Pete Townsend


Mit dem vertonten Märchen "Iron Man" schließt der Erfinder der Rock-Oper den Konzeptmimik-Kreis. Der Vordenker der Who verriet ME/Sounds-Mitarbeiter Hanspeter Kuenzler, warum er viel lieber Musik-Single wäre und dennoch Im Moment mit seinen alten Kiupanen durch Anerlka tourt.

Pete Townshend, unser einziger gitarrespielender Hubschrauber, kann’s nicht lassen: Derweil sich seine Altersgenossen den Ruhestand mit fünf jährlichen Deja-vu-Tourneen finanzieren oder gar in den Immobilienhandel umsteigen, tut er mit vollem Fleiß noch genau das, was er vor 20 Jahren erstmals tat – Rockopern schreiben natürlich. Was damals mit „Tommy“ begann und den Who eine neue Lebensspanne spendierte, dann via „Lighthouse“ und „Quadrophenia“ in „White City“ landete, findet jetzt mit „Iron Man“ seine Fortsetzung.

Dabei ist Pete nicht einmal ein überzeugter Anhänger vom Konzept „Oper“ oder „Liederzyklus“: „Was mich dahin zieht, ist eher die organisatorische Herausforderung. Außerdem stellt es größere Anforderungen an dein Gehirn, Songs zu schreiben, die dazu beitragen sollen, eine Story zu erzählen. „

„Iron Man“ richtet sich nach einer Vorlage des britischen Dichters Ted Hughes. Ursprünglich hätte dieser selber ein Libretto verfassen sollen – auf der Basis seines „modernen Märchens“, das in England schon die zigte Auflage erreicht hat: „Doch dann ist er immer wieder mal fischen gegangen im entscheidenden Moment, und so hab‘ ich die Sache selber in die Hand genommen.“

Der „Mann aus Eisen“ ist eine Monstermaschine mit menschlichem Aussehen, die eines Tages der See entsteigt und einem Jungen namens Hogarth den Schrecken seines Lebens verpaßt. Das Monster wäre eigentlich ganz lieb, doch ist es nicht nur furchteinflößend massiv, sondern ernährt sich auch ausschließlich von moderner Technologie wie Landwirtschaftsmaschinen und Stacheldrahtzäunen.

Klar, daß Mensch Monster „unschädlich“ zu machen versucht: Es wird eine riesige Grube gegraben, in die es hineinstürzen soll. Zufällig ist’s Hogarth, der dem Monster als erster begegnet und dem es gelingt, dieses in die Fallgrube zu locken, die anschließend zugeschüttet wird. Doch ist das Monster auch unsterblich: Es befreit sich aus dem Schutt – und Hogarth aus seinen Schuldgefühlen wegen seines Maschinenmordes. Ihm kommt sogar die Idee, wie eine friedsame Ko-Existenz ermöglicht werden kann: Das Monster darf fortan in einem Schrottplatz hausen.

Eine Weile geht alles gut, doch naht ein dunkler Schatten aus dem All: Der „Space Dragon“ ist mit einem riesenhaften Appetit gesegnet und plant, sich mit der Weltbevölkerung einen Schnellimbiß zu gestatten. Hogarth erfleht Hilfe vom Monster, welches sich freundlicherweise zur Verfügung stellt, in einem Duell gegen den Drachen ums Überleben der Erde zu kämpfen.

„Erst im Nachhinein glaube ich nun zu wissen, warum mich die Geschichte so anzog – sie ist im Kern nicht sehr verschieden von ,Tommy‘ oder ,Quadrophenia‘. Sie handelt ebenfalls von einem Kind, das verunsichert ist, Angst hat – und sie handelt von der Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsensein.

