Pet Shop Boys
Die englischen Musikgazetten – ansonsten spektakulären Großveranstaltungen dieser Art gegenüber eher skeptisch – stolperten diesmal über ihre eigenen Superlative. Die allererste Konzert-Tour der Pet Shop Boys wurde sogleich mit Prädikaten wie Show des Jahres, ja des Jahrhunderts bedacht. Eine andere Reaktion war eigentlich auch gar nicht möglich: Die Pet Shop Boys, vielleicht die cleverste, berechnendste Band in der Welt des Pop. hatten bestimmt auch die Kritiken schon im Visier, als sie den Tour-Set zusammenstellten. Auf jeden Fall blieb nichts dem Zufall überlassen. Mehr als 120 Helfer, Roadies und Techniker machten das Großereignis erst möglich.
Das Spektakel gleicht einer Kreuzung aus einem Queen-Konzert, einem Broadway-Musical, Madame Tussauds Wachsfiguren-Kabinett und einem Film mit Kunstanspruch. Auf einer riesigen Leinwand läuft der eigens für die Tour gedrehte, 45minütige Film des Avantgarde Regisseurs Derek Jarman (u.a. verantwortlich für „Jubilee“, „The Queen Is Dead“); außerdem hüpft ein hippes Dance-Ensemble aus LA unter Leitung von Casper Canidate über die Bretter; je zwei Background-Sänger und Sängerinnen, ein Programmierer, ein Perkussionist und der Liebling aller Yuppies, Courtney Pine, am Saxophon, komplettieren das Bühnenbild.
Nicht zu vergessen natürlich Neil Tennant und Chris Lowe, das Pet Shop-Duo, das mit versteinerten Mienen dasteht, sich in regelmäßigen Abständen immer wieder in neuen, seltsamen Klamotten zeigt und – seiner fehlenden Attraktivität durchaus bewußt – deshalb die eigentliche Performance den anderen Akteuren überläßt.
Apropos Publikum. Das Wembley-Publikum ist nicht gerade bekannt für seine Ausgelassenheit, doch diesmal wird munter getanzt. Merkwürdig nur, zumindest für ein Pop-Konzert, der auffällige Mangel an Kids: Falls überhaupt einer unter den vielen Tausend unter 30 gewesen ist. muß er sich gut versteckt haben. Momente pompöser Extravaganz garnieren die Show. So zum Beispiel, wenn Neil in seinem weißen Pelzmantel wie eine Mischung aus Zsa Zsa Gabor und einem lädierten Seehundbaby aussieht und „Rent“ singt. Und das mit einer schmutzigen Chorknaben-Stimme inmitten Tango-tanzender Pärchen. Bei „Paninaro“ kommt dann Jarmans Version vom „Tod in Venedig“ auf der Leinwand zum Zuge. „Nothing Has Been Proved“ wiederum spielt vor der Kulisse einer zwielichtigen Soho-Bar. Zum krönenden Abschluß tauchen riesige Monster auf, Symbol der zu Fleisch gewordenen Sünden: Ein als Schwein verkleideter Mensch im Tierpelz, ein monströser Bulle in
Frauenunterwäsche mit Rjesen-Phallus und andere Gestalten, zu denen sich Neil, in eine rot glitzernde Papst-Robe gehüllt, gesellt. Das Background-Personal rundet das bizarre Bild mit seinen schwarzen Mönchskutten ab.
Schenkt man den Konzert-Kritiken Glauben, so gleicht jede Show der vorigen und folgenden wie ein Ei dem anderen. Für Spontaneität bleibt weder Zeit noch Raum, war auch niemals vorgesehen. Die Pet Shop Boys sind ein millimetergenau durchkalkuliertes Musik-Unternehmen, ein reines Designer-Produkt der 80er Jahre.
Aber wie wir inzwischen wissen, sind Designer-Produkte zwar nicht unbedingt von existenzieller Bedeutung, mithin entbehrlich und temporär, für einen kurzen Kick aber immer gut.