Paul McCartney
Bei Plattenaufnahmen gebärdet er sich mitunter als Perfektionist, mit dem nicht zu spaßen ist. Interviews spult er mit der Routine eines Roboters herunter. Dem Mann auf der Straße aber begegnet er mit dem Charme des netten Herrn von nebenan. Der auf Solo-Pfaden wandelnae Alt-ßeatie reriektieit seine Stellung als etabliertes Mit glied der(Rock-)Gesellschaft. Sein Haar bekommt erste graue Strähnen und wird dünner. Nichts Ungewöhnliches für einen Mann, der hart auf die Vierzig zugeht Paul McCartney wirkt erschöpft nach der zeitraubenden Produktion seines jüngsten Albums. Die Aufnahmen für TUG OF WAR in Montserrat dauerten zwar nur einen Monat dafür nahm das Mischen 12 Monate in Anspruch. Paul ist nun mal Perfektionist und er weiß, daß mit diesem Album sein Ruf als Lieferant bester Popmusik auf dem Spiel steht. Ein Wings-Album mit Titel COLD CUTS wurde im vergangenen Jahr zu den Akten gelegt So kam es, daß 1981 zum erstenmal seit ’62 kein neuer McCartney-Song das Licht der Welt erblickte. Da die letzten Alben mit den Wings eh manchmal ziemlich zusammengestoppelt wirkten, ehe er die Band letztes Jahr auflöste, gestaltete sich für Paul Mc-Cartney die Produktion der neuen Platte tatsächlich zu einem Tauziehen (tug of worj.Schließlich sollte es ein Lebenswerk werden. Produziert hat – auf Macca’s speziellen Wunsch – der alte Beatles-Produzent George Martin. Und als Musiker engagierte Paul seine Favoriten: sein Idol Stevie Wonder, Carl Perlons, Ringo Starr, Dave Mattacks, Stanley Clarke, Steve Gadd, Eric Stewart und Michael Jackson. Sollte sich das Album als Flop entpuppen, so steht also auch ihre Reputation auf dem Spiel… Dir sind zur Zeit etwas die Flügel gestutzt. Ist das für dich dieselbe Situation wie seinerzeit bei BACK TO THE EGG? .Eigentlich nicht. Ich fühlte mich durch die Arbeit mit der Gruppe doch ziemlich eingeengt. Darum habe ich mich entschlossen, einmal von der anderen Seite an dieSacheheranzugehen. Anstatt eine feste Band mit ins Studio zu nehmen, habe ich mich diesmal dafür entschieden, für jeden einzelnen Song zum Beispiel den optimal passenden Musiker zu verpflichten. So habe ich für einige Sachen Steve Gadd geholt, für ein paar Sachen Ringo und habe darüberhinaus Leute verpflichtet, die stilistisch ins Konzept paßten. Nachher war das allerdings ein Haufen unterschiedlichster Musiker. Das ist der einzige Nachteil, den ich hier sehe, weil ich eigentlich nicht auf Alben mit so einer Riesenbesetzung stehe … oder auf Supergroups.‘ Du bist dafür bekannt, derartigen Projekten kritisch gegenüberzustehen. Und mit ein, zwei Ausnahmen waren ja auch die Musiker bei den Wings mehr oder weniger unbeschriebene Blätter. “ Was ich nicht wollte, war eine feste Band aus Superstars. Und ich glaube, das will ich auch heute nicht. Ich glaube nicht, daß ich damit umgehen könnte, aber ich hatte das Gefühl, daß es als einmalige Aktion ganz gut laufen könnte. So bin ich schließlich mit Stevie Wonder zusammengetroffen und habe mit ihm gesungen.“ (Den auch als Single ausgekoppelten Titel „Ebony And Ivory“ und .What’s That You’re Doing?