Peter Tosh


Reichlich Reggae gab’s in diesem Sommer: Third World und Steel Pulse waren auf Tournee, Inner Circle spielten im Vorprogramm von Ian Dury. Dennis Brown rockte vor Münchener Fernsehkameras. Und noch einer kam, der darüber hinwegtröstete, daß Bob Marley bislang wegblieb: Peter Tosh. Der „Bushdoctor“ und „Mystic Man“ entfachte Stürme der Begeisterung; und das nicht nur mit seiner Musik, sondern auch mit seinem Kreuzzug für mehr Marihuana und mehr Gerechtigkeit auf Erden. Die spektakulären Erfolge im Schlepptau der Rolling Stones haben Peter Tosh’s kritische Gesinnung und seinen kämpferischen Geist offenbar nicht geschädigt: „For every evil action there is a contra-action!“ erklärte er mit einem Seitenblick auf die aktuelle Lage.

Der bush doctor Tosh kuriert die Leut‘ auf seine Art: mit nur einer Arznei. Das Wundermittel ist ein grünes Kraut. Einige, erklärt Peter Tosh, nennen es tampe, andere weed, manche Marijuana, und wieder andere Ganja. Damit das Kraut seine Wirkung entfaltet, muß man es rauchen. Und das tun laut Tosh Ärzte genauso wie Kindermädchen, Richter oder Rechtsanwälte. Heilsam wirkt das Kraut in vielen Fällen: It ’s good for the flu / It ’s good for asthma / Good for tuberculosis – gut bei Grippe, Asthma oder Tuberkulose. Das Heilkraut hat leider nur einen Nachteil: fast überall auf der Welt ist es illegal. Peter Tosh ist schon seit Jahren unterwegs, um gegen dieses Verbot anzugehen.

Im Verlauf von Tosh’s jüngster Deutschlandtournee wurde der Song „Legalize It“ von geradezu euphorischem Jubel begleitet. Viele, die da mitgejubelt haben, fanden die rebellische Pose, mit der er das Marihuana-Verbot geißelte, vermutlich ziemlich schick. Womöglich wurden Erinnerungen wach an den ersten Joint, den man als Schüler heimlich geraucht hat: Haschu Haschisch inne Taschen, haschu immer wasch zu naschen.

Peter Tosh’s Protest steht weit über solchen Jugendstreichen. Hinter der Prise Humor, die der Song „Legalize It“ durchaus verbreitet, steckt blutiger Ernst. Tosh kennt die Polizeikommandos, ihre Brutalität und ihre Gefängnisse in Jamaika, in die man ihn gesteckt hat, weil er auf offener Straße für die Legalisierung von Marihuana eingetreten ist. Für die Rastas und ihre Sympatisanten ist Ganja in der tiefsten Bedeutung des Wortes das „Heilkraut der Völker“. Und das Verbot von Marihuanabesitz und -handel trifft sie so, als würde man hierzulande das Bier verbieten und jeden, der mit ’ner Flasche Pils erwischt wird, in den Knast werfen.

Peter Tosh ist einmal bei einem großen Reggae-Konzert in Kingston aufgetreten, bei dem der Premierminister des Landes, Michael Manley, zusammen mit dem Oppositionsführer in der ersten Reihe sitzt. Peter Tosh nutzt die Chance. Zunächst schleudert er dem Regierungschef einen Schwall von Schimpfwörtern und gröbsten Flüchen entgegen, um ihm klarzumachen, was viele Jamaikaner von seiner Politik halten. Dann beginnt er, über den Nutzen von Ganja zu reden. Gestärkt durch den magischen Reggae-Rhythmus preist Tosh den Reichtum der Insel Jamaika an: Jamaica cyan feed de worl wid foot. I see tousands a acre a land lie dung out dere whey cood a plant herb… Jamaika, sagt er, könne die ganze Welt mit Nahrung versorgen. Riesige fruchtbare Landflächen der Insel könnten für den Anbau von Herb (=Ganja) genutzt werden. Ganze Schiffsladungen könnten verkauft werden, um Geld für die Weiterentwicklung des ausgebeuteten Landes hereinzuholen.