Was mir am ,Iron Man‘ weiter gefiel, war die Tatsache, daß es ein Märchen ist, das unmittelbar zu unserer Zeit gehört. Du kamst es auf verschiedenste Art auslegen. Es geht darin z.B. auch um die Ignoranz, die wir im Umgang mit der Natur an den Tag legen. Es geht um die Natur menschlicher Freundschaft, um die verhinderbare Tragödie von Rassismus und vieles mehr.“

Townshend hat schließlich nicht nur die Geschichte in ein Musical umgewandelt, sondern gleich noch als Produzent fürs Gesamtprojekt gewirkt (inkl. Trickfilm-Video, Album und eine Bühnen-Version, die im Herbst realisiert werden soll). So hat er aus einer Wunschliste von Sängern/innen, die von Lou Reed bis Dieter Meier, von Mose Allison bis Captain Beefheart reichte, am Ende John Lee Hooker (in der Rolle des Iron Man), Roger Daltrey (Hogarths Vater), und Nina Simone (Space Dragon) für die LP-Version gewinnen können.

„Ich hatte schon gewisse Bedenken, Nina Simone zu fragen, ob es ihr was ausmachen würde, als Frau die Rolle eines Drachens zu singen., You know‘, hat sie gesagt, ,der Grund dafür, daß ich heute keinen jungen Mann mehr in meinem Leben habe, ist der, daß ich eben ein Drache bin!‘ John Lee Hooker – das war ein großes Erlebnis für mich. Es war wundervoll, mit jemandem zu arbeiten, der bei der Geburt der Rockmusik dabei war. Er selber war von der Sache wohl eher amüsiert. Ich glaub auch nicht, daß er mit diesem Stoff viel anfangen konnte, haha!“

Weniger Originalität steckte erwartungsgemäß in der Zusammenarbeit mit Roger Daltrey: „Nach einer Weile sind wir zur alten Arbeitsweise zurückgekehrt: Ich verzog mich genervt ins Cafe, und als ich zurückkam, grinste er mich von weitem an, hielt den Daumen hoch und sagte: ,Geschafft'“ .

Bevor „Iron Man“ unsere Bühnen erreicht, steht allerdings noch die kleine Nebensache einer Who-Tour

durch die USA ins Haus. Begleitet von einer 14köpfigen Band werden Pete, Roger und John Entwistle „die Musik spielen, mit der wir aufgewachsen sind. Vor allem Who-Musik, doch auch andere Songs. Denn in den Staaten ist ein unglaublicher Hunger nach ,Klassikern‘ ausgebrochen, der – so scheint mir – wenig mit Nostalgie zu tun hat. Es ist vielmehr der Wunsch zu verstehen, wie wir an den Punkt in der Rockgeschichte gekommen sind, wo wir heute stehen.

Es gibt da drüben ein großes junges Publikum, das immer noch eine ziemlich altmodische Rock’n’Roll-Ideologie lebt, die wir in Europa abgelegt haben. Junge Leute hier schauen sich die Rockszene an, sehen Leute wie die Stones, die Beatles und die Who als die Drehscheiben darin und sagen sich: Mit der Scheiße wollen wir nichts zu tun haben.

Was diese Kids vergessen, ist die Tatsache, daß wir ja bloß eine Äußerung einer viel reicheren Geschichte waren, die zurück reicht in die Zeit der Emanzipation der Schwarzen in den USA. In Amerika selber ist diese Geschichte Teil des Alltages, und so ist man daran interessiert, mehr über diesen Kontext zu erfahren.“

Europa-Gigs sind für die Who kein Thema mehr: „Darüber hab ich nicht einmal mehr nachgedacht“, weist Pete die Idee von sich: „Auf kreativer Ebene sind die Who für mich eine ausgebrannte Kraft. Kann sein, daß wir nochmal in England auftreten, aber nur weil wir sonst gesteinigt würden. Es hat wirklich sonst keinen Sinn für uns, hier noch zu spielen.

Für mich als Solo-Künstler ist das anders. Bei ,White City‘ habe ich festgestellt, daß die Zuhörer in Europa meinen Themen gegenüber weitaus aufgeschlossener sind als in Amerika. In Europa aber hat man zu verstehen begonnen, was ich als Individuum, nicht als Mitglied einer Band, zu sagen versuche.“