Pete Townshend
Pete Townshends Karriere begann vor etwa sieben Jahren. Als Leader der Who hat er in diesen Jahren die Entwicklung der Popmusik aus unmittelbarer Nähe miterlebt. Auftritte seiner Gruppe waren in den ersten Jahren ihres Bestehens mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Polizeieinsätze, wildgewordene Fans und zertrümmerte Instrumente standen bei fast allen Konzerten damals an der Tagesordnung. Aber diese Zeit scheint inzwischen endgültig der Vergangenheit anzugehören. Hier könnt Ihr lesen, was Pete über sich selbst und seine drei Freunde erzählt.
Nach mehrmaligem Klingeln öffnete sich endlich die Tür. Ein Mädchen begrüsste uns und führte uns in Petes Arbeitszimmer. Wir wappneten uns mit einer gehörigen Portion Geduld, denn das Mädchen erzählte uns, dass Pete gerade erst im Begriff sei, sein Bett zu verlassen. In dem Zimmer herrschte eine wohltuende Ruhe. Aus der Ferne konnte man gerade noch das Rauschen der Themse hören. Ein Blick aus dem Fenster verriet uns, dass der Fluss genau an Pete’s Haus vorbeizieht, wenn man genau hinsieht, kann man, wsnn auch in ziemlicher Entfernung, die Insel Eel Pie erkennen. Wir waren so in Gedanken versunken, dass wir gar nicht wahrnahmen, dass plötzlich noch jemand den Raum betrat. Erst als wir hörten, dass sich dieser Jemand eine Zigarette anzündete, drehten wir uns um. Pete Townshend sah trotz der fortgeschrittenen Tageszeit nicht gerade ausgeschlafen aus. Verständlich, denn er hatte die ganze vergangene Nacht hindurch zusammen mit den anderen drei Mitgliedern der Gruppe an den Aufnahmen für eine neue Platte gearbeitet. Pete erzählte uns: „Wir waren gerade mittendrin, als plötzlich die Leute in der Chinesischen Botschalt genau neben unserem Studio wie die Wilden zu feiern begannen. Mit dem Arbeiten war es bei diesem Krach natürlich Essig!“ Im Verlaufe unseres weiteren Gesprächs wurde Pete’s Laune jedoch zusehends besser. Es dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben, dass von der Doppel-LP „Tommy“ bis heute schon 100 000 Exemplare verkauft worden sind. Pete sagte folgendes über seine Rock-Oper: „Wir haben „Tommy“- bis jetzt immer wieder aufgeführt, aber nun muss Schluss sein. Es liegt klar auf der Hand, dass das allgemeine Interesse beinahe erloschen ist. Das Publikum findet „Tommy“ zwar immer noch ganz gut, hat aber inzwischen, genau wie wir, genug davon.
Das ist eine heikle Angelegenheit, wenn man einen Titel daraus spielt, muss man sich realisieren, dass das Stück unheimlich verliert. Denn nur als Ganzes vorgetragen kommt die Oper zu ihrem Recht. Versteht mich nicht falsch, ich habe „Tommy“ immer sehr gern gespielt, aber ich finde, jetzt wird es langsam Zeit für etwas neues. Wir haben mit der Oper viel Geld verdient und das haben wir jetzt dringend nötig, um neue Ideen zu finanzieren. Die meisten Leute sind sich vermutlich nicht darüber im Klaren, dass uns das Musikzieren auch eine ganze Menge kostet. Denkt nur ma an unsere gesamte Verstärkeranlage, diei wir auf alle Tourneen mitnehmen. Und dann die Lightshow nicht zu vergessen^ die schluckt auch ziemlich viel Geldi Wir beschäftigen ständig sechzig Roadmanaqer und unsere Sachen werden in sechs Lastwagen transportiert. Wenn wir nicht unterwegs sind, müssen diese Leute alle weiterbezahlt werden, denn sie sind ja alle fest bei uns angestellt. „Tommy“ war für uns eigentlich ein doppelter Erfolg: Erstens hat es uns eine Stange Geld eingebracht und ausserdem haben wir sehr viel daraus gelernt und Gelegenheit gehabt, Erfahrungen zu sammeln…“
FILMPLÄNE