Mit beschwörendem Sprechgesang und noch immer von seiner Band begleitet, arbeitet sich Peter Tosh immer tiefer in die Politik vor. Er greift die nicht nur für Jamaika elementaren Probleme auf, die auch in vielen seiner Songs eine Rolle spielen: equal rights, peace and justice. Die seit mehreren hundert Jahren kaum veränderte Gesellschaftsstruktur kommt zur Sprache: schwarze Jamaikaner sind Untergebene von braunen Jamaikanern (also Mischlingen), und braune Jamaikaner sind Untergebene von weißen Jamaikanern – auch nach Aufhebung der Sklaverei und nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft. Four hundred years an de same bucky maasa bizniz. An black inferiority, an brown superiority, an white superiority rule dis lickle black country here fe a long imes. Well I an I come wid Earthquake, Lightnin. an Tunda to break down dese barriers of oppression an drive away transgression and rule equality between humble black people.

Peter Tosh. Reggae-Musiker, Politiker, Volksheld. Straßenkämpfer. Rastafari, Songschreiber. Gitarrist und Sänger. Offen, ehrlich, zornig. Er beschwört symbolisch Donner, Blitz und Erdbeben, um die Kraft seiner Worte zu unterstreichen, um dem bis an die Zähne mit Pistolen und Schlagstöcken bewaffneten Gegner zu zeigen, daß er eins ist mit der Natur und dem Land, aus dem er stammt. Niemand, kein Premierminister und kein Polizist, kann Tosh stoppen. Denn 30.000 hören zu und stehen hinter jedem Wort. Musik, Politik und Herb. Legalize it, don ‚t criticize it, legalize it yeah, I man will advertise it… Peter Tosh, Word Sound & Power.

Seit Tosh Musik macht, macht er auch Politik. Viele seiner frühen Songs bezeugen das. Etliche davon sind heute unsterbliche Reggae-Klassiker: „400 Years“, „Get Up Stand Up“ (gemeinsam mit Bob Marley komponiert), „Stop That Train“, „Mark Of The Beast“. Schon in seinem Namen steckt Politik. Denn ursprünglich hatte er im Zuge einer christlichen Taufe den Namen Winston Hubert Mclntosh erhalten. Voller Verachtung legte er ihn später ab und nannte sich Peter Tosh. Sick and tired of de ism schism game dyin‘ and goln‘ to Heaven in Jesus name. Peter Tosh will nicht in den Himmel, sondern will sein Land, seine Kultur, sein Recht. Jetzt und hier. Er kam im ländlichen Jamaika zur Welt, in Westmoreland am 19. Oktober 1944. Groß wurde er allerdings in Trench Town, in jenem fürchterlichen Getto, aus dessen Wellblechbuden auch Bob Marley und viele andere Reggae-Musiker kommen.

Trench Town Rock: 1964 entstehen in Kingston die Wailers in der Besetzung Bob Marley, Peter Tosh, Bunny Livingston, Junior Braithwaite und Beverley Kelso. Marley ist 19 Jahre alt, Peter Tosh gerade 20. Der jamaikanische Sänger und Komponist Joe Higgs kümmert sich um die Gruppe und beeinflußt vor allem Marley. Den ersten öffentlichen Auftritt absolvieren die Wailers 1965 im Palace Theatre in Kingston als Gesangsquartett. In den frühen sechziger Jahren ist der Calypso noch der dominierende Musikstil auf der karibischen Insel; er wird allerdings mehr und mehr überlagert von amerikanischem Rhythm & Blues. In diesem Spannungsfeld entsteht die Ska-Musik, aus der sich später wiederum über die Zwischenstufe Bluebeat der Reggae entwickelt.

Die Wailers nehmen Mitte der sechziger Jahre ihre ersten Singles auf; sie klingen roh, amateurhaft, haben aber stellenweise schon einen individuellen Touch, auch wenn der Rhythm & Blues der US-Neger unschwer als Inspirationsquelle herauszuhören ist. Einige der frühen Wailers-Nummern sind aber immerhin von Ska-Elementen durchsetzt, wie etwa der Titel „Simmer Down“, der in Jamaika ein großer Hit wurde. Es gibt heute ein Doppelalbum des amerikanischen „Calla“-Labels mit vielen dieser frühen Aufnahmen („Birth Of A Legend“); darunter findet sich eine erste Peter Tosh-Komposition, bei der Tosh auch die Leadvocals übernommen hat: „Maga Dog“.

In Deutschland teilte die CBS das „Calla“-Album in zwei LP’s auf, vermutlich um mehr Geld herauszuholen. Für die eine Platte wurde der Titel „Birth Of A Legend“ beibehalten, die andere wurde „Early Music“ betitelt. Viel ergiebiger sind indes die beiden Trojan-Alben ,,African Herbsman“ und ,,Rasta Revolution“ mit Aufnahmen der Wailers aus den spätsechziger Jahren, produziert von Lee Perry. Hier taucht zum ersten Mal der berühmte Tosh-Titel „400 Years“ auf; allerdings wird Bob Marley als Komponist aufgeführt. Diese Unstimmigkeit war wohl ein Resultat der damaligen Machtverhältnisse in der Band sowie der chaotischen Rechtslage im Plattenbusiness der Insel.

