Paulas Popwoche: Running up that hill – mit Taylor Swift, Shirin David und Kamala Harris
Paula Irmschler über den „Mount Swiftie“, Body Positivity als Vermarktungstrick, „Big Brother“-Rewatch und den Kamala-Harris-Summer.
Es sind die kleinen Dinge (der Woche): Bevor ich gleich wieder rummäkele, was Schönes!
„Mount Swiftie“
Was die Popwelt angeht, will ich derzeit nur an eines denken: Die zehntausenden Swifties im Olympiapark und auf dem Olympiaberg in München während Taylor im Stadion daneben auftrat. Das checkten schnell auch meine Algorithmen und versorgten mich mit den schönsten Fotos und Videos davon, wie die Fans for free von Park und Berg aus die sowieso ausverkauften Veranstaltungen mitfeierten. Denn auch wenn es so schön wäre, Pop ist, wenn es um Konzerte geht, eben nicht für alle, Tickets sind arschteuer geworden, dazu kommen die Verlockungen von Merch und Co.
In was für einer trostlosen Zeit wir leben, merkt man also auch daran, wie verzweifelt man sich schöne kollektive Erlebnisse herbeiwünscht, ranzieht, vielleicht auch ein bisschen überbewertet – und voilà, so werden in meinem Hirn die Olymbiaberg-Momente zum Woodstock unserer Zeit (obwohl ja Woodstock selbst schon nicht mal das Woodstock seiner Zeit war). Es ist auf jeden Fall ein Hill to die on. Mittlerweile wurde der Berg schon zum „Mount Swiftie“ ernannt und Taylor ist auch begeistert.
Debatte der Woche: Shirin David
Zumindest in Deutschpopgefilden (und wir wollen ja nicht immer nur zu den Amis gucken) sprach man zuletzt auch über den neuen Song von Shirin David, „Bauch Beine Po“. Mir ist an ihm anfangs nichts weiter aufgefallen, also nichts, was außergewöhnlich wäre, auch musikalisch blieb nicht viel hängen, der Shirin-Sound, der mich mal begeistert hat, ist längst etabliert, passt schon.
Zum Text, in dem es darum geht, dass man sich anstrengen muss, um (norm-)schön zu sein und bei anderen (Männer wollen Sex mit einem, Frauen sind neidisch, das alte Ding halt) gut anzukommen: Ja, mei. Es erinnert mich verdächtig stark an „Work Bitch“ von Britney. Shirin könnte sich easy auch, wie es neuerdings (ich schrieb schon 100 Mal drüber) so gut läuft, bei Kritik ja auch auf die gute alte Satire, Parodie, Übertreibung zurückziehen. Kritik an Selbstoptimierung, dem Propagieren von Schönheitsidealen, für die man sich besonders viel anstrengen muss und die so richtig was kosten, und überhaupt der Fokus darauf, für Männer und Marktmechanismen gut anzukommen, ist wichtig – aber sollte halt generell gelten. Im Grunde spricht Shirin aber nur aus, was viele eh schon längst internalisiert haben, ja, auch einige Feministinnen, indem sie Dünn- und Jungsein abkulten, Skincare-Routinen teilen, knappe Outfits vor allem an anderen feiern und so weiter. Kann man alles machen, man kann auch punktuell Shirin abstrafen für etwas, was wir gerade kollektiv gemeinsam und nachhaltig für kommende Generationen verbocken, aber vielleicht sollten wir doch selbstkritischer sein. Viele tun so, als sei die Obsession mit Abnehmerei, Sport, Jungbleiben, Haarlosigkeit und hippen Klamotten was Individuelles, aber das ist es nicht, wir hängen da zusammen mit Shirin drin.
