Paulas Popwoche: It’s the woman in Britney, Bitch
Spears’ Autobiographie ist erschienen & wie könnte man es anders sagen als in ihren Worten: it’s not just good, it’s great.
Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney, Britney. Kennt ihr das, wenn ihr etwas ganz oft sagt, dass es dann komisch klingt? Nicht so bei Britney. Da bin ich abgestumpft, ihren Namen habe ich tausende Male gelesen, gesagt, gedacht. Ihre Poster tapezierten mein Zimmer, ihre CDs wurden von meinem Player abgewetzt, jede Info über sie aufgesogen. Das normalste der Welt: Britney. Deswegen kann es in dieser Woche auch um nichts anderes gehen als Britney, denn bei mir war popkulturell in den vergangenen Tagen nichts anderes drin. Ich hab mich dem totalen deep dive hingegeben, alte Videos geglotzt, den vielen Dokus hinterherrecherchiert, die Diskographie mehrfach durchgehört, Britneys alte Bücher durchgeblättert und ihre Filme noch mal geguckt. Und ich bin in mein hauseigenes Britney-Jugendmagazine-Archiv gestiegen. Und damit man hier erstmal eingestimmt wird, wie das damals so war um die Jahrtausendwende, in welcher Kultur Britney Spears und wir restlichen Millennials aufgewachsen sind, auf welche Art parasoziale Beziehungen aufgebaut wurden, lange bevor den Begriff jede:r kannte, hier ein paar Beispiele. Willkommen in der Welt von Paparazzi- und Redaktions-Arschlöchern.
Der erste Artikel über Britney in der BRAVO. Es geht eigentlich nur darum, ob sie Nick Carters Freundin ist.
Kurz danach ein ganz normaler Bodycheck einer 17-jährigen.
Die Andichtungen von Boyfriends und Affären wurden immer wilder. Hier wird Holger (?) Speckhahn (??) ins Spiel gebracht???
Ja, das wird sie sicherlich genau so gesagt haben.
Britney sagt „Bye-Bye, Germany“ im Stalingrad-Shirt. Die Nuller einfach!
Schnell kippte die Britney-Euphorie in Hass um. Hauptsache irgendwie Content, wir Sammlerinnen hefteten eh brav alles ab.
Ganz vorn dabei war die „Yam!“ aus dem Hause Springer, die versuchte, die noch bösere BRAVO zu sein. Warum zum Beispiel nicht mal einer 19-jährigen ein blaues Auge photoshoppen?
Alles ganz normal.
Britney ist quasi der schlimmste Mensch.
Britney ist alles egal: Sie trinkt ein Getränk.
Und das alles ist noch gar nichts. Mit dem Sammeln habe ich 2003 aufgehört, weil ich dann cool wurde und Rock gehört habe (Ashlee Simpson, Lindsay Lohan). Der schlimmste Mist kam ein paar Jahre danach.
Deshalb nun zum Buch.
„The Woman In Me“
Als die #freebritney-Leute, die ich immer als etwas zu obsessiv und zu offen für Verschwörungstheorien wahrgenommen habe, von quasi uns allen forderten, uns bei Britney zu entschuldigen, fand ich das übertrieben, nach der Lektüre von „The Woman In Me“ denke ich mir: Scheiße, ja, okay. Es ist alles noch viel schlimmer, als man ahnen konnte.
Britney schreibt darin über ein halbes Leben, indem sie nirgendwo sicher war – draußen nicht und zu Hause nicht, weder unter Leuten, noch allein. In dem sie weder Presse, Fans, ihrer eigenen Familie noch Partnern oder Freundinnen trauen konnte. In dem sie ständig beobachtet, verfolgt, kontrolliert, bestraft und ausgebeutet wurde. In dem sich Menschen an ihr bereichert und ihr Leid kapitalisiert haben. In dem sie immer wieder gedemütigt wurde – und schließlich sogar entrechtet.
„I was never quite sure what all these critics thought I was supposed to be doing – a Bob Dylan impression? I was a teenage girl from the South. I signed my name with a heart“, schreibt Britney in ihrem Buch über die harsche Kritik, die ihr am Anfang ihrer Karriere entgegenschlug.
Dabei hat sie heute keine Zeit mehr für Bullshit, sondern weiß ganz genau, wer wie viel dafür verantwortlich ist. Schon auf der ersten Seite nennt sie ihren Vater einen Alkoholiker und damit ist der Ton klar. Es ist der Mann, der 13 Jahre lang legal über sie bestimmt hat. Über ihr Essverhalten, ihre Arbeit, ihre persönlichen Beziehungen, ihre Kunst, ihre Zeit, ihr Auftreten, ihre Medikation. Aber Britney setzt auch alles in Zusammenhänge. „The Woman In Me“ ist kein bloßes Outcalling von ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrer Schwester, den Paparazzi, den Journalisten, Justin Timberlake, Kevin Federline und wer ihr noch alles nachhaltig geschadet hat. Sie beschreibt auch das vererbte Trauma in ihrer Familie. Die Gewalt, die schon vor ihrem Vater da war. Die Dynamik zwischen den Eltern und Geschwistern. Sie reflektiert ihre Rolle als American Dreamgirl um die Jahrtausendwende, die Sexualisierung, der Jugendwahn, die doppelten Maßstäbe, mit denen Mädchen im Vergleich zu Jungs bewertet wurden und nicht zuletzt denkt sie über ihre Musik und Performances nach und wie ihre Kreativität schließlich gekillt wurde.
