Paul Weller über Träume
Am 25. Mai feiert der Godfather Of Mod seinen Fünfzigsten. Zeit, innezuhalten und darüber zu sprechen, was uns alle im Innersten antreibt.
Auf seinen fünfzigsten Geburtstag hin gönnt sich der Modmeister ein besonderes Pläsier: Für sein neues Album hat er sämtliche Fesseln abgeworfen und die Muse sprießen lassen, ganz, wie ihr die Sinne standen. Das stilistische Spektrum darauf reicht von folkiger Beschaulichkeit über sahnigen Soul bis hin zu krachigem Rock, Gewitterregen und Krautrock der freiesten Jazz-Sorte. Als Gäste sind Noel Gallagher, Gern Archer, Little Barrie und Graham Coxon vertreten.
22 Dreams heißt dein neues Album. Es sind aber nur 21 Stücke drauf. Im Promotext sagst du dazu, dass du einen Traum für dich behalten wolltest. Was für ein Traum ist das?
Paul Weller: Das ist einfach zu erklären. Eigentlich sollten zweiundzwanzig Songs aufs Album. Aber dann gefiel uns der zweiundzwanzigste plötzlich nicht mehr, und so ließen wir ihn weg.
Welche Träume und Hoffnungen sind dir durch den Kopf geschwirrt, als du diese 21 Traumsongs komponiert hast?
Das ist echt schwer zu sagen. Kein Stück klingt ja wie das nächste. Es gibt da die verschiedensten Farben und Gefühlsschattierungen. Wir hatten kein großes Konzept. Es sind schlicht Musikstücke, die irgendwie doch zusammenhängen und ineinanderspielen. Ein Freund sagte, das Album sei wie die Lektüre eines sehr langen Romans. Auf gute Art.
Ich hätte in dir nicht einen Krautrockfan vermutet, ehrlich gesagt.
Jemand hat zu mir gesagt, es gebe auf dem Album gewisse Anspielungen auf Krautrock. Ich kenn mich da ja nicht aus. Was könnte er gemeint haben?
Das Stück „111“ – da steckt eine Geistesverwandtschaft mit dem freieren, jazzigeren Krautrock drin, würde ich sagen.
Ach, wirklich? Für den Track setzten wir überhaupt keine Koordinaten. Wir wollten einfach mal richtig improvisieren. Wir drei, an drei verschiedenen Keyboards, den anderen den Rücken zugekehrt. Wir wollten daraus bloß ein kurzes Interlude machen. Aber dann gefiel mir das Stück als Ganzes.
Ist es das erste Mal, wo du dir bei einem Album wirklich gedacht hast: Fuck it? Hast du dir früher jeweils überlegt, wie ein Album in den Zeitgeist oder einen gewissen Stil passen könnte?
Ich hab meine Platten immer primär für mich selber gemacht. Aber man will natürlich auch, dass sie anderen Leuten gefallen, sonst wäre die Arbeit ja zwecklos. Allerdings vermute ich, dass Stücke wie „111“ oder „Night Lights“ oder „God“ früher nicht mitgekommen wären. Es ist ein Territorium, das ich noch nie besucht habe.
Welche Träume hast du für deine Zukunft?
Naja, ich wäre schon glücklich, wenn ich noch ein bisschen leben könnte, wenn ich es erleben würde, wie meine Kinder aufwachsen, und wenn ich weiter arbeiten könnte. Weißt du, was ich meine? Meine Ambitionen sind heutzutage ziemlich simpel geworden. Je älter man wird, desto mehr ist man einfach froh, dass man überhaupt noch da ist. Viele Menschen, die ich gekannt habe, sind weg. So schätzt man sich glücklich, dass man das Leben noch genießen darf.
Sind das Gedanken, die dir erst seit dem Ausblick auf den Fünfzigsten gekommen sind?
So was wäre mir in früheren Jahren nicht im Traum eingefallen. Das Leben schien endlos zu sein. Dann kommt man bei einem gewissen Alter an und merkt, dass es eben doch nicht endlos ist. Plötzlich merke ich, dass die letzten dreißig Jahre wie im Flug verstrichen sind. Man redet von Dingen, die 1978 oder 1990 passiert sind – vor Dekaden also! -, und man hat das Gefühl, es seien fünf Minuten verstrichen seither. Das ist echt beängstigend. Wenn die nächsten zehn Jahre wieder so vorbeirasen – Mensch, fucking hell, stürz dich rein, lebe und genieße es!
