Pet Shop Boys: Musikexpress/Sounds Interview


Rockmusik hassen sie wie die Pest. Die wahren Klassiker der Moderne entstammen für die Herren Tennant und Lowe ganz eindeutig der Popmusik. ME/Sounds-Mitarbeiter Bernd Lechler setzte sich mit den beiden Galionsfiguren der computergesteuerten Wohlklänge zu einem postmodernen Pop-Palaver auf die Couch.

ME/SOUNDS: Die Deutschlandkonzerte markierten ungefähr die Halbzeit eurer Welttournee. Aber abgesehen von einem gelegentlichen Tastendruck, beschränkst du dich auf der Bühne darauf, gut auszusehen. Ist das auf die Dauer nicht fürchterlich langweilig, Chris?

LOWE: Das ist genau das. was ich am besten kann. Am liebsten mag ich „Suburbia“, die Nummer, bei der ich in diesem Käfig hocke. Ich sitze nämlich gern bei der Arbeit. Ich kann dabei den Tänzern zusehen. Und da gibt es ja diese Stelle, an der Cathy. eine der Tänzerinnen, ihren Slip auszieht. Darauf freue ich mich jedesmal.

TENNANT: Ich guck da immer weg, weil ich sonst lachen muß, und das darf ich an dieser Stelle nicht.

ME/SOUNDS: Als ihr für die Umsetzung eurer aufwendigen Show David Fielding und David Alden engagiert habt, immerhin zwei klassische Opern-Regisseure, hattet ihr da keine Angst, daß die am Ende Kunst abliefern statt Pop – oder vielleicht sogar Pseudokunst?

TENNANT (pikiert): Nun, wir hatten durchaus vor, uns in Richtung Kunst zu bewegen. Dafür brauchten wir Leute, die vom Rockbusiness keine Ahnung hatten. Die Typen aus dem Rockgeschäft brauchen oft eine Ewigkeit, um ihr eingefahrenes Denken zu ändern. Den beiden Davids dagegen gaben wir einfach eine Cassette mit unseren Songs und die Texte dazu, und auf dieser Basis haben sie die ganze Show entwickelt. Natürlich haben wir mitgeredet und manches geändert, aber das meiste stammt von ihnen. Und inzwischen sind alle, die Regisseure genauso wie etwa die Tänzer, sehr stolz darauf, daß wir etwas hingekriegt haben, was es so noch nie gegeben hat.

ME/SOUNDS: Bei manchen Songs stehen die Leute im Publikum einfach auf und tanzen, anstatt dem Geschehen auf der Bühne zuzusehen. Da ist der Groove offenbar stärker als das Theater…

LOWE: In Belgien war das Publikum einfach unglaublich, fast wie bei einem Footballspiel. Die Leute schrien und hüpften. Natürlich haben sie auch zugehört. Aber darüber hinaus drückten sie sich eben durch ihre Bewegungen aus.

ME/SOUNDS: Eure Show ist durchaus widersprüchlich. Da gibt es einen poetischen Pas de deux – und wenig später Discogestampfe. Mal ist alles ernst und packend und dann wieder grotesk und kitschig. Hai das Methode, oder haben eure Regisseure zwischendrin einfach den Faden verloren?

TENNANT: Es ist schlicht und einfach unmöglich, Songs, die nichts miteinander zu tun haben, in ein durchgehendes Konzept zu packen. Wir haben aber immerhin so eine Art Reise hingekriegt, auch eine Reise durchs Leben. Zu Beginn sind wir Kinder – und am Ende dann Popstars, die von ihrem eigenen Ruhm zermalmt werden.

Gewisse Widersprüche in der Show sind aber beabsichtigt, denn wir wollen nicht nur Entertainment auf die Bühne bringen. Manche Songs sollen sogar Angst einflößen …

ME/SOUNDS: „It’s A Sin“ ist ja geradezu ein Alptraum …

TENNANT:… aber rückblickend finde ich die Stelle mit den Elektroschocks etwas kitschig. Die hat so einen gewissen Pink Floyd Touch. Bloß konnten das die Regisseure nicht wissen. Die haben THE WALL nämlich nie gesehen. Sehr gut geglückt ist dagegen „So Sorry I Said“, diese herrliche Ballade, bei der Chris eine Zwangsjacke trägt und ich singend im Rollstuhl sitze und eine Spritze verpaßt kriege. An dieser Stelle spürst du, wie sich das Publikum nach vorne lehnt und sich fragt, was da oben eigentlich passiert – und das ist ein fantastisches Gefühl.

