Peter Licht
Deutschland: Gesellschaftliche Auseinandersetzung als Kunstform. Peter Licht rebelliert mit ausgefeilten Popsongs und einer strikten Anonymität.
Ausgerechnet ein Unsichtbarer. Ein Phantom ohne offizielles Gesicht ist gekommen, um sich einzumischen. Das Ende der Beschwerde heißt sein neues Album, das mittlerweile fünfte in zehn Jahren. „Weint mit euren Steuerberatern, mit euren Finanzdienstleistern, bestattet eure Altersversorgeaufwendung in der Luft, blast meine Geheimnummern in die Wolken, die vorbei ziehen“, heißt es dort in Worten aus der Geldwelt, die man sonst im Pop nicht hört. Dabei ist das Lied „Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses“, aus dem diese Strophe stammt, kraftvolle Popmusik. Melodie, Hookline und ein feines Arrangement mit Gitarre, Bass und Keyboard. Ein ähnlicher Ansatz wie bei New Order. Nichts Experimentelles und kein abgehobener Scheiß jedenfalls. Und die klare, markante Stimme kennt man von früher. Von dem Hit „Sonnendeck“ aus dem Jahr 2001, als eine der merkwürdigsten Karrieren in der deutschen Unterhaltungsbranche schlagartig begonnen hatte. Welche Richtung dieses rätselhafte Projekt einschlagen sollte, war damals noch nicht abzusehen. Die Rede ist von Peter Licht. Musiker, Schriftsteller und Theaterautor, der bis heute davon überzeugt ist, dass sein wahres Abbild ebenso wie seine biografischen Details unwichtig sind für Botschaft und Musik. Er lässt sich deshalb weiterhin nicht fotografieren. Doch die Zeiten, als zur Veröffentlichung des Albums Stratosphärenlieder jede Redaktion eine Kartoffel als Peter-Licht-Optik zugeschickt bekam, sind lange vorbei. Ein spaßiger Gimmick ist das hier nicht.
Peter Licht nutzt Pop als Underground-Strategie, wie es in seiner Extremform das Elektronik-Duo KLF Anfang der Neunziger betrieben hat. In ihrem Handbuch „The Manual“ geben Jimmy Cauty und Bill Drummond eine genaue Anleitung für einen Nummer-eins-Hit, den sie als The Timelords mit „Doctorin‘ the Tardis“ dann auch wirklich hatten. „Ich habe dieses Buch verschlungen: Klau dir den Beat, der gerade reinhaut. Sei nicht subtil, sondern derbe. Da bleibt einem doch gar nichts anderes übrig, als das super zu finden“, sagt Peter Licht. „Ich habe das Buch mehrmals gekauft und verschenkt. Großartig. Sehr subversiv und gleichzeitig mitten im Mainstream. Für uns gab es in den vergangenen Jahren zwei Möglichkeiten: Entweder sehr experimentell zu werden oder genau das Gegenteil. Es war eine bewusste Entscheidung, ganz ernsthaft an echten Popsongs zu arbeiten. Wenn man darüber singt, iPhones zu begraben, muss das so viel Pop sein, wie es nur irgendwie geht. Dazu passt keine spröde Indie-Ballade. Das wäre ein verpasste Chance. Auch die anderen Songs gehen in diese Richtung.“
Seit dem Album Lieder vom Ende des Kapitalismus 2006 reist der ehemalige Studioelektroniker mit seiner Band ganz normal durch die Clubs und Hallen. Ohne Maske oder Verkleidung. Schlichtweg mit Plakaten, auf denen darum gebeten wird, nicht zu fotografieren. In der Ära der Smartphones eine nicht ganz einfache Mission. Immerhin respektierte bislang selbst das Fernsehen die Anonymität, die Peter Licht einsetzt wie Lady Gaga ihre Kostüme oder das Kleid aus Schnitzeln. Bei der Harald-Schmidt-Show und bei der TV-Übertragung des Literaturwettbewerbes Ingeborg-Bachmann-Preis 2007 in Klagenfurt bestand er darauf, sein Gesicht nicht zeigen zu müssen. Sollte doch die Bildregie einen hysterischen Anfall bekommen. Er nutzt ganz bewusst diese Irritationen im Kulturbetrieb. Dass ihm von Literaturkritikern damals vorgeworfen wurde, „Affentheater“ und „Mätzchen“ zu veranstalten, störte ihn keineswegs. Schließlich funktioniere das ganze Showbusiness über Inszenierungen, sagte er damals. Und für Peter Licht ist eine gewisse Verweigerungshaltung der goldene Showanzug.
