt sich beim Währungsumtausch geneppt, und lediglich Gitarrist Derryl Thompson findet dank excellenter Französisch-Kenntnisse Gelegenheit zu einem ausgiebigen Flirt mit der Brüsseler Damenwelt. Den Informationshunger der zahlreich erschienenen belgischen Kollegen in Einzelgesprächen zu stillen, lehnt der „Minister of Herb“ nonchalant ab, und so trommelt sein Manager den ganzen Journalisten-Troß zu einer gemeinsamen Pressekonferenz zusammen.
Schon Peter Tosh’s Präsenz löst ein ehrfurchtsvolles Schweigen im weiten Rund aus. Die Vertreter der schreibenden Zunft nehmen zögernd auf den ihnen zugewiesenen Sitzflächen Platz und starren gebannt, wie das Kaninchen auf die Schlange, zu ihrem regungslos zusammengekauerten Interviewpartner hinüber. Die obligatorische Frage nach dem Ableben von Bob Marley wird auch postwendend mit einer barschen Richtigstellung quittiert. „I and I don’t deal with dead, I deal with life!“, nimmt der dem ersten Fragesteller den Wind aus den Segeln und obendrein auch den Mut, die Konversation fortzusetzen.
„Peter“, kommt es kleinlaut aus einer anderen Ecke, „was veranlaßt dich, unser herrschendes System als shitstem zu titulieren?“ „Nun“, lächelt Tosh verständnisvoll, „es existieren Vokabeln in der englischen Grammatik, die das Individuum herabsetzen. Da ist beispielsweise die Rede von understanding. Wir, als Rastafarians, haben dieses Wort doch overstanding ersetzt. Was bedeutet denn überhaupt to understand? Doch höchstens, die Vorschriften der Gesetzgeber kritiklos anzuerkennen! Nenne mit einen einzigen Staat, in dem die regierende Obrigkeit ihre Position nicht durch Korruption und Unterdrückung behauptet“, holt er zu einem Rundumschlag gegen das westliche Establishment aus. ‚Shitstem‘ ist somit mein Sammelbegriff für die Funktionäre der manipulativen Klassenhierarchie, die ihre Polittricks nach kolonialistischem Vorbild einfädeln. You overstand?“ „Aber hat denn dein Kreuzzug gegen die Machenschaften des shitstems schon Früchte getragen“, gibt sich der Pressevertreter mit der erhaltenen Umschreibung noch nicht zufrieden. „Für was kämpfen denn all diejenigen, die in Babylons zensierten Massenmedien als Idealisten, subversive Elemente oder schlicht als Terroristen gebrandmarkt werden“, kontert Tosh wild entschlossen. „Für Menschenrechte“, bricht er nach einer kurzen Pause das andächtige Schweigen. „Meine Musik löst eine ähnliche Reaktion aus, und dessen sind sich die Autoritäten voll bewußt.“
Nun geht ein wahrer Redeschwall über die konzentriert lauschende Journalistenschar hernieder. Tosh schöpft aus einem schier unerschöpflichen Füllhorn an zumeist sorgfältig zurechtgelegter Anschauungen und Definitionen. Er entpuppt sich als ein brillanter Redner, der sein Manifest, in Parabeln verpackt, mit bewundernswerter Schärfe und ausgeprägtem Sinn für abstrusen Humor rezitiert. Noch immer der absolutistische Nonkonformist, bereit, das Todesurteil über Babylons ketzerischen Häuptern zu fällen, ist er dennoch mit ausreichender Finesse gesegnet, um im gleichen Atemzug auch jovial mit leicht verdaulichen Allerweltsthemen zu kokettieren. JHerb is the healing of the nations“, stellt er mit erhobenem Zeigefinger klar und beginnt dann sein ungläubig dreinblickendes Gegenüber mit einer süffisanten Anekdote von der Wirksamkeit der getrockneten Sensimilla-Blätter zu überzeugen. „Im Verlauf meiner letzten England-Tournee lernte ich ein junges Mädchen kennen, das sich mit schwerem Asthma herumplagte. Die intervallartig auftretenden Anfälle waren von solcher Heftigkeit, daß sie regelmäßig ins Koma verfiel und mich schließlich in meiner Eigenschaft als bushdoctor um Hilfe bat. Ich versorgte sie mit zwei Tropfen eines selbstgebrauten Heilmittels, und seit diesem Tag sind ihre Atemwege wieder vollkommen frei. Serious thing!“ schiebt Peter Tosh sogleich bekräftigend nach, während die genannten Vertreter der öffentlichen Meinung bemüht sind, die Bestandteile der erwähnten Tinktur zu enträtseln.