Überhaupt ist es großartig, wie positiv unsere Show speziell vom Rockpublikum aufgenommen wird. Ich hab das Gefühl, daß die Leute Heißhunger nach Neuem haben. Die meisten Rockshows gleichen sich doch. Du weißt immer ziemlich genau, was du von einem Heavy-Metal-Abend und was von einer HipHop-Show zu erwarten hast. Bei uns dagegen sagen hinterher alle: .Also, das hatte ich mir ganz anders vorgestellt.“ So hat beispielsweise vor uns niemand gewagt, auf der Bühne fast ganz ohne Musiker auszukommen. Wir

arbeiten lediglich mit einem Keyboarder und mit einem Gitarristen. Ansonsten brauchen wir keine Musiker, weil alles die Computer erledigen.

ME/SOUNDS: Sequenzer zu verwenden, ist ja durchaus konsequent, wenn man an die Machart eurer Platten und an das Konzept der Show denkt. Trotzdem: Übt denn Musik, die spontan oder zumindest live entsteht, durch Musiker eben, keinen Reiz auf euch aus?

LOWE: Unsere Musik entsteht doch live!

ME/SOUNDS: Durch Computer.

LOWE: Ich sehe da keinen Unterschied. Rockshows sind sehr selten spontan. Wie oft ändert man denn auf einer Welttournee die Songs – oder einen Spruch wie „Hello, Berlin“? Letztlich findet doch jeden Abend das gleiche statt.

TENNANT: Wir machen ja auch im Studio keine improvisatorische Musik. Wir machen eben unsere Musik, und so haben wir sie auch auf die Bühne gebracht.

ME/SOUNDS: Welche Aufgabe hatte dann Harold Faltermeyer als Produzent der letzten LP?

TENNANT: Die Idee war, jemand neuen ms Studio zu bringen. Wir arbeiten bei jeder LP mit einem anderen Produzenten. Außerdem brauchten wir einen Fachmann für alte, analoge Synthesizer. Hinzu kommt, daß wir keine guten Programmierer sind. Im übrigen hatte Harold Faltermeyer natürlich auch viele musikalische Ideen.“

ME/SOUNDS: Hat er auch euren ganz speziellen Sinn für Humor?

LOWE: Einen völlig anderen. Aber er ist unglaublich witzig.

TENNANT: Es ist sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten. Wir saßen oft in seinem Garten und tranken Bier.

ME/SOUNDS: Stimmt es, daß ihr im Studio die Beine hochlegt und den Programmierer arbeiten laßt.

LOWE: Na ja. das liegt an unserer Arbeitsweise. Wir verbessern halt unsere Demos.

TENNANT: Das kann zum Beispiel eine Baßlinie sein, die Chris zu Hause in zehn Minuten in den Computer eingegeben hat. Unser Programmierer beschäftigt sich dann womöglich noch mal drei Tage damit und arbeitet das Ganze sehr sorgfältig aus. In solchen Fällen döst Chris dann eben vor sich hin, und ich trinke eine Tasse Tee. Aber du kannst ja mal rumfragen: Da sind wir auch nicht anders als Def Leppard. Das ist immer so im Studio. Bloß erzählen dir die Rockstars das nicht. Wir dagegen machen kein Geheimnis draus.

LOWE: Stimmt, wir reden offen über diese Dinge. Und wenn sich ein Mythos aufbaut, zerstören wir ihn. So wie letztes Jahr, als wir ein Buch über uns veröffentlichten. Trotzdem haben wir irgendwie keine Chance. Die Medien pflegen immer noch ihre Theorie von der „ironischen Distanz“ und darüber, daß wir Zyniker seien – weil ihnen nämlich keine andere Theorie einfällt, und weil sie nichts Falsches berichten wollen.

Dabei sind es vielleicht nur meine gesanglichen Schwächen, die mich ironisch distanziert wirken lassen. Im übrigen interpretieren alle viel zu viel hinein in unsere Musik.

ME/SOUNDS: Da seid ihr ja wohl selbst schuld. Schließlich wirkt ihr immer betont überlegt, ausgesprochen clever und theoretisch fundiert. Seid ihr denn nie mal begeistert oder vielleicht unsicher?

TENNANT: Natürlich sind wir das. Die Cleverness, die man uns zuschreibt, ist ja sehr schmeichelhaft, aber letztlich gehen solche Aussagen an unserer Art zu arbeiten völlig vorbei. Harold Faltermeyer zum Beispiel hatten wir engagiert, um eine sehr technisch, oder besser, mechanisch klingende Platte mit ihm aufzunehmen. Das Album aber, das wir neun Monate später veröffentlichten, klang sanft, traurig, schön – mal abgesehen von „So Hard“. Am Anfang wissen wir eigentlich nie, was am Ende rauskommt. Wir machen einfach, was uns einfällt. Mit der Tour verhält es sich genauso. Wir werden einen Haufen Geld verlieren, wenn sich unsere Vorgehensweise langfristig vielleicht nicht doch noch auszahlt.

