Paulas Popwoche: Some girls are bigger than others

Paula Irmschler über Body Positvity und Ozempic-Wahn.


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Liebe Leute, der Sommer steht schön bevor, habt ihr schon eure Bikinifigur, also die mit den Armen und den Beinen und diesem ganzen Gekörper?

Aber keine Sorge: Über den Wenigerwerden-Wahn in Bezug auf Strandnormschönheit will ich gar nicht reden, das fühlt sich für mich sehr 80er, 90er, Nuller an. Der neue Dickenwitz geht eh anders (er hat die alten natürlich nicht verdrängt, aber es kommt immer Neues dazu). Er geht nämlich gegen Dünne! Beziehungsweise Neudünne, die jetzt alle Ozempic genommen haben. Peinlich diese Leute, die auf den Hype aufgesprungen sind und sich diese Hollywood-Spritze verabreichen, gossip gossip, läster läster. Hat er? Hat SIE? Ihr kennt die Namen, zunehmend reicht man sich auch deutsche rum, ein Riesenspaß.

Dabei ist das auch nicht ganz neu. Um Promis, die abgenommen haben, ging es schon seit es Promis gibt und seit Schlanksein halt in jedem Bereich das erstrebende Ziel ist, weil es bedeutet, einen gesunden, fickbaren, tüchtigen Körper zu haben. Diätpillen, Shakes, OPs, Wundermittel xy, das neue Dings-Konzept, der neue Wahnsinnstrainer, halbe Portionen, Hungern, Heroin – gemutmaßt WIE eine Person viel abgenommen hat, die im Rampenlicht steht, wird seit jeher.

It’s all about that bass

Wer einen Körper hat, muss aber nicht zu den Stars aufschauen, sondern einfach mal überlegen, wie das bei einem selbst so läuft. Dann kommt man relativ schnell drauf, dass es bei diesen ganzen Abnehm- und Zunehm-Sachen nicht immer darum geht, was man einnimmt oder wo man hingeht, sondern was der Körper macht. Es geht eben nicht so sehr darum, was man will, sondern wie der Körper funktioniert. Körper sind individuell, Gewicht verändert sich oder schwankt aus vielen Gründen – viele Leute glauben aber immer noch, dass Dick- und Dünnsein einzig und allein auf viel oder wenig essen beziehungsweise viel oder wenig bewegen zurückzuführen ist. Das stimmt so nicht und ist verkürzt, lauscht dazu zum Beispiel Mai Thi.

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Trotzdem haben viele Leute Meinungen zu den Entwicklungen der Körper anderer Leute – denn noch mehr als bei anderen körperlichen Eigenschaften, die in unserer kapitalistischen, patriarchalen Kultur als nichtschön gelten, ist mit Fettsein eine ganze Menge völlig Willkürliches verbunden: Faulheit, Dreistigkeit, Armut und Reichtum gleichermaßen, Dummheit, Arroganz, Gesundheit, Maßlosigkeit, you name it (literally). Aus diesem Umstand und jenem, dass die Veränderlichkeit des eigenen Körpers eben nicht so einfach gegeben ist, wie viele glauben, entstand die Body-Positivity-Bewegung. Wir haben einen Körper, der nun mal (aktuell) ist wie er ist und wir wollen trotzdem mit ihm leben, ihn wertschätzen, ihn versorgt wissen, wir wollen ihn anziehen und uns in ihm bewegen, ohne beleidigt, bespuckt, verarscht zu werden oder Gewalt zu erfahren. Und wir wollen anerkannt haben, dass unser Körper von uns und / oder anderen als schön und begehrenswert wahrgenommen wird.

Big girls, you are beautiful

Aus dem Grund, dass schlanke Körper als Norm gelten, ergab sich der Umstand, dass Body Positivity irgendwann als Synonym für Dicksein benutzt wurde. Schlanke Personen brauchen keine Body Positivity, weil ihre Körper eh meist als positiv wahrgenommen werden. Dick und hässlich wird zusammengenannt, schön und schlank ebenso. Altern und Sichgehenlassen bedeutet, dick zu werden, aus dem Leim zu gehen, zu verfetten. Dieses Missverständnis führte zu absurden Äußerungen von Leuten: Person xy (dick) sei doch so body-positive-mäßig unterwegs, einfach, weil sie sich halt zeigt. Und auch ich kenne das. Ich bin auf einer Bühne oder vor einer Kamera und einfach weil ich existiere und sichtbar bin, nennen mich Leute body positive. Weil ich halt nicht Chips-Eis-fressend im Keller meiner Eltern hocke und mich danach sehne, von irgendeinem Hanswurst geheiratet zu werden. Mutig, dass du rausgehst, so die Botschaft, das muss diese Body Positivity sein.

