Peter Gabriel ungeschminkt
Ehe sich Peter Gabriel wieder einmal auf europäischen Bühnen blicken läßt, dürfte noch einige Zeit verstreichen. Anfang des Jahres kam er darum zu Interviews nach Hamburg und stellte bei dieser Gelegenheit auch gleich seim neues Album "Gabriel" vor. Die Platte wurde von Bob Ezrin produziert, ein Mann der sich durch Alice Cooper, Lou Reed und Kiss einem Namen gemacht hat und Peter bei der Produktion auch ganz gut an der Leine hatte.
ME: Peter Gabriel und Bob Ezrin, das ist doch eine recht ungewöhnliche Kombination. Wie kam es überhaupt dazu?
Peter: Ich habe mir viele Produzenten in Amerika angesehen. Ich wollte den finden, mit dem ich am meisten gemeinsam hatte. Kiss und Alice Cooper mag ich nicht besonders, aber viele SchaUplattenfirrnen empfehlen Bob als großartigen Produzenten, der durchaus fähig ist, ein weitaus größeres musikalisches Umfeld zu bearbeiten. Viele Musiker sind an ihm interessiert: Bowie, Bryan Ferry, Ritchie Havens und verschiedene Folkleute zum Beispiel.
ME: Möchtest Du weiter mit ihm arbeiten, kann er sich auf Deinen Stil einstellen?
Peter: Naja, wir haben natürlich jeder einen anderen Background. Bestimmte Gebiete der abstrakten Musik, die mir sehr gefallen, mag er nicht. So gibt es auch in dem Album natürlich Passagen, die ihm nicht liegen, die er aber trotzdem mit mir zusammen ausgearbeitet hat; eben, weil er sich auf mein Konzept einstellen konnte und genau wußte, was ich machen wollte.
ME: Du standest vor dem Problem, gut verkäufliche und trotzdem gute Musik zu machen… Peter: …ich wollte in erster Linie einfachere und persönlichere Songs als bei Genesis schreiben. Trotz’einiger Zugeständnisse möchte ich behaupten, dafc dieses Album schon einiges davon enthält. Ein Rocksong zum Beispiel, „Modern Love“, der geplante Single-Titel, ist sehr kommerziell.
ME: Könntest Du die Songs der LP mal kurz kommentieren?
Peter: Ja, da wäre „Mond Bund The Burgermeister“. Die Musik ist recht leichtherzig, ich bin ganz erfreut über die Arrangements. Die Story ist traurig und basiert auf einem wahren Hintergrund. Es geht um einen sich ausbreitenden Wahnsinn, den Veitstanz, der 1374 in Aachen auftrat. Ich habe hier einen fiktiven Bürgermeister eingesetzt, der diese hysterischen Ausbrüche in seinem Verfolgungswahn als politischen Aufstand betrachtete. „Salsbury Hill ist ein sehr einfacher Song mit akustischer Basis, „Modern Love“ der kommerzielle Rock-Titel. Es hat mir viel Spaß gemacht, dieses Stück zu schreiben und zu singen, Es ist wie ein Rückfall in die alten Zeiten, als wir noch Soul, Blues und R&B-Material der 60er Jahre gebracht haben. „Waiting For The Big One“ geht in mancher Hinsicht vielleicht auch ,back to the loots“, zurück zu Dingen, die mir bei John Mayall so gefielen.
„Excuse Me“ ist ein Song im Stil der 40er Jahre mit Banjo und Tuba. Dieser Text stammt übrigens als einzjger nicht von mir, sondern von einem befreundeten Poeten, von Martin Hall. Den Text finde ich sehr gut; locker und zynisch zugleich. „Humdrum“ – ein sehr persönlicher Song mit einem stark impressionistischen, abstrakten Text. Persönlich ist auch „Slowburn“. Bei „Down To Doice Vita“ herrscht ein schwarzes, rhythmisches Feeling vor. Als Kontrast habe ich Orchesterteile eingesetzt. „Here Comes The Flood“ schließlich ist eine futuristische Impression von einer telepatischen geistigen Flut.
ME: Willst Du einige der mitwirkenden Musiker für eine feste Gruppe engagieren?
Peter: Es sind alles beschäftigte Session-Leute. Wir würden niemals eine feste Gruppe auf die Beine bekommen. Glücklicherweise haben sie aber alle einen so guten Einstieg in die Musik gefunden, daß sie tatsächlich flir kurze Zeit damit on the road gehen wollen. Im März will ich darum in den Staaten ein wenig touren.
ME: Wann sehen wir Dich denn wieder mal in Deutschland?
Peter: Ich will erst einmal sehen, wie es in den USA läuft. Wenn ich dort gut ankomme, werde ich versuchen, nach Europa zu kommen.
