Paul McCartney: We Can Work It Out
Wie Paul McCartney mit ein bißchen Hilfe von George und Ringo zwei unvollendete Lennon-Demos zu "neuen" Beatles-Songs verarbeitete.
Was hat dich nach all den Jahren dazu veranlaßt, die Beatles zu reaktivieren?
In erster Linie wohl die Tatsache, daß wir unsere geschäftlichen Differenzen endlich aus dem Weg geräumt hatten. Nachdem die Wogen geglättet waren, sprachen wir sofort über die Möglichkeit einer neuen Zusammenarbeit. Immerhin kennen wir uns ja ganz gut und können jetzt endlich wieder freundschaftliche Beziehungen pflegen. Nur so aus Spaß an der gemeinsamen Sache. Wir wollten versuchen, die alten Geschichten der Beatles zu Papier zu bringen, solange sie uns noch im Gedächtnis waren, um einen Film daraus zu machen. Als Titel schwebte uns The Long And Winding Road‘ vor. Damit wollten wir diverse Gerüchte über die Beatles ein für alle Mal richtig stellen. Anstatt eines Filmes wurde aus dem Projekt eine Art Anthologie. Schließlich setzte sich unser alter Kumpel Neil Aspinall von Apple Records dazu. Er war von der Idee begeistert, ein CD-Set herauszubringen, das die gesamte Karriere der Beatles wiedergeben sollte. Wir fanden das Konzept interessant und arbeiteten mit. In diesem Jahr haben wir es dann vollendet. Der eigentliche Grund dafür war einfach die Möglichkeit, endlich mal wieder etwas zusammen machen zu können.
Das ganze Projekt entstand also schlicht aus dem Bedürfnis, wieder zusammen zu arbeiten?
Genau. Jahrelang hatten wir uns gestritten, und als wir endlich wieder auf gutem Fuß standen, sollten wir uns da in aller Freundschaft voneinander verabschieden? Oder sollten wir etwas daraus machen? Da ich nie auf der faulen Haut gelegen habe, war ich immer noch in Form. George hatte mit den Traveling Wilburys gearbeitet und Solo-Alben herausgebracht und Ringo hatte gerade eine Tour hinter sich. Wir dachten uns, daß wir es einfach mal versuchen sollten. Wenn es nicht klappen würde, wäre es eben unser Pech. Dazu kam, sozusagen als i-Tüpfelchen, die Geschichte mit )ohns unvollendetem Demo ‚Free As A Bird‘.
Hattest du den Song früher schon mal gehört, oder von seiner Existenz gewußt?
Zum ersten Mal habe ich davon gehört, als Yoko irgendwann zu mir sagte: „Ich habe da noch ein paar Tracks, die euch vielleicht interessieren“, dann spielte sie mir drei Songs vor, die ich in meinem Leben noch nie gehört hatte, obwohl sie mir erklärte, daß echte Lennon-Fans diese Stücke von zahlreichen Bootleg-Alben kennen. Als sie mir ‚Free As A Bird‘ vorspielte, war ich sofort begeistert und sagte, daß ich mich gern mal an diesem Song versuchen würde. Ursprünglich schwebte mir dabei ein Arrangement im Stil der vierziger Jahre vor, ein fast schon orchestrales Arrangement, aber es sollte mal wieder ganz anders kommen.
In der Art von ‚Good Night‘?
So ungefähr, nur nicht ganz so romantisch. Ich dachte mehr an George Gershwin. Die erste Idee muß aber nicht immer die beste sein. Du probierst halt ein paar Möglichkeiten aus, dann macht jemand eine negative Bemerkung und du verwirfst die ganze Sache wieder. Schließlich entschieden wir uns für eine schlichte Version.
Du, George und Ringo?