„Herbie“, deutet er auf seinen Manager, „besitzt sogar ein Zertifikat der Weltgesundheitsbehörde, die noch immer nach der Zauberformel fahndet. Yeah mohn, Jah made herbs.“ fahrt er siegesgewiß fort und untermauert seine private Heiltheorie sogleich unter Zuhilfenahme eines biblischen Gleichnisses: So wie Jah die Botanik unseres Planeten der Tierwelt als Grundnahrungsmittel zugeteilt hat, so versorgt er die Menschen, die höchste Gabe seiner Schaffenskraft, mit segensspendenden Heilkräutern. „Wer will mir nun also weismachen, daß herbs gesundheitsschädlich sind“, setzt er in drohendem Tonfall hinzu. „Diejenigen, die den Ganja-Genuß als illegal deklamieren, verstoßen gegen die rechtschaffenden Gesetze des Allmächtigen. Die Errungenschaften modemer Medizin … pfft! Stellt euch doch nur einmal einen Rastamann neben einem Zeitgenossen der westlichen Hemisphäre vor“ – ein höhnendes Grinsen huscht über Toshs Gesicht – „beide vierzig Jahre alt, aber die anatomischen Unterschiede sind gravierend. Der Zivilisationsmensch muß regelmäßig den Doktor konsultieren, seine Konstitution ist von chemischen Präparaten abhängig, während sich der Rasta, dank wohldosiertem herb-Gebrauch, physischer, moralischer und spiritueller Gesundheit erfreut! Warum also untersagt die shitstem-Administration den Konsum unserer göttlichen Pflanze? Ich will es euch sagen“, klärt er die beifällig zustimmenden Anwesenden auf: „Die Gesetzgeber ziehen es vor, die Menschheit in Unwissenheit und Depression siechen zu lassen, denn das bricht jegliches Aufbegehren. Eine genesene Nation würde sich auflehnen, Mediziner und Krankenhäuser wären dann überflüssig!“ Mit einem optimistischen „I hope you will overstand“, erklärt er anschließend die Audienz für beendet, D aß der „minister of herb“ sich durch die Wirkung, die sein hingebungsvolles Referat auslöste, spürbar beflügeln ließ, das durften die Festivalbesucher wenige Stunden später im erstaunlich schwach besuchten Stade Communal feststellen. Obwohl seine Band seit nahezu einem Jahr keinen Gig mehr absolvierte und das Live-Repertoire erst wenige Tage vor Tourneebeginn mit drei Proben eingepaukt wurde, funktionieren Zusammenspiel und Interaktion mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit. Peter Toshs Set ist ein Streifzug durch sein bewegtes Gefühlsleben, hemmungslos in seinem Verlangen, alle Erfahrenswerte der Vergangenheit zu absorbieren. Er gräbt uralte Mythen aus, Menelig und Selassie passieren in plakativen Würdigungen Revue, geschichtliche Tragödien eines Jahrhunderte alten Guerillakrieges werden zu neuem Leben erweckt, telepathischer Glaube prallt auf nüchternen Realismus.
Man hatte ihn schon nahezu abgeschrieben, aber jegliche Befürchtungen, daß er im Fahrwasser der Stones-Entertainment-Maschinerie zu einem kompromißbereiten Uptown-Rebell pervertiert wäre, strafte er an diesem Abend Lügen. Abgesehen von Thompsons jaulender Heavy-Gitarre, die eine Brücke zur europäischen Musikkultur schlägt, zeigt er sich gegenüber fremden Ausdrucksformen resistent. In eine afrikanische Robe gehüllt, mit Kopftuch und Schweißerbrille bestückt, schreitet er über die Bühne, flucht wie ein Weltmeister, hat Mühe sein brodelndes Temperament zu zügeln und diktiert das Geschehen so uneingeschränkt wie einst Dschinghis Khan seine Kavallerie-Regimente. Ingrimmige Besessenheit und erhabene Würde ergeben eine charismatische Persönlichkeit, an deren Seite selbst die Plasmatics wie ein durchgebranntes Häuflein vorpubertärer Halbwüchsiger wirken würden.
„Don’t underestimate my abilities – don ‚t defame my character/don’t belittle my autority/it’s time that you recognize my quality … Yeah mohn“, raunt Peter Tosh noch sichtlich von der begeisterten Publikumsreaktion umgarnt, als wir schließlich zum reasoning unter vier Augen zusammentreffen. „Ein Anfang ist gemacht. Jah-Music, Reggae-Music as far as I can see… Reggae ist Fernhypnose, du spürst die Wirkung nicht nur in den Beinen oder beim Mitklatschen“, resümiert er. Und hier findet sich Tosh schlagartig in der ihm aufoktroierten Rolle als Pop-Messias wieder, dessen vorformulierte Belehrungsarien die ganze Routine unzähliger US-Interviewtermine aufblitzen läßt. Es ist nicht einfach, ihn aus dieser verbalen Reserve zu locken und es gelingt glücklicherweise in dem Augenblick, als Rhythmusgitarrist Steve Goulding eintritt, um sich seinen Unmut gegen die radikalen Methoden der Zivilpolizei, die wegen Lärmbelästigung die Brüsseler Show unterbrach, von der Seele zu reden. Tosh klinkt sich sofort lautstark ein, und so erleben wir den wilden Schlagabtausch plastisch mit, den er Ende vergangenen Jahres mit Kingstons Gesetzeshütern ausfocht.
