Paulas Popwoche: Complete mad about unknown
Paula Irmschler über Bridget Jones und Bob Dylan – das wahre Barbenheimer.

Es sind gerade nicht die besten Zeiten zum Partymachen, auch wenn mir die personifizierte Party-Fomo in Gestalt von Charli xcx immer wieder erscheint. Es war also Karneval, ich war so ein bisschen „aus“ und merkte schnell: Ach, nee, ich verschieb das Vorhaben „Rumstolpern zu Musik“ lieber mal Richtung Sommer.
Ich fand mich also stattdessen gleich zweimal an einem Wochenende im Kino wieder – Freitag in „A Complete Unknown“, dem Biopic über Bob Dylan mit Timothée Chalamet in der Hauptrolle und Samstag in „Bridget Jones – Mad About the Boy“ mit Renée Zellweger. (Bei beiden Schauspieler/innen muss man googlen, wo dieser Strich übers E muss.)
Am Sonntag hatte ich dann das Gefühl, ich war Spielball zweier Extreme geworden. Zweier Bilder, mit denen ich und viele andere aufgewachsen sind, zweier Hetero-Idealtypen, zweier popkultureller Erfindungen.
Da ist einmal Bob Dylan, das verschlossene Genie, über das man nicht viel erfährt, der uns aber mit toller Musik und schlauen Texten beschenkt. Der ständig raucht, andere Männer anhimmelt und Frauen an sich abprallen lässt. Der als authentisch gilt, von anderen geliebt werden will, aber es nicht zulässt.
Und da ist Bridget Jones, ganz offen und voller Gefühle, die einfach raushaut, tollpatschig ist. Die nach Liebe sucht und gegen ihren Körper kämpft. Die ständig raucht und durchs Leben stolpert, aber auch für sich einstehen kann. Sie ist irgendwie zu viel und fehlerhaft, aber trotzdem liebenswert.
Ich dachte dann ein bisschen auf diesen beiden Figuren rum und dass sie sowas sind wie unsere popkulturellen Eltern. Hier der coole Indietyp, da die quitschige Mainstreamtante. Die Pop-Papas mögen das eine, die Pop-Mamas das andere, Pop-Millennials bewegen sich dazwischen hin und her. Distinktion lautet das Stichwort. Bisschen übertrieben gesagt, aber ich hatte das halt so im Kopp.
Beide Figuren haben sichtbare Schwächen, die einen wurden männlich konnotiert, die anderen weiblich. Mit beiden kann sich wahrscheinlich niemand so richtig identifizieren, aber viele versuchen es, beziehungsweise werden dazu angehalten, weil beide so stark an Geschlechterbilder gekoppelt sind. Mittlerweile sind diese Bilder natürlich mehr als angeschrabbelt, weil wir glücklicherweise mehr davon haben. Aber nun sind sie eben nochmal kurz zurück. IM KINO. Obwohl „A Complete Unknown“ in den 60ern spielt und „Mad about the Boy“ in der Jetztzeit fühlen sich beide ähnlich zeitreisig für mich an.
Wo sie noch auftauchen, diese beiden Klischees, Parodien, Archetypen, you name it, ist wohl beim Dating, bei dem die meisten ja auch performen und imitieren. Die quirky Frau, die kumpelig ist, aber sich wenn es drauf ankommt auch Spitzenunterwäsche anzieht, die sich ständig zwischen Selbstliebe und gesellschaftlich anerzogenem Hass auf ihren Körper und ihr Alter bewegt, die sich damit beschäftigt, wie sie „rüberkommt“, die mit ihren Freund*innen darüber redet, wie sie ihr Leben ab sofort ändert, in den Griff kriegt, zu Glück kommt, Selbsterfüllung und Liebe erfährt.
Und der rätselhafte, poetische Typ, der mit der Gesellschaft nichts anfangen kann und sich deswegen nur mit seinen Gedanken beschäfigt und dem, was sie beflügelt. Der einsame Wolf, der Outlaw, ein Zyniker, der alle, die ihn aufweichen könnten, von sich stößt. Der natürlich nicht zurückruft oder sich für die Welt der Person, die neben ihm liegt, interessiert, sondern nur ab und an eine dramatische Szene bringt, wie nachts vor der Tür zu stehen. (Kleiner Tipp: Mystische Typen sind meist not that deep, oft kriegt man einfach, was man sieht – muss jede*r selber wissen.)
Die Bob Dylans dieser Welt, gemeinsam mit den großen männlichen Schriftstellern und coolen Filmfiguren dieser Welt, sie waren nicht selten Vorbild für die nervigsten Typen dieses Planeten. Aber auch mit Bridget Jones wollten sich viele allzu gern identifizieren. Nur langsam arbeiten wir uns in der Popkultur raus aus der Erzählung, dass Frauen sich vor allem mit Diäten, Männern und Babys beschäftigen und ihre Freundschaften nur den Zweck erfüllen, diese Suche abzufedern. Selbstbezogen sind beide. Aber lieben können sie auch. Die eine gern nah und am liebsten eine Person, der andere gern aus der Ferne und alle.
Man fragt sich, ob Bob Dylan und Bridget Jones in einem Universum existieren könnten. Ich würde gern ein Spin-Off sehen: Bridget und Bob hängen zusammen ab und hören Musik. Sie rauchen und saufen, sie reden über MeToo, sie bingen Serien, sie singen, sie diskutieren über Nähe und Distanz, sie reden über Bridgets kleine Welt und Dylans unendliche und wälzen dann ewig Pros und Kontras, ob sie noch das Haus verlassen sollten. Sie tun es schließlich und verlieren sich dann. Fürs Kino wahrscheinlich zu langweilig.
Am Ende kann man sich bei Kulturprodukten natürlich auch einfach nur fragen: Hat es meine Zeit verschwendet oder mir was gegeben? Hatte ich eine gute Zeit an zwei Wochenend-Abenden mit diesen beiden Guck-Schinken? Und wie! Bei „A Complete Unknown“ war ich nach dem Abspann eher so okay begeistert, denke jetzt aber die ganze Zeit, dass ich nochmal rein will, weil seine Musik und die Zeit (samt aller Figuren), in die er einen katapultiert, einen einsaugt und berührt. Bei „Mad About the Boy“ hatte man im Nachhinein das Gefühl, man hat noch mal einen dieser guten, alten wholesomen Filme gesehen, der eigentlich nichts weiter will, als einen zu entertainen: Bisschen Trauer, bisschen Humor plus Kitsch und Sex. War alles noch mal schön, aber es ist auch gut, dass wir unseren popkulturellen Eltern entwachsen.
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