ME/SOUNDS: Apropos „auszahlen“: Du hast mal gesagt, mit „West End Girls“ einen Nummer-1-Hit zu haben, sei etwa so aufregend wie…

TENNANT:… eine Tasse Tee zu trinken.

ME/SOUNDS: Genau. Klingt ja sehr cool, aber ich glaub kein Wort davon.

TENNANT: Ist auch besser so. Das war nämlich völliger Schwachsinn. Ich war wohl in der Laune, etwas Dummes zu sagen. In Wirklichkeit war das Ganze ungeheuer aufregend. Was ich meinte, als ich den von dir angesprochenen Satz sagte, war folgendes: Wenn du eine Nummer 1 hast und der ganze Erfolg einsetzt, kriegst du das zu der Zeit, in der es passiert, kaum mit, weil du so viele andere Sachen am Hals hast. Damals arbeiteten wir gerade an unserer ersten LP und waren genervt, Tausende von Interviews geben zu müssen. Manches ist so ermüdend, daß du den Erfolg eigentlich erst im Rückblick genießen kannst.

ME/SOUNDS: Euer derzeitiger Lieblingssong, „Bang Boring“, zählt nicht gerade zu euren größten Erfolgen. Frustriert?

TENNANT: Ich war geradezu niedergeschmettert. Das ist vielleicht der beste Song, den wir je aufgenommen haben – ich mag die Einleitung, ich mag das Video. Immerhin handelt die Geschichte von einem Teil meines Lebens. Allerdings spielen wir das Stück nicht live, weil der Gesang so tief und fast flüsternd ist. Live läßt sich das kaum hinkriegen, mit dieser sehr persönlichen Ausstrahlung.“

ME/SOUNDS: Den größten Applaus im Konzert kriegt ja eh eure Sängerin Syhia für ihre Version von „Rent“. Kratzt das an deinem Selbstbewußtsein ab Sänger?

TENNANT: Nein, weil sie eine fantastische Sängerin ist. Ich selbst dagegen bin eigentlich gar kein Sänger. Aber glücklicherweise gibt es ja diesen Bob-Dylan-Effekt: In der Popmusik ist es nicht so wichtig, ein guter Sänger zu sein.

ME/SOUNDS: Stichwort Popmusik Für euch scheinen Pop und Rock unvereinbare Gegensätze zu sein.

TENNANT: Darüber reden wir schon seit fünf Jahren. Aber eigentlich ist diese Diskussion inzwischen müßig, weil der Rock längst tot ist.

LOWE: Nein, es geht ihm doch sehr gut, man denke nur an Roxette.

TENNANT: Roxette?

ME/SOUNDS: Roxette?

TENNANT: Sorry, aber wie kommst du ausgerechnet auf Roxette?

LOWE: Das ist doch eine erfolgreiche Rockband, oder etwa nicht?

TENNANT (gluckst): Oh jaaa, genau.

ME/SOUNDS: Was ist denn nun eigentlich Pop konkret?

TENNANT: Pop ist für mich etwas Zeitgenössisches, Modernes. Ich fühle mich gut dabei. Schau, wir haben was gegen diese ganze Idee vom „Classic Rock“. Typen, die auf Teufel komm raus „Classic Rock“ machen wollen, werden am Ende vergessen. Leute dagegen, die banale Popsongs schreiben, schaffen die wahren Klassiker und überleben. Nimm die Simple Minds. das ist eine „wichtige Band“. Und was war ihr größter Hit? „Don’t You Forget About Me“, ein Song, den sie nicht selbst geschrieben haben, ein Stück Filmmusik. Das war ein guter Popsong. Dafür wird sich das Publikum an sie erinnern.

ME/SOUNDS: Jetzt sprichst du von Banalitäten. Als es vorhin um eure Bühnenshow ging, hast du noch voller Selbstbewußtsein das Wort Kunst in den Mund genommen. Lauert da vielleicht irgendwo ein böser Widerspruch?

TENNANT: Nur dann, wenn man banal gleichsetzt mit dumm. „Hey Mr. Tambourine Man“ ist ein fantastischer Popsong. Gott weiß, wovon er handelt. „Better The Devil You Know“ von Kylie Minogue ist genauso gut. Es gibt einfach verschiedene Ebenen von Bedeutung. Das hängt mit einer bestimmten Haltung, mit einem Gefühl zusammen. Pop hat eine gewisse Leichtigkeit. Rock dagegen ist von einer undefinierbaren Wichtigkeit. Viele Sachen der späten Sechziger und frühen Siebziger hört sich heute kein Mensch mehr an. All die „wichtigen“ Platten. Das Konzert mit Orchester von Deep Purple etwa, oder Jethro Tulls THICK AS A BRICK. Erinnern sich die Leute daran? Oder summen sie nicht vielmehr „Ride A White Swan“ von T. Rex? Übrigens haben wir deswegen auch „Where The Streets Have No Name“ von U2 gecovert – um aus einem „wichtigen“ Popsong eine Tanzplatte zu machen.

