Paul McCartney über Ambition
Er wa rbei dergrößten Band aller Zeiten. Er ist 66. Er ist produktiv wie ein hungriger Jungspund. Was treibt ihn an?
Das Telefon klingelt. Paul McCartney ist dran. Kein Plattenfirmenmensch, der einen durchstellt, sondern Sir Paul Effin‘ McCartney. „Hello?“ Er ist in einem Auto in London. Mit einem Handy. Das Auto fährt ihn von A nach B, und wenn er in ca. 20 Minuten bei B angekommen ist, wird er auflegen müssen. Dann mal schnell…
electric Arguments, das dritte Album Ihres Projektes The Fireman, erntet gute Besprechungen. Sie haben so viele dauon bekommen in all den Jahren – bedeuten sie Ihnen noch etwas?
Ja, klar. Besser als schlechte. Wenn man etwas macht, ein Stück Arbeit – oder Spiel in diesem Fall -, dann hofft man zunächst mal, dass es einem selbst gefällt. Aber natürlich auch, dass andere es mögen. Und eine gute Besprechung besagt, dass man zumindest schon mal jemanden erreicht hat.
Seit 1997 haben Sie fünf Soloalben, zwei Fireman-Alben, drei klassische Stücke, die „Liverpool Sound Collage“ gemacht – ein stattlicher Output für einen Mann Ihres Status. Andere in Ihrer Position würden sich zurücklehnen. Was treibt Sie an?
Ich mag einfach, was ich tue. Wenn mich jemand einlädt, etwa ein Klassikstück zu komponieren, finde ich das aufregend. Weil es eine Herausforderung ist, interessant – und möglicherweise bekomme ich die Gelegenheit, noch etwas zu lernen dabei. Fireman ist in dem Kontext sehr anders als alles, was ich sonst mache. Es ist ein sehr offenes Projekt, mit viel Improvisation. Sehr befreiend. Wenn ich solche Gelegenheiten bekomme, stürze ich mich darauf.
Aber zurücklehnen kommt nicht in Frage?
Ich bm immer gern Risiken eingegangen. Es ist ein Kitzel, Sachen anzupacken, die man noch nie gemacht hat. Darum mag ich – obwohl ich viel Erfolg hatte in meinem Leben – die Vorstellung nicht, einfach aufzuhören und zu sagen: Das reicht jetzt. Und wenn ich’s nicht beruflich machen würde, würde ich es zumindest als Hobby machen. Aber ich habe ja das große Glück: Mein Beruf ist mein Hobby. Darum geht es. Das ist keine Sache von „genug haben“. Genauso gut könnte man sagen: „Okay, ich habe genug Freizeit gehabt in meinem Leben. Ich mache jetzt nie mehr frei.“ So läuft das ja nicht. Ich liebe, was ich tue. Und wenn mich etwas reizt und ich die Gelegenheit bekomme – zeitlich, mit den richtigen Kollegen oder wenn es mir jemand anbietet -, kann ich großen Enthusiasmus entwickeln.
Ist es noch Ehrgeiz, der Sie bewegt?
Ja, doch. Aber wenn man von „Ehrgeiz“ spricht, kommt oft dieses nicht so hübsche Wort „getrieben“ ins Spiel: „Er ist ein Getriebener.“ Und das hat ja doch eine etwas seltsame, negative Konnotation. Das klingt so nach Über-Ambition.
Ich weiß. Das deutsche Wort Ehrgeiz hat diesen Beigeschmack uon „Strebertum“.
Genau. Darum würde ich, wenn ich mit jemandem zusammenarbeite, der eifrig und wach bei der Sache ist, eher das Wort „enthusiastisch“ verwenden. Jemand genießt, was er macht. Diese Wortbedeutung von Ambition ziehe ich vor. Ich würde sagen: Ich habe die Ambition, eine gute Zeit zu haben. Das bedeutet Ambition für mich. Es geht nicht darum, irgendwelche Konkurrenten auszustechen. Ich will hier nicht den Streber machen und der Beste sein.
Ich mag einfach, was ich tue, und möchte, dass das so bleibt. Das ist ja auch eine Ambition.
Wenn man heute Geschichten über die Frühzeit der Beatles liest, hört sich das alles so einfach und locker an. Wie uiel Ehrgeiz war da im Spiel?
Ja, wir waren alle ambitioniert. Wir hatten nicht viel Geld, wohnten in Liverpool. Wir hatten Interesse daran, Geld zu machen, um uns schöne Gitarren, gute Klamotten leisten zu können, unseren Verwandten was Gutes zu tun. Wenn ein Kid von der Schule abgeht, möchte es einen Job, der ihm gefällt, gut bezahlt und interessant ist. Uns ging es genauso. Abgesehen davon waren wir wie wild auf das, was wir da machten. Wir liebten Musik. Rock’n’Roll. Motown. Wir waren also auch Fans. Ambitioniert, ja, aber im guten Sinn des Wortes. Wir waren unserer „Konkurrenz“ sehr freundschaftlich verbunden.
Wir fühlten uns alle als Teil von etwas sehr Aufregendem und forderten uns auch gegenseitig.
Kein Konkurrenzdenken in dem Sinne?