Das war so: Ich war mit meiner Familie auf einer Silvesterparty in Liverpool. Die Stimmung war so harmonisch und gut, daß ich beschloß, Yoko und Sean anzurufen, um ihnen ein glückliches neues Jahr zu wünschen. Zunächst war Yoko wohl etwas überrascht, aber dann kamen wir ins Plaudern. Ich erzählte ihr, daß George, Ringo und ich ein kleines Instrumental für den Film schreiben wollten, nur um mal wieder zusammen zu arbeiten. Kurz vor dem Studiotermin bekam ich langsam kalte Füße. Außerdem war ich nicht unbedingt davon überzeugt, daß die Welt auf eine Dreiviertel-Beatles-Platte warten würde. Vielleicht hätten wir lieber die Finger davon lassen sollen. Zusammen mit John wäre das natürlich eine ganz andere Geschichte geworden. Ich erzählte Yoko von meinen Bedenken, da sagte sie mir, daß sie mir diese drei Tracks von John geben würde. Als ich sie den anderen vorspielen wollte, warnte ich Ringo, daß er vorsichtshalber eine Großpakkung Tempos mitbringen sollte, denn es war schon eine reichlich emotionsgeladene Angelegenheit. Jedenfalls fand Ringo die Idee gut, George ebenfalls und ich sowieso. Anstatt uns zu dritt hinzusetzen und darauf zu hoffen, daß wir es irgendwie auf die Reihe bekommen würden, wollten wir es lieber mit Johns Songs versuchen. Wie ist die Arbeit abgelaufen? Weil der Song auf einem alten Mono-Tape aufgenommen wurde, gab es jede Menge technische Schwierigkeiten. Johns Stimme und sein Klavierspiel waren auf einer einzigen Spur. Bei einem Stereo-Tape hätten wir wenigstens Stimme und Piano voneinander trennen können. Technisch standen wir also vor einer Herausforderung, aber diesen Aspekt überließen wir lieber unserem Expertenteam unter der Leitung von Jeff Lynne. Daß der Text im Mittelteil noch nicht ganz fertig war, machte die Sache für mich umso spannender. Es war wirklich so, als ob ich mit John an der Platte arbeiten würde, als Team Lennon/McCartney oder vielmehr Lennon/McCartney/Harrison, weil wir ja alle etwas dazu beigetragen haben. Wir hatten die einmalige Gelegenheit, das unmögliche möglich zu machen. Immerhin ist John seit einer ganzen Weile tot und bekanntlich kann man Tote ja nicht zurückholen. Aber irgendwie ist uns genau das gelungen – John war mit uns im Studio. Ich stellte mir vor, daß er einfach im Urlaub sei und von unterwegs aus anruft und sagt: „Hey Leute, schreibt doch mal eben den Song für mich zu Ende. Ich schicke euch das Tape – ich habe volles Vertrauen zu euch.“ Das war das Schlüsselwort: „Ich vertraue euch, macht, was ihr für richtig haltet.“ Das war einerseits eine bequeme Lösung und andererseits John gegenüber ziemlich respektlos. In unserem kleinen Szenario lebte er noch, also brauchten wir nicht ständig befürchten, eine Legende zu zerstören. Mit Legenden hatte er sowieso herzlich wenig im Sinn – „Legende? Wir machen eine Platte!“, wäre seine Einstellung gewesen. Für solche Geschichten war er viel zu praktisch veranlagt. Nun ja, alles hat erstaunlich gut geklappt, und ein Jahr später machten wir uns an den nächsten Song. Es dauerte tatsächlich ein ganzes Jahr, bis wir wieder genügend Energie hatten, um uns noch einmal daranzuwagen. Du sprichst von ‚Real Love‘? Genau. Das war im vergangenen Februar. ‚Free As A Bird‘ nahmen wir im Februar ’94 auf. Wir hatten also zwei Stücke, die uns viel Spaß gemacht haben. Es war gut, wieder mit den anderen zu arbeiten. Im Grunde waren wir ja zu viert, die Beatles eben. Im Studio waren ohnehin selten alle auf einmal da. Manchmal arbeitete ich bis spät in die Nacht an meinen Bassparts, es war also gar nicht ungewöhnlich, daß lohn nicht da war.
Habt ihr euch vorgenommen, die Songs im „Beatles-Stil“ aufzunehmen?
Glücklicherweise mußten wir uns dabei stark an Johns Demo orientieren. Und daran konnten wir eben nicht allzuviel verändern. Den Stil hatte John vorgegeben, und das war auch gut so. Denn genauso lief es damals bei den Beatles. Ich schrieb ‚Let It Be‘ und damit stand erst einmal der Stil fest, es sei denn, jemand wollte das Tempo ändern oder dergleichen. Wer ein Stück geschrieben hatte, legte den Stil fest. Wir nahmen uns also nicht vor, den Song bewußt im Beatles-Stil von 1967 zu halten. Wir spielten ihn so, wie die Beatles ihn heute spielen würden.