„At what point did I promise to stay seventeen for the rest of my life?“
Wie Therapie sei das Schreiben für Britney gewesen, und tatsächlich liest es sich auch so. Sie ist sehr reflektiert, sich ihrer Selbst bewusst, sie ist auch zynisch hier und da, manchmal ironisch und wütend, aber dann auch wieder süß und optimistisch. Und sie kann sehr genau benennen, was sie wann gebraucht hätte und wie es anders hätte laufen können.
Umso schmerzhaft deutlicher wird an diesen Stellen, wieviele Menschen einfach weggesehen haben oder dem auf dem Leim gegangen sind, was sie sehen wollten, wenn sie nicht sogar profitiert haben.
„Why was ist so easy for everyone to forget that I was a human being – vulnerable enough that these headlines could leave a bruise?“
Eine der schockierendsten Sachen, die mir durch das Buch klar geworden sind, ist das Tempo, in dem all diese spektakulären Momente stattfanden. Die erste Single 1998, dann drei Alben in drei Jahren, mehrere Touren, ihr Film „Crossroads”, 2002 die Trennung von Justin, unter der sie sehr litt, vor allem weil sie öffentlich dafür fertig gemacht wurde, dann viertes Album, wieder touren, dann Hochzeit mit Kevin Federline, zwei Schwangerschaften, Scheidung, Sorgerechtsstreitigkeiten, das Album BLACKOUT 2007, welches Kritiker und Britney selbst als ihr bestes Album bezeichnen.
Und dann 2008 bekam Britney Vater plötzlich die Vormundschaft für sie, weil seine Tochter angeblich zu krank war, sich um sich selbst zu kümmern. Da war sie immer noch erst Mitte 20. Man muss sich das mal vorstellen, dieser Frau wurde keine Pause gegönnt, selbst wenn sie körperlich am Ende war, Liebeskummer hatte – oder wenn sie, wie sie im Buch schreibt, unter postpartalen Depressionen litt. Vor allem aber wurden ihr keine Fehler verziehen. Erinnert ihr euch noch, wie verrückt krass abgedreht Britney 2007 und 2008 ist? Wenn man sich heute ihre vermeintlichen Vergehen mal genauer anguckt, könnte man heulen. Und warum hat sie sich damals niemand mal genauer angeguckt? Sie hat ganz normale Fehler gemacht, sich ganz normal mal betrunken, sich ihre Haare abrasiert, sich Tattoos stechen lassen, sie ist vor gefährlichen Paparazzi geflohen, hat Panik bekommen, ist wütend geworden. Das waren die Skandale, das war der Grund, wieso eine junge Frau sich angeblich nicht mehr um sich selbst kümmern konnte – aber komischerweise trotzdem die ganze Zeit arbeiten und Geld verdienen (von dem sie selbst natürlich kaum etwas hatte). Eine Frau, die zur Verrückten gemacht wird, in welches Jahrhundert gehört das noch mal? Der 14-jährigen Judy Garland wurden 1938 Amphetamine gegeben, damit sie mehr Energie zum Arbeiten und weniger Appetit hatte, Britney bekam Lithium und zugeteilte Mahlzeiten.
„Over time, the fire inside me burned out“
2021 hat sie sich daraus befreit. Dank #freebritney, aber auch weil sie sonst nicht mehr am Leben wäre. Britney will wieder glücklich sein, wieder Spaß am Singen und Tanzen haben, denn das blitzt immer wieder deutlich hervor: Sie hat es tatsächlich mal geliebt. Der erste Schritt dafür ist gemacht, sie hat endlich ihre Stimme erhoben und ihre Geschichte selbst erzählt.
„The reason why I’m alive today is because I know joy“
Gewidmet ist „The Woman in Me“ ihren Fans. Und ich habe das Gefühl, als wäre eine alte Freundin zurück in mein Leben gekommen, eine, die einen als Kind beeindruckt und beeinflusst hat und die dann plötzlich weg war. Über die man jahrelang nur komische Stories gehört und nicht genug nachgefragt hat. Sorry.
Britneys ikonischsten Momente
Britney und Justin singen 1993 im „Mickey Mouse Club“:
Als hätte sie 2001 schon alles vorhergesehen, geht es im Song „Overprotected“ quasi im Schnelldurchlauf um alles, worum es im Buch geht – auch das Video ist erschreckend passend. Zufällig ist es auch mein Lieblingslied!
Einen Tag vor dem Buchrelease, am Montag, gab es eine weltweite Wiederaufführung vom 2002er-Roadmovie „Crossroads“. Die BRAVO hatte damals Kinogutscheine zum Ausschneiden dafür gegönnt. Wenigstens eine gute Sache. Der Film lohnt sich definitiv heute noch.
„Joy of Pepsi“: Einer der besten Werbesongs aller Zeiten. Durst!
VMAs 2001: „I’m A Slave 4 You“: In „The Woman in Me“ gesteht Britney, dass sie Todesangst während des Auftritts hatte. Wir auch! Immer noch.
VMAs 2003 mit Madonna, Christina Aguilera und Missy Elliott: Besser als das wurde nie wieder irgendwas.
ABC-Special zum Album IN THE ZONE: Britneys Tanz-Skills auf dem Höhepunkt. Before Jamie ruined everything.
Vegas-Announcement 2019: Britney sollte 2019 eine kommende Vegas-Show bewerben – eine Show, die sie überhaupt nicht machen wollte. Also erschien sie zur Veranstaltung, sagte nichts, begrüßte ihre Fans, lief an allen Presseleuten vorbei zum Fahrzeug und rauschte einfach ab. Es war ihr erster Schritt in der Befreiung von ihrer Vormundschaft.
Free Britney, 2021: Britneys Anwalt gibt das Ende der Vormundschaft bekannt.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.