Aber: Nur weil ihr in den letzten Jahren auf Social Media mehr dicke Personen gesehen habt, die sich selbst vor die Kamera stellen können und nicht erst (wie früher im TV) auf Auserwählung warten müssen und weil Konzerne begriffen haben, dass man manche dicke Körper (gephotoshoppt, jung, glatt) auch gut vermarkten kann, weil Dicke auch was anziehen müssen, habt ihr gedacht, dass wir in einer Kultur der Body Positvity leben. Beziehungsweise LEBTEN. Denn diese Zeiten seien nun vorbei, verlautbaren die Artikel und Podcasts, der Heroinchick der 90er sei wieder da, auch dank Ozempic.

Geh ins Gymi, werde skinny

Aber sorry, to break it to you, diese Body Positvity war nie mehr als eine Idee. Jede dicke Person kann davon berichten. Beim Arzt. Beim Einkauf. Auf Jobsuche. Wenn sie in der Öffentlichkeit isst. Wenn sie in der Bahn nach einem Sitzplatz sucht. Wenn sie an einer Gruppe Männer vorbeigeht. Wenn sie nachts allein nach Hause geht. Beim Besuch der Familie. Beim Sport. In Restaurants. Am See. Zu Hause beim Schauen von Serien und Filmen. Beim Durchblättern von Magazinen. Beim Vorbeilaufen an Werbeplakaten. Wenn sie sich in einer Gruppe von Freunden oder Arbeitskolleg*innen sicher fühlt, aber dann deren Witzeleien und Lästereien und Diättalk lauschen muss.

Denn es passiert die ganze Zeit: Die Abwertung von Dicken, der Ekel vorm Dicksein, die Gewalt gegenüber Dicken, die Nachteile für Dicke, die Fetischisierung von Dicken, der Hass gegen Dicke. Es gibt keinen Backlash, es gab nämlich nie eine diskriminierungsfreie Zeit für Dicke. Und dann wird man auch noch verlacht, wenn man das alles nicht mehr aushält und zu Mitteln wie Ozempic greift, um endlich seine Ruhe zu haben. How about: fuck you?

Gotta blame it on my juice

So manche*r redet sich damit raus, dass man sich ja nur sorgt, denn diese Spritzen hätten Nebenwirkungen, man wüsste ja noch gar nicht und so weiter. Stimmt, und man muss auch darüber reden, welchen Druck das auf junge Menschen ausübt, die ihren Stars nacheifern. Aber ich glaube für viele ist dieses Risiken-Gequatsche nur ein Vorwand, um weiter ihrer Abwertung von anderen Körpern zu frönen. Lasst doch mal über die Risiken reden, die durch Hass auf dicke Menschen bei diesen ausgelöst werden.

In der Serie „Dietland“ sagt die dicke Protagonistin Alicia am Anfang: „Some people would prefer me dead“ und genau so zugespitzt kann man es nur ausdrücken. Wenn wir nicht sichtbar sein dürfen, mit unseren Körpern und wie sie sind, wenn wir nicht teilhaben können, dann sind wir halt nicht da. Im Grunde geht es um Daseinsberechtigung. Und Daseinsberechtigung geben uns scheinbar die dicken Promis, weil sie uns beweisen, dass man im kapitalistischen Game auch als dicke Person gewinnen kann und was zur Kultur beitragen kann. Klar fühlt es sich dann erstmal wie ein Verlust an, wenn diese Personen immer weniger werden, wenn Adele, Lizzo, Kelly Clarkson und Meghan Trainor nicht mehr unsere „Repräsentantinnen“ sind. Aber insgeheim wissen wir natürlich, dass sie es nie wirklich waren.

Das Ding ist, dass ja alle wollen, dass Leute dünn werden. Das fordert ihr ja jeden Tag mit jedem Blick, mit jedem Witz, mit jedem Spruch, mit dem ihr Dicksein abwertet. Der Ozempic-Wahn ist die Ausführung von dem, was ihr wollt. Spart euch also den Gossip und informiert euch endlich.

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Dafür noch der Tipp und Tschö.

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