Was hattest du als 17-Jähriger für Träume?
Bloß den, in einer Band zu sein, Platten zu machen, Erfolg zu haben und meine Musik vors Publikum zu bringen. Lauter Dinge, die in Erfüllung gingen. Ich hatte extrem Schwein im Leben. Ich war achtzehn Jahre alt, als ich meine erste Platte aufnahm. Das war toll. Zuvor hatte ich mir gedacht, dass ich die Musik an den Nagel hängen würde, wenn ich es mit zwanzig noch nicht geschafft hätte. Zwanzig – das hieß von meiner Warte aus „steinalt“.
Hattest du irgendwelche Vorstellungen, was aus dir wird, wenn es mit der Musik nicht klappen sollte?
Nicht die geringsten! Ich sah nicht über die Klippe des 21. Geburstages hinaus. Als der Geburstag dann da war, waren wir gerade im Studio und nahmen All Mod Cons auf. Mir war hundeelend. „It’s all over! It’s fucking all over!“
Was ist das für ein Gefühl, wenn deine Träume langsam, aber sicher alle wahr werden? Bringt das Zufriedenheit oder aber eine Art Rausch, dass man jetzt noch mehr und noch mehr haben muss?
Ich habe immer das Gefühl, dass es noch andere Orte gibt, die es zu besuchen gilt. Wenn mir eine tolle Platte gelungen war, dachte ich: Ich kann eine noch großartigere Platte machen. Wenn eine Platte ein bisschen mittelmäßig geraten war, dachte ich: Mensch, nächstes Mal muss das besser werden! Es ist eine ziemliche Sucht, das Plattenmachen.
Du hast in den mittleren 80er-Jahren mit Kollegen wie Billy Bragg und Jimmy Somerville „Red Wedge“ gegründet, eine Organisation, mit der Musiker ihr Publikum dazu motivieren wollten, Margaret Thatcher wegzuwählen. Wie steht es heute mit deinen politischen Träumen? Sind deine Hoffnungen erfüllt worden?
Nein. Schrecklich. Achtzehn Jahre oder so waren die Tories an der Macht. Achtzehn Jahre lang dachten wir alle, dass das Ende der Tories eine Veränderung bringen würde. Das war wohl naiv. Immerhin herrscht heute ein anderes Klima als unter Margaret Thatcher. Sie war eine extreme Person. Ich hab heute kein Interesse an Politik mehr. Die Politiker sehen in meinen Augen alle gleich aus. Sie tönen alle gleich. Sie sind mehr oder weniger die gleichen Menschen. Die Linke im alten Stil gibt es nicht mehr. Lauter Middle-Class-Leute mit Middle-of-the-Road-Politik.
Hast du den Traum aufgegeben, dass man mit Musik Veränderungen herbeiführen kann?
Ich glaube immer noch daran, dass Musik das Denken eines individuellen Menschen verändern kann. Dass Musik erleuchten und aufklären kann. Mein Leben ist von der Musik verändert worden. Von den Beatles. Die Musik hat ja traditionellerweise auch eine aufklärerische Funktion. Viele Folksongs sind eine Art klingende Zeitung.
Glaubst du, das Internet wird für die Musik eine gute Sache sein?
Ich weiß es nicht. Ich gehöre nicht zu der Welt. Ich gehöre zu einer anderen Generation, es geht mich nicht wirklich etwas an. Klar, das Internet macht Information demokratischer. Man hat im kleinsten Dorf sofort Zugang zu jedwelchen Informationen,die man haben will. Aber die andere Seite, die Vorstellung, dass man Musik gratis runterladen können will, die ist mir irgendwie fremd. Es reduziert auch den Respekt. Gratis, weil’s keinen Wert hat.
Hast du jemals ein Traumtagebuch geführt?
Nein. Denn ich kann mich an meine Träume nie erinnern. Ein paar Sekunden vielleicht, nach dem Aufwachen. Dann sind sie weg.
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