„Wir sollten so beginnen: Wir singen die Freiheit, wir singen die Möglichkeiten – Wir singen das Land, den Staat, die Ansammlung, die Ausbreitung – Die Einsamkeit, die Hoffnung, die sich tatsächlich erfüllt“, heißt es im eindringlichen Spoken-Word-Auftakt „Sag mir, wie ich beginnen soll“, der die Songs von Das Ende der Beschwerde eröffnet. Poesie als Wachrüttler, sich mit den Dingen zu beschäftigen. Gemeinsam mit Produzent Jochen Naaf werden diese Botschaften dann in ein perfektes Klangumfeld gestellt. Auf die Frage, welche Rolle er mit diesen ausgetüftelten Sounds im Strom der Meinungen übernimmt, antwortet er kurz: „Chronist der Verhältnisse“. Nicht mehr und nicht weniger. „Ich kann mir Popmusik gar nicht anders vorstellen, als dass sie gesellschaftliche Vorgänge kommentiert. Ich lebe in meiner Zeit und reagiere darauf.“ Ein aufgeweckter Mittdreißiger in T-Shirt und Jeans sitzt in einem traditionellen Café in der Kölner Innenstadt, das über die Jahre zu einem bevorzugten Treffpunkt für seine Interviews geworden ist. Der braunstichige Charme des Wirtschaftswunders und die scherzenden Tortentanten wirken wie ein Gegenpol zu den hippen Designerlounges, die sonst für solche Anlässe genutzt werden. Peter Licht schätzt solche Ort wirklich. Ohne jede ironische Brechung. „Ich kann verstehen, dass auch meine Songs manchmal so interpretiert werden. Schließlich ist das eine Haltung zur Welt und auch eine Technik, sich zu distanzieren. Doch nichts von dem, was ich mache, ist ironisch! Ich meine das immer genau so. Wenn ich etwa in dem Song, Bedeckte Körper sind in Ordnung‘ gegen den Exhibitionismus ansinge, der heute in der kapitalistischen Arbeitswelt gefordert wird, dann ist mir das ein echtes Anliegen.“
Licht weiß natürlich, dass die Geschichte von Pop als Träger von Protest längst aufgearbeitet ist. Letztlich blieb von allen radikalen Bewegungen nur das künstlerisch-ästhetische Statement, das wiederum schon bald nach seiner Erfindung problemlos vermarktet werden konnte. Selbst radikale Modelle landeten auf den Catwalks der Mode-Industrie, während Nihilismus und Anarchy-Slogans zur Folklore Büchsenbier süffelnder Fußgängerzonen-Punks wurden. Die von Public Enemy aufgestellte Formel von HipHop als „CNN der schwarzen US-Ghettos“ galt nur für eine kurze Blütezeit. Nachfolgende Generationen stürzten sich auf den Materialismus des Gangster-Style. Auch das sprachlose Aufbegehren durch die radikalen Soundexperimente des Hardcore-Techno blieb nur eine Episode. Letztlich wurden aus den großen Bewegungen individuelle Statements. Der klassische Protest privatisierte. Jenseits der Superstar-Ebene mit ihren Bekenntnissen zu Afrika, Regenwald oder der Entschuldung der Dritten Welt funktioniert Engagement durch Popmusik heute noch am wirkungsvollsten bei konkreten Forderungen im lokalen oder regionalen Bereich. Die Kampagne „Not in our Name, Marke Hamburg“ gegen die offizielle Vermarktung Hamburgs im Zeichen von Popkultur und Kreativität wurde unterstützt von vielen Musikern, die sich gegen den Umbau ihrer Stadt in durchsanierte Kreativviertel wenden. Eigene Protestsongs mussten dafür nicht geschrieben werden – das hätte doch sehr nach Betroffenheits-Punk geklungen. Der Singer-Songwriter Billy Bragg forderte dagegen nach den Londoner Krawallen in seinem Blog und im „New Musical Express“ eine breitere Reaktion. Die britische Popmusik müsse der herrschenden Mainstream-Interpretation der Verhältnisse etwas entgegenstellen, schrieb er. Der Veteran glaubt an den klassischen Protestsong, der andere Wahrheiten für sich beansprucht und diese auch direkt künstlerisch umsetzt.
In der Figur Peter Licht wird hingegen deutlich, wie schwierig es heute geworden ist, Popmusik in der westlichen Welt mit einer aktuellen politischen Sprache zu verknüpfen. „Interessanterweise haben wir seit dem, Lied vom Ende des Kapitalismus‘ immer wieder Einladungen zu Autonomen-Veranstaltungen bekommen“, sagt Peter Licht. „Und der Song wird da auch gespielt. Obwohl wir sicherlich keine Kampfparolen-Band mit aggressiven Sounds sind. Doch der Text war schon als Vision gedacht, die man einfach auf die Straße pustet. Und je nach Umfeld wirkt es dann wie ein Riot-Song.“ Wobei Peter Licht ein wenig über den Gedanken lächeln muss, einen Soundtrack zur nächsten Straßenschlacht beizusteuern. „Auf der anderen Seite darf man die eigene Gebrochenheit natürlich nicht völlig vergessen. Ich werde ja laufend selber zum Kapitalisten, wenn ich versuche, meinen Laden am Laufen zu halten. Ich trete mit der Band zu handelsüblichen Gagen-Bedingungen auf und versuche davon zu leben. Schon auf der letzten Platte Melancholie und Gesellschaft ist uns klar geworden, dass klare Feindbilder abhanden gekommen sind. Gegen wen sollte sich der Riot heute eigentlich richten, so generell?“ Der Rückgriff auf die Geschichte ist dabei nur wenig hilfreich, zumal Licht seine Verstrickungen eines im Alltag stehenden Menschen nicht außen vor lassen will. „Ich kenne natürlich die großen deutschen Protestsänger, Franz Josef Degenhardt, Wolf Biermann und natürlich Ton Steine Scherben, doch deren Botschaften stammen aus anderen Zeiten. Bei der heutigen komplexen Lage ist das ganz schnell wie beim Judo. Selbst böse Finanzgurus können dich relativ leicht aufs Kreuz legen, mit gezielten Fragen nach deiner Bank, wie bist du versichert, wie ist deine Altersvorsorge!? Siehste, werden sie sagen, wir sind dort überall drin. Und du bedienst dich solcher Mechanismen. Also, mal schön das Maul halten!“
Peter Licht selbst kann mittlerweile problemlos die Kunstform wechseln. Dennoch ist es gerade das kraftvolle Zusammenspiel von Worten und Musik, was ihn besonders reizt: „Auf der aktuellen Platte gibt es den Song, Schüttel den Barmann‘, der klar sagt:, Stell dich nach vorn.‘ Nimm es persönlich, was passiert und werde ganz konkret. Es gibt ein richtiges und falsches Verhalten. Eine konsequente Haltung, die nicht Aussteigen oder Selbstmord bedeutet.“