ME/SOUNDS: In eurem Song „How Can You Expect To Be Taken Seriously“ haut ihr engagierte Musiker wie Bono, Sting oder Peter Gabriel in die Pfanne. Warum eigentlich?

TENNANT: Der Song richtet sich ganz allgemein an die meisten Rockstars. Seit Mitte der 80er Jahre meinen immer mehr Musiker, sie seien wichtige politische Persönlichkeiten. Sie beschränken sich nicht mehr darauf, sexy zu sein und gute Musik zu machen, sondern wollen bedeutende Wohltäter sein. Es ist einfach arrogant, so zu tun, als sei es nicht genug, ein Popstar zu sein. Wir finden es wunderbar. Es müßte viel mehr Popstars geben. Ich weiß nicht, wieso bestimmte Leute glauben, sie wüßten mehr über Ökologie als irgendein Schulkind.

ME/SOUNDS: Aber hat denn keiner von denen ein ehrbares Anliegen? Sind das nur Wichtigtuer?

TENNANT: Manche sind ernsthaft bei der Sache, andere nicht. Wir beschränken uns darauf, einen alternativen Standpunkt zu präsentieren. Das ist alles. Außer uns macht das keiner. Das Problem der Rockmusik und des größten Teils der Popmusik ist. daß jeder das gleiche denkt und tut.

ME/SOUNDS: Zum Beispiel?

TENNANT: Von Deee-Lite gibt’s den Song „The Power Of Love“. Madonna singt „I believe in the power of love“. Außerdem gab’s da noch „The Power Of Love“ von Jennifer Rush und von Frankie Goes To Hollywood. Wie oft willst du diesen Satz denn noch hören? Wir schreiben gelegentlich sowas wie „Hard“. Das ist ein netter Popsong. Nichts Neues zwar, aber immerhin versuchen wir. Dinge abzusondern, die nicht schon drei Milliarden Mal gesagt worden sind.

ME/SOUNDS: Dabei darfs denn wohl auch kritisch zugehen. Songs wie „Suburbia“ oder „It’s A Sin “ sind auf ihre Art doch durchaus politisch.

TENNANT: Sie drücken persönliche Ansichten über gewisse Dinge aus. Was ich nicht mag, sind Musiker, die ganz direkt und ohne künstlerische Gestaltung politische Statements abgeben. Da wird’s langweilig und peinlich. Ich gebe zu, daß die Amnesty-International-Tourneen Gutes bewirkt haben. Aber meistens dient all das nur zur Gewissensberuhigung der Stars. Und die meinen auch noch, eine Macht zu besitzen, die sie gar nicht haben. Bruce Springsteen erreichte den Gipfel seiner Karriere während der Reagan-Ära. Die Leute haben seine Platten gekauft und danach Reagan gewählt. Die Texte hatten keinerlei Wirkung auf sie. Das einzige, was Rockmusik als soziales Phänomen je bewirkt hat, war der Drogen-Boom in den 60er Jahren.

LOWE: Also ist sie doch nicht so übel.

TENNANT: Also, ich bin von Drogen nicht so begeistert. Aber jetzt sind sie ja wieder groß in Mode, auch in der Popmusik. In ein paar Jahren werden dann wieder alle Antidrogensongs schreiben und gleichzeitig heimlich koksen. Leute wie mich wird man auch dann als Zyniker verdammen, weil sie die Wahrheit sagen.

ME/SOUNDS. In „So Hard“ geht’s ja auch um die Wahrheit. Der Song handelt doch von einem Paar, das sich mißtraut – und zwar zu recht, weil beide fremdgehen. Ist der Titel des Songs so eine Art Anspielung?

TENNANT: Klar, auf die Erektion. Wenn du bei diesem Song ganz genau aufpaßt, hörst du zweimal einen Sample aus einem Pornovideo, in dem eine Frau stöhnt „It’s so hard“. Die entsprechende Sequenz fanden wir auf einer Emulator-Sample-Diskette. Da sind lauter Orgasmen und solche Sachen drauf. Und nachdem der Titel des Songs mit „So Hard“ schon feststand, war die Damenstimme einfach zu schön, um sie wegzulassen.

ME/SOUNDS: Damenstimmen scheinen euch ja zu faszinieren. Werdet ihr auch in Zukunft wieder Platten von prominenten Kolleginnen wie Liza Minelli oder Dusty Springfield produzieren?

TENNANT: Momentan überlegen wir, mal mit neuen Bands zu arbeiten. Aber eigentlich haben wir über die Tournee hinaus noch keine konkreten Pläne – und das ist sehr angenehm.