Im Jahre 1972 bestehen die Wailers in der Besetzung Marley (Gesang, Gitarre), Tosh (Gesang, Gitarre, Keyboards), Livingstone (Gesang, Perkussion), Carlton Barrett (Drums) und Aston Barrett (Baß). Alle gehören bereits der Sekte der Rastafari an und sind mit ihren Songs Sprachrohr der rechtlosen und verarmten Jamaikaner in den Gettos. Unter der Regie des gebürtigen Jamaikaners Chris Blackwell entsteht die erste LP der Wailers für das britischen Plattenlabel ,Jsland“: Der Grundstein für den späteren Siegeszug des Reggae um die ganze Welt. Während die Wailers nur wenige Jahre zuvor für europäische Ohren noch hinterwäldlerisch geklungen hatten, nehmen sie nun mit „Catch A Fire“ nicht nur eine der besten Reggae-LP’s aller Zeiten, sondern auch eines der stärksten Rockalben der siebziger Jahre auf. „Catch A Fire“ ist bereits ein Mischling aus Roots-Reggae und angloamerikanischen Rockelementen; erst Jahre später setzt sich für diese Musik der Begriff „crossover“ durch. Peter Tosh steuert zwei Songs zu dieser Produktion bei: „400 Years“ (und diesmal ist er als Komponist anerkannt) und „Stop That Train“.

Noch eine weitere Wailers-Platte nehmen Tosh und Marley gemeinsam auf: „Burnin“‚ im Jahre 1973, musikalisch nicht so geschlossen wie das lsland-Debut, aber wieder mit Songs, die heute fast jeder kennt: „Get Up, Stand Up“, „I Shot The Sheriff“, „Dubby Conqueror“. Danach tritt Tosh noch mehrfach mit den Wailers live auf, auch in Europa, dann trennen sich die Wege. Auch Bunny Livingstone macht sich selbstständig. Die Wailers, vorher nur eine Kraft, vervielfältigen sich. Unterschiede zwischen Peter Tosh und Bob Marley werden deutlich. Marley bringt mehr poetische Kraft in seine Songs ein, hat mehr Charisma. Tosh nennt die Dinge deutlicher beim Namen, drückt sich knapper und trockener aus, hat mehr das Zeug zum Kämpfen als zum Idol. Beide sind starke Songschreiber, aber Bob Marley hat einen viel längeren Atem. Das zeigt sich besonders deutlich beim ersten Soloalbum von Peter Tosh: „Legalize It“, 1976 von Virgin veröffentlicht und in Deutschland nur ganz kurz im Handel. Der Titelsong ist großartig, aber die übrigen Nummern fallen deutlich ab.

Mit seiner zweiten Solo-LP „Equal Rights“ gleicht Tosh dieses Manko ein Jahr später aus. Und mehr als das: er legt sein politisches Glaubensbekenntnis vor und seinen politischen Forderungskatalog; und er schafft es, auf dieser LP nicht einen einzigen schwachen Song unterzubringen. „Get Up, Stand Up“, „Downpressor Man“, „Stepping Razor“, „Equal Rights“, „Apartheid“, „I Am That I Am“, „African“, „Jah Guide“: alle mit starken Melodien, kraftvoll interpretiert, die Quintessenz des Peter Tosh.

Seit „Equal Rights“ hat sich Peter Tosh verändert. Er folgte Bob Marley über die Grenzen Jamaikas hinweg, um seine Botschaft nach Europa und Amerika zu tragen. Die Rolling Stones gaben ihm Starthilfe, und mit einer ziemlich popnahen LP („Bush doctor“) etablierte er sich in den anglo-amerikanischen Hitparaden. Seine jüngste Platte – „Mystic Man“ – bringt einerseits wieder eine Rückbesinnung auf die Roots, zugleich aber auch einen gewagten und gelungenen Schritt nach vorne, zum Disco-Sound. Peter Tosh läßt sich nicht in Schablonen pressen und verkauft sich auch an niemanden. Seine musikalichen Fähigkeiten sind in den letzten zwei, drei Jahren immens gewachsen, und er nutzt sie für seinen Kreuzzug. Reggae is black. It was held back but you can’t keep a good man down! erklärt er in seiner plakativen Sprache. Und: I wanna sing to de world, mon. I want de people to dance but at the same time I want de black people to get de massage.