“ – Die Red). Was sicherlich sowas wie eine Erfüllung für dich war, da du ihn ja immer bewundert hast. .Yeah! Ich wollte so etwas schon immer machen, aber irgendwie … entweder habe ich mir überlegt, daß es vielleicht doch nicht das Richtige sei, vielleicht habe ich mich auch einfach nicht getraut. Jetzt habe ich mir einfach gesagt:, Was soll’s! Ich versuche einfach, ein gutes Album zu machen und konzentriere mich auf die Musik und kümmere mich gar nicht um irgendwelche Stilrichtungen, laß mich nicht davon verrückt machen, daß dies ja eine neue Platte wird, ungeachtet dessen, was ich früher gemacht habe. Existieren die Wings denn überhaupt noch? .Eigentlich nicht. Wir haben uns mehr oder weniger getrennt, zumindest für dieses Album. Sollten wir je wieder etwas gemeinsam machen, dann sollte sich jeder ganz locker entscheiden können, ob er will oder nicht. Ich hasse den Druck einer Gruppe…“ … aber du hast seit den Beatles immer in einer Gruppe gespielt. Ja, das schon. Bei den Beatles gab es… am Ende gab es da schon einen gewissen Druck, aber ich habe ihn eigentlich nie so empfunden. Mir war immer nur der positive Aspekt einer Band bewußt. Aber bei den Wings, bei den ständigen Veränderungen im line up, da lief es doch nicht so einfach. Und sowas lenkt dich dann eben von der Musik ab, du hast laufendandere Dinge im Kopf. Naja, jedenfalls hat mich das mittlerweile alles angeödet, und ich dachte mir „Mein Gott, ich gehe auf die 40 zu! Habe ich es da noch nötig, mich mit einer Band abzuquälen? Das steht nirgends geschrieben!“ Zu dem Zeitpunkt warDenny Laine geradebeimir, wir haben ein paar Sachen für das Album geschrieben. Er ist zwar dabei geblieben, aber es kam doch leicht zum Streit. Nichts Ernstes, aber er entschied sich dann, etwas Eigenes zu machen und meinte, er wolle auf Tournee gehen. Aber er hat seitdem nicht getourt (lacht). Es klingt aber so, als sei das Kriegsbeil langst nicht begraben. Ja, es gab so ein paar persönliche Dinge hier und da, Lappalien, aber nachher eskalierte das ein wenig. Tatsächlich war es seine Entscheidung. Er glaubte, daß er so glücklicher werde. Ich meinte „OK“ und machte weiter mit dem Album – und als ich sah, daß ich mit anderen Leuten arbeiten konnte, entstand auch nicht dieses „DIE BAND IST GE-PLATZT! WOW“-Trauma.“ In einem früheren Interview sprachen wir über deinen Produzenten-Instinkt und deine diktatorische Ader, die auf deinem Perfektionstrieb beruht. War es vielleicht so, daß es dich persönlich nicht befriedigt hat, was da gelegentlich produziert wurde? „Und darum hätte ich die Wings schließlich sterben lassen, meinst du? Ja, möglicherweise hat es etwas damit zu tun.“ In den Augen der Öffentlichkeit bist du ja kein Diktator, überall warst du immer nur Paul the nice guy. Sogar John nannte dich honest little Paulie und einen wandelnden PR-Strahlemann. Ja, ich weiß. Ich war mir aber nie bewußt, daß ich‘ dieses Bild projiziere. Als Kind habe ich im mer ferngesehen, Filme angeschaut, um zu sehen wie’sin der Welt so läuft. Du eignest dir diese Dinge dann an. Wenn sie im Film geraucht haben, hast du ebenfalls geraucht. Und ich fand dann ganz automatisch, daß wir diese ganze PR-Kiste bei den Beatles auch brauchten, wenn wir mit Presseleuten zu tun hatten. Deshalb habe ich mich da reingekniet, weil die anderen damit nichts am Hut hatten. Ehrlich! John nicht, George nicht, höchstens Ringo, aber nur, wenn er die Leute mochte. Ich dagegen kann mich mit Leuten abgeben, die ich nicht mag, ohne daß ich sie das spüren lasse. Viele legen das als Unaufrichtigkeit aus. Ich sehe das nicht so, sondern betrachte es eher als Veranlagungssache. Ich würde nicht gerade die Gesellschaft von jemandem suchen, den ich nicht ausstehen kann und dann so tun, als obich gern mit ihm zusammen bin, aber ich würde mich auch nicht zu negativ verhalten. Ist es auch der Perfektionist in dir, der dich dazu verleitet, Dinge zu vertuschen, die nach außen hin nicht so günstig aussehen? Wie die Sache in Japan, wo man dich mit Gras erwischt hat? Kann sein