Nein, so dachten wir nicht. Wir riefen bei den Rolling Stones an und fragten: Wann bringt ihr eure Platte raus? Und die sagten: am 17. Und wir: Okay, dann kommen wir am 25. Wir versuchten nicht, uns gegenseitig zu behindern. Weil wir Freunde waren. Es war ein großer Pool von Gleichgesinnten. Wir liebten alle Musik, Mode, wir hatten alle ähnliche Lebensphilosophien – es war eine recht gute, freundschaftliche Gemeinschaftlichkeit unter Musikern und Künstlern und Leuten mit den gleichen Träumen wie wir. Da war Platz für uns alle.
Der erste Track des Fireman-Albums erinnert sehr an „Heiter Skelter“ vom Weißen Album …
Gestern hat mich ein Typ auf der Straße angesprochen, „Hey Paul, super, ich LIEBE die Firemtm-Platte. Sie erinnert mich an ,Helter Skelter‘!“ Der hatte wohl nur den ersten Song der Platte gehört.
Es heißt, dass Sie „Heiter Skelter in der Ambition schrieben, The Who eins vor den Latz zu knallen.
Das stimmt. Ich hatte in einer Musikzeitschrift ein Zitat von Pete Townshend gelesen, was für einen total lauten, dreckigen Track The Who gerade wieder aufgenommen hätten. Und das inspirierte mich. Ich dachte: Cool, wir müssen so was auch machen. Ich schlug’s den Jungs vor, und wir probierten es bei „Heiter Skelter“ aus. Wir drängten die Tontechniker, einen möglichst dreckigen, lauten Sound hinzukriegen, ich plärrte richtig dreckig – tja nun, und Ringo hatte am Ende Blasen an den Fingern.
Hatten Sie nach den Beatles den Ehrgeiz, etwas Besseres machen zu können als die Beatles?
Nein, mir war schon klar, dass das schwierig werden würde. Das war schon eine sehr spezielle Kombination von Talenten. Und wenn man später ab und zu Bands sagen hörte „Wir werden größer sein als die Beatles!“, dachte ich immer: Meine Güte, das ist doch ein Mühlstein, den du dir da um den Hals hängst! Als ich nach den Beatles weitermachte, war mir klar, dass es fast unmöglich sein würde, etwas Besseres zu machen. Aber auch, dass es möglich sein würde, etwas Anderes zu machen. Das war dann der Weg, den ich wählte. Mir war wichtig, dass Wings einen sehr anderen Sound verfolgten.
Hatten Sie je das Gefühl, Ihr Beitrag bei den Beatles werde zu wenig anerkannt? Vorjahren gab es Aufregung, als Sie daraufdrängten, den Songwriting-Credit uon „Yesterday“ zu verändern…
Das war ein sehr spezieller Fall. Ich hatte nie ein Problem mit dem Credit „Lennon/McCartney“. Aber während der Arbeit am Beatles-ANTHOLOGY-Projekt Mitte der 90er wurde dieser klassische Credit auf einmal erweitert zu „Written by John Lennon and Paul McCartney“. Und da fragte ich nach – sehr höflich -, ob sie in dem einen Fall von „Yesterday“ schreiben könnten: „Written by Paul McCartney and John Lennon“. Ich machte sehr klar, dass es mir nicht darum ging, dieses Quasi-Logo „Lennon/McCartney“ zu verändern. Mit dem war ich immer glücklich. Nur: John hatte mit „Yesterday“ nichts zu tun, ich hatte es allein geschrieben, die anderen Jungs spielten nicht darauf. Also dachte ich, es könnte sinnvoll sein, in diesem speziellen Fall den Credit zu drehen – wenn man schon die vollen Namen benutzt und nicht einfach wie üblich „Lennon/McCartney“ schreibt. Das wurde dann alles etwas missverstanden.
Tat es weh, als die Leute sich so darauf stürzten?
In dem Moment, wo man mit jemandem spricht, sind Missverständnisse möglich. Das war hier der Fall. Ich hatte meinen Punkt sehr sorgfältig erklärt – und ein paar Leute haben es falsch verstanden. Sie dachten, ich versuchte mehr Credit für mich herauszuholen, als mir zustand. Tatsächlich war das nicht der Fall. Es war damals ärgerlich, heute ist es mir egaL
War Ihr sozusagen übermenschlicher Status als Musiker je lähmend für Sie?
Es ist meine Ambition – um dieses Wort noch mal aufzugreifen -, immer frei zu sein. Bei The Fireman ist die Idee, in eine Rolle zu schlüpfen. Youth und ich werden The Fireman. Ähnlich wie damals bei SGT. PEPPER S LONELY HEARTS CLUB BAND. Damals schlüpften wir als Band in eme Rolle, um uns Freiraum zu verschaffen. Das ist ein andauerndes Bestreben von mir: frei zu sein. Nicht in einen Trott zu verfallen. Darum hab ich dieses neue Fireman-Album gemacht, und deshalb mache ich auch so weiter. Freiheit heißt Risiken einzugehen, aber das ist okay. Wenn ich immer nur gemacht hätte, was ich schon gemacht habe, wäre das schwierig.