Nachdem Pete dafür gesorgt hatte, dass man uns Tee und Kuchen servierte, setzte er seine Geschichte fort: „Wir wollen einen Film produzieren. Die Handlung wird sich auf irgendein aktuelles Geschehen beziehen, etwas, was die Leute bewegt. Das Ganze wird dann von unserer Musik eingerahmt werden. Der Film wird sicher diverse Fragen offenlassen, aber die können in einem nächsten Streifen vielleicht beantwortet werden. Ich habe das Young Vic Theater gemietet, damit wir zusammen mit dem Publikum das erreichen, was unserer Idealvorstellung entspricht — eine Massenverständigung. Menschen machen Geräusche, geben Töne von sich, sie verursachen Schwingungen. Die Luft, die uns umgibt, erzeugt ebenfalls Schwingungen. Ich habe entdeckt, dass diese Klänge einen ganz sicheren Aufbau haben. Es läuft ein roter Faden durch die menschliche Denkweise, ich setze diesen Faden mit der Musik gleich. Ich glaube, dass es nicht richtig ist, den Geist der Menschen auf ein verkehrtes Gleis zu lenken, indem man ihnen immer nur schöne Klänge serviert. Unser Plan ist es deshalb, nur Klänge zu produzieren, die sich mit dem Menschen unmittelbar vereinbaren können. Vor zwei Jahren erlebte der „Beat“ seinen Höhepunkt, harte, stampfende Rhythmen, eigentlich ein Anschlag auf das Individium Mensch. In unserem Film werden wir versuchen, alle bestehenden Musikformen zu verarbeiten. Zu den Dreharbeiten werden wir vierhundert Leute einladen. Zusammen wollen wir dann eine Atmosphäre schaffen, die von jedem Zuschauer als Filmdrama empfunden werden soll. Ich sehe in diesem Experiment eine Befreiung der Kette, die uns heute alle miteinander verbindet. Das Individium Mensch hat 1971 kein Lebensrecht mehr und das ist doch sehr bedauerlich.
VON DAMALS BIS HEUTE
Pete Townshend und die Who begannen ihre Karriere vor sieben Jahren. Von Anfang an war klar, dass man es hier nicht mit irgendeiner gewöhnlichen Gruppe zu tun hatte. Tumulte, Rauchbomben und Überfallkommandos machten jeden ihrer Auftritte zur Sensation. Pete: „Damals sagten wir manchmal aus Spass zum Publikum, dass vorne in der ersten Reihe noch fünf Plätze frei wären. Das hatte dann zur Folge, dass alle Leute nach vorne gerannt kamen. Viele Säle sind auf diese Weise total vernichtet worden. Es machte uns enorm Spass, wir wurden genau so wild, wie das Publikum und oft verschwanden wir von der Bühne, ohne auch nur eine Note gespielt zu haben. Aber auf die Dauer wirkte sich das äusserst frustrierend auf uns aus und alles endete oft in einem agressiven Melodrama. Heute jedoch, nach so vielen Jahren, kann ich mich selbst nicht mehr verstehen. Wie konnte ich nur zu solchen Dingen imstande sein? Alles veränderte sich schlagartig, als ich in der Ealing Art School das Mädchen kennenlernte, das heute meine Frau ist. Eine Ehe ist, wenn man sie gut führt, eine der besten Angelegenheiten, die es gibt. Ich bin davon überzeugt, dass sie der geistigen Reife dient Wenn gewisse Leute behaupten, dass die Ehe einen zu sehr fesselt und abhängig macht, so möchte ich das bestreiten. So etwas ist nämlich keine Sache der Bindung, sondern bedeutet, dass man sich dem Partner gibt. Und wenn das gelingt, hat man schon viel gewonnen. Es gibt übrigens noch einen Grund für meine veränderte Denkweise, nämlich die Entdeckung des indischen Philosophen Meher Baba. Die meisten seiner Anhänger bezeichnen ihn als den neuen Messias. Das ist natürlich heller Wahnsinn. Seine Lehre ist keine Religion oder Meditation. Ich sehe in ihm die Verkörperung von allem, was auf dieser Welt gut ist. Seine Art und Weise, zu schreiben, hat mich darauf hingewiesen, dass ich eine Verantwortung unserer Gesellschaft gegenüber habe. Ich bin stabiler und glücklicher geworden“.
EIN IDEALIST
Pete Townshend ist ein Idealist. Wenn sich von seinen Idealen auch nur die Hälfte verwirklichen würden, könnte er schon als zufriedener Mann Geschichte machen. Ohne Hoffnung auf eine Zukunft ist das Leben ohne Wert. Pete hat das begriffen und darum haben wir in diesem Artikel versucht, seinen brausenden Optimismus wiederzugeben. Wir hoffen, dass uns das ein bisschen gelungen ist. Die Hälfte ist schliesslich auch schon gut?