ME: Meinst Du, es ist nötig, Deine Musik ersteinmal in den Staaten anzutesten? Hierzulande stand man immer auf Genesis und ist natürlich auch neugierig darauf, was Peter Gabriel jetzt macht.
Peter: Ja, das ist das Problem. In Amerika ist Genesis nicht so bekannt. Ich kann davon ausgehen, daß man mich dort als neuen Künstler unvorbelastet betrachtet. Ich will keine Kostüme mehr. Ich habe da zwar noch so einige Ideen, aber im Moment ist es für mich wichtiger, den Kontakt zum Publikum als Musiker zu finden. Wenn die Show nicht ankommt, dann liegt es nämlich an der Musik. – In Europa bin ich in erster Linie als Darsteller bekannt. Es würde für mich sehr schwer sein, dort nur als Songschreiber neu anzufangen, da einige bestimmt enttäuscht wären, mich ohne Make up und Kostüm zu sehen.
ME: Wieviel Material hast Du eigentlich geschrieben, seitdem Du bei Genesis ausgestiegen bist?
Peter: Material für vielleicht zwei Alben. Ich habe versucht, den Stoff für ein zweites Album zu schreiben, um eine Story herum, aber das ist gleichzeitig auch eine visuelle Idee. Eine Geschichte mit Musik, eine Rockshow mit sehr vielen visuellen Effekten. Dieses Projekt kann ich aber nur verwirklichen, wenn meine ersten zwei Alben nach Genesis erfolgreich laufen, denn diese Show wird sehr teuer. Außerdem brauche ich dafür schon etwas mehr Kredit als Musik-Schreiber; ich will nicht nur mit dem Darsteller-Image darangehen.
ME: War es für Dich eigentlich selbstverständlich, nach Amerika zu gehen?
Peter: In England fühle ich mich höchst unwohl. Ich glaube, es ist schwerer in England jemanden für meine Musik zu interessieren als sonst irgendwo in der Welt. Ich glaube, ein Teil des Problems liegt darin: Als ich mit Genesis begann, stand ich im Mittelpunkt, und jeder setzte voraus, daß ich die gesamte Musik schrieb. Und als ich ging, klangen Genesis ohne mich völlig unverändert. Daraufhin meinte man, daß ich überhaupt nichts zur Musik beigetragen hätte. Das erste war sehr unfair der Gruppe gegenüber, das andere mir gegenüber.
ME: Wirst Du England völlig den Rücken kehren?
Peter: Es kann sein. Die englischen Musiker, an denen ich interessiert bin, haben kein Intreesse daran, mit mir zu spielen, weil sie in mir immer nur den „performer“ sehen. Dagegen kann ich in den Staaten mit Jazzern Rockmusikern, Country-Musikern oder Heavy Metal-Musikern spielen… das war ein aufregendes Erlebnis für mich. Wenn sie meine Musik mochten, lief alles. Wir konnten zusammen spielen, improvisieren. Was mich so faszinierte, war die große Toleranz, die dort herrschte. Du wirst nicht von vornherein kategorisiert. Aber ich habe noch keine Ahnung, wohin ich gehen werde. Ich war schon verschiedene Male in Amerika. Ich persönlich würde am liebsten in New York wohnen. Aber jetzt habe ich zwei kleine Töchter und New York wäre keine gute Umgebung für sie. Mal sehen…
ME: Ziehst Du generell die amerikanische der englischen Musik-Szene vor?
Peter: So schlecht finde ich die englische Szene gar nicht. Im Moment laufen dort einige gute Sachen. lOcc zum Beispiel, Graham Parker oder der Punk-Rock. Ich mag die Musik zwar nicht, aber es fasziniert mich, daß es eine neue Generation von Kids gibt, die nichts mit der Musik ihrer Schwestern und Brüder zu tun haben wollen. Da sie all die etablierten Stars im Fernsehen vorgesetzt bekommen, existiert gar keine echte Kommunikation zwischen Interpreten und Publikum. Darum wollen die jungen Leute etwas eigenes haben.
ME: Glaubst Du, daß sich hier ein neuer Anfang für die Musik-Szene abzeichnet? Wie Anfang der 60er beispielsweise?
Peter: Das glaube ich nicht, weil heutzutage ein viel größerer Markt besteht, auf dem viele Arten von Musik existieren können. Aber ich meine schon, daß es einen neuen, rebellierenden Rock geben wird. Das finde ich einerseits positiv, obwohl ich von den Punks noch keine gute Musik gehört habe. Gut ist eben, daß hier eine direkte Kommunikation zwischen Publikum und Gruppen herrscht. In New York geben 17 bis 20jährige Jungen das Punk Rock Magazin heraus, weil sie sich sagen, daß ihre Musik nicht über den Sender läuft, da die etablierten Magazine nichts darüber schreiben. Und so formiert sich wieder eine Undergroundbewegung von jungen Leuten, für junge Leute ins Leben gerufen.