Stattdessen las ich in den vergangenen Wochen von (vor allem schlanken) Feminist*innen Trauerbekundungen wegen Shirins Song. „Wir waren doch weiter“, „was ist mit Body Positivity“, „ich bin enttäuscht“. Ganz als hätte Shirin nicht schon ihre ganze Karriere lang ein Schönheitsideal propagiert und repräsentiert. Wann fällt uns eigentlich auf, dass all die weiblichen großen Popstars, die wir für ihren Feminismus feiern, sich ähnlich sehen, ähnliche Körper haben, ähnliche Klamotten tragen, sich ähnlich bewegen? Als dicke Person guckt man sich die Bestürzung über „Bauch Beine Po“ an und ist nur so WASSS. Nein, wir waren nicht weiter und du auch nicht und du nicht und ich sowieso nicht. Body Positivity war nie mehr als ein Vermarktungstrick, bei dem es nur darum ging, das mehr Leute Sachen kaufen und nie darum, Körper von Diskriminierung und Ausbeutung zu befreien. Worum es bei Body Positivity vor allem ging war: Egal, wie groß dein Körper ist, auch du kannst ihn so in Szene setzen, dass er für Porno, Markt und Internetästhetik funktioniert – also in unbequeme Spitzenunterwäsche stecken, „Rundungen“ „betonen“, weiches Licht, glatte, unbehaarte, junge Haut simulieren oder anstreben. Echte Body Positivity würde bedeuten, dass man auch in alten, ungegenderten, bequemen Sachen dazugehört, attraktiv gefunden werden kann, dass man sich nicht pressen und formen muss, dass man nichts kaufen oder verkaufen muss, dass man ein normales Foto von sich hochladen kann, ein nicht inszeniertes, dass man sich nicht beweisen muss, dass man sich vielleicht auch gar nicht zeigen muss.
Retro der Woche: „Big Brother“
Keine Werbung, aber es gibt bei einem großen TV-Streamingservice, man kann das alles googeln, neuerdings einen Sender, ja einen ganzen Sender, der sich „Big Brother“ widmet. Derzeit läuft da gerade den ganzen Tag lang die erste Staffel. Ich war damals im Jahre 2000, als sie lief, elf Jahre alt und riesiger Fan, hab alles über DIE BEWOHNER gesammelt, hatte auch die entsprechenden CDs (BB-Allstars, Zlatko und Jürgen, Zlatko). Umso krasser ist es natürlich, das heute noch mal zu gucken. So vertraut sind alle Räumlichkeiten und Gesichter sofort, so neu erscheinen mir die Dialoge, die ich als Kind kaum verstanden habe. Und siehe da, Jürgen Milski war schon immer ein misogyner Lappen, cholerisch und verächtlich. Ich werde jetzt nicht sagen, es sei schlecht gealtert, ich glaube nämlich, dass viele Frauen (und auch von Homophobie und Rassismus Betroffene) sich schon damals über so manch mieses Gelabere geärgert haben werden.
Trotzdem ist es das wert, sich das nochmal anzugucken. Damals galt das Ganze nämlich als soziales Experiment und das funktioniert. So normal geredet und sich gegeben haben sich Teilnehmende von Reality-Sendungen wahrscheinlich nie wieder. Es erinnert daran, wie es ist, wenn man in einer Kneipe neben einer sehr großen Gruppe Leute sitzt und ab und an zuhört. Es ist interessant, es ist lustig, es ist peinlich, es regt einen auf und es versöhnt einen hier und da sogar wieder. Warum das damals so gut funktioniert hat, ist natürlich, weil Internet noch kaum eine Rolle gespielt hat und wir unser Dopamin noch einigermaßen beisammen hatten. Es war so herrlich langweilig und dadurch interessant. DIE BEWOHNER mussten nicht ständig irgendwelche Challenges machen und gegeneinander antreten, wurden wenig manipuliert und hatten keine Selbstdarstellungserfahrungen oder -bestrebungen. Aus dieser Langeweile ist dann eben dieser ganze liebenswerte Quatsch entstanden, den man selbst von Klassenfahrten oder dem Leben mit Geschwistern kennt: Es werden Sachen gebastelt, Make-up ausprobiert, Streiche gespielt, Quatsch gelabert, Lieder erfunden. Der Reiz heute besteht natürlich darin zu hören, wie die Leute DAMALS geredet haben und es ist überraschend und erdend gleichermaßen.
Sommer der Woche: Der Kamala-Harris-Summer
Zu guter Letzt: Hab ich in meiner vorherigen Kolumne noch gefragt, was für ein Sommer denn nun ist, so scheint sich die Popwelt mittlerweile einig zu sein: Es ist Kamala-Harris-Summer. Mit vereinten Kräften stellen sich Swifties („Swifties for Kamala“), der BeyHive (Beyoncés Hymne „Freedom“ ist Wahlkampfhymne), die BRATS (Parole „Kamala is brat“) und die Hotties (Meghan Thee Stallion unterstützte Harris bei einer Wahlkampfveranstaltung) hinter die Demokratin, die nun US-Präsidenten werden soll.
https://x.com/DreamAmerica_/status/1811428054809362637
Über ihre politischen Pläne hört man gerade noch wenig – der Pop geht schon mal voran – auf welchen Berg auch immer.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.