„Eingebuchtet haben sie mich“, grinst er verschmitzt, „wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.“ Er hält demonstrativ den heruntergebrannten Rest seines Spliffs hoch. „Das ist die Dosis, die zur Vollpension auf Kosten des shitstem ausreicht! Aber: Where there is corruption there must be an erruption …“, philosophiert er nachdenklich. „Lange kann das ganze konspirative Pack, das die Richtlinien unserer sogenannten Demokratie festlegt, seine Machtposition nicht mehr behaupten. Ja die schwerste Schuld, die sich das bullshitstem aufbürdet, ist die rigorose Ignoranz, mit der es Andersdenkenden begegnet und das führt uns unaufhaltsam zur längst überfälligen Revolution. Als Rastafarians glauben wir allerdings an eine Revolution auf intellektuellem Level, denn unsere wirksamsten Waffen sind spirituelles Bewußtsein und wachsende Solidarität, seen? Einen epochalen Schritt in Richtung Autonomie wird uns das Jahr 1983 bescheren“, fährt Tosh bedächtig fort, „wenn der afrikanische Kontinent seine endgültige Unabhängigkeit feiert und Selassies Vermächtnis in Erfüllung geht. „No matter where you come from/ As long as you’re a black man/ you’re an african/and if you come from Brixton from Bronx/ from Switzerland/Germany/Taiwan …“.
Peter Tosh erhebt sich, öffnet das Fenster und blickt hinaus auf den gepflegten Hotelgarten. „Siehst du den Apfelbaum dort unten stehen“, möchte er wissen. Meine Antwort erst gar nicht abwartend, fährt er in ruhigem, aber bestimmten Ton fort: „Dieser Baum wird niemals Mangos produzieren, selbst wenn du ihn ausgräbst und auf der anderen Straßenseite wieder einpflanzt. Afrikaner wurden Jahrhunderte lang deportiert. Aber auch ihre Nachfahren sind Söhne des Schwarzen Kontinents, ganz gleich, an welchem Ende der Welt sie aufwachsen.
„Auf deinem zweiten Solo-Album, EQUAL RIGTHS, hattest du ja seinerzeit dieses ganze multinationale Spektrum abgedeckt, aber dein Pamphlet ist nahezu ungehört verhallt…“ „Weil Columbia, meine damalige Company, keinerlei Interesse an dieser Platte zeigte,“ fällt mir Tosh verbittert ins Wort. ,A pretty business.’Laß uns nicht mehr über diese Phase meiner Karriere sprechen. Aber die Zeit ist nicht stehengeblieben“, frohlockt er. WANTED DREAD&ALIVE is dangerous… I mean, people will buy it.“
WANTED ist aber auch vor allem ein Werk, das über weite Teile von den kompakten Taxi-Produktionen profitiert, die gegenwärtig in Kingstons Studios einen wahren Erdrutsch auslösen und mit ähnlicher Frische die Ghetto-Tanzarenen beleben, wie der revolutionäre, Syndrums-geprägte Chanal-One-Sound Mitte der siebziger Jahre. Slys sachliches Drumming und Shakespeares bis zum Zerbersten komprimierte Baß-Salven, bleiben stets tonangebend, werden von anderen Klangfarben dezent unterstrichen, nie verdrängt. „I and I don’t feel influenced by nobody“, rechtfertigt Peter Tosh eventuelle Auswirkungen durch die Zusammenarbeit mit der Taxi-Rhythmus-Batterie. „Einflüsse verarbeiten hingegen andere in ihrer Musik“, setzt er spitzbübisch grinsend hinzu. „Europäische Bands versuchen sich an Reggae-Adaptionen. Es ist ja eigentlich auch gar nicht sonderlich schwer, den beat zu imitieren“, fahrt Tosh fort, während er die imaginäre Gitarre traktiert. „Ich würde das Resultat allerdings als Jeggae bezeichnen, denn Reggae hat mehr Ingredienzen als methodische off beat Schematik und Instrumentierung. It’s not just Instruments. There are certain things that cannot be seen or heard…