Hat euch George Martin bei den Aufnahmen nicht gefehlt?
Ich wollte George eigentlich unbedingt dabeihaben, weil er ja auch den Rest der Anthologie gemacht hatte. Aber er zieht sich wegen seiner Gehörprobleme langsam aus der Produktion zurück. Er sagte: „Ach Paul, ihr wollt mich doch nicht wirklich als Produzenten, sucht euch jemanden mit besseren Ohren.“ In diesen Dingen ist er ziemlich cool, er würde niemals sagen: „Okay, gebt mir ein paar Pfund und ich mache es.“ Außerdem war es George Harrison sehr wichtig, daß wir jemanden mit einem erstklassigen Gehör hatten und das war der entscheidende Faktor. Da sind wir auf Jeff Lynne gekommen. Ich hatte zunächst Bedenken, daß es Schwierigkeiten geben könnte…
Weil er und Jeff sich schon länger kennen?
Sie haben bei Georges Album ‚Cloud Nine‘ und bei den Traveling Wilburys zusammengearbeitet, aber meine Bedenken sollten sich als völlig unbegründet erweisen. Die Zusammenarbeit hat wirklich gut geklappt. Jeff paßt zu uns. Als ihr euch das Material für die Fernseh-Dokumentation ansaht, gab es da Details oder Vorfälle, die deine Einstellung zu deiner persönlichen Geschichte beeinflußt haben?
Auf jeden Fall. Wir haben versucht, eine offizielle Version unseres Lebens zusammenzustellen, und plötzlich war sie da, die offizielle Version. Es war ein ziemlicher Schock, meine Persönlichkeit so deutlich zu sehen. Man macht sich selber viele Dinge gar nicht bewußt und verdreht insgeheim die Tatsachen ein wenig. Als ich mich zum Beispiel im Film „Besame, besame mucho…“ singen sah, dachte ich entsetzt: „Oh Gott, auf welcher Droge ist der denn?“ Für mich bestand der größte Schock darin, daß ich noch peinlicher wirkte, als ich mir jemals eingestanden hätte. Es ist nicht einfach, so etwas zuzugeben. Natürlich hatte ich kein echtes Problem damit, aber eine Zeitlang wünschte ich mir insgeheim, irgendjemand würde diese peinlichen Stellen herausschneiden und nur Sachen wie ‚She’s A Woman‘, ‚Kansas City‘, ‚Long Tall Sally‘, oder meine Songs ‚Sgt. Pepper‘ oder ‚Fixing A Hole‘ drinlassen. Aber das wäre natürlich eine verzerrte Darstellung gewesen. Das war also schon ein ziemlicher Schock. Andere Leute haben das natürlich gar nicht als so schlimm empfunden, die fanden diese Sachen sogar irgendwie ganz lustig. Vermutlich habe ich mich einfach dagegen gesperrt. Klar ist es cooler, mit Sonnenbrille, zerlöcherten Jeans und einem Joint im Mundwinkel herumzulaufen als im Anzug mit Zigarre. Es ist mir zwar peinlich, aber wenn ich mich ehrlich damit auseinandersetze, muß ich leider sagen, daß es nunmal so gewesen ist.
Dabei waren es doch gerade Stücke wie ‚Besame Mucho‘ die eure eigenen Stücke wie ‚Michelle‘ nachhaltig beeinflußt haben. Stimmt. Ich bin fest davon überzeugt, daß die Beatles nie soviel Erfolg gehabt hätten, wenn sie einseitiger gewesen wären. Das Geheimnis der Beatles lag in der Mischung aus rockigen Stücken und solchen Sachen wie ‚Yesterday‘, ‚Michelle‘ und ‚She’s Leaving Home‘. Es gab damals keine andere Band, die so etwas gemacht hat – noch nicht einmal die Stones. Bei ihnen gab es weniger Dimensionen als bei den Beatles. Was nicht heißen soll, daß ihre Musik schlechter war, aber der Unterschied lag eben in den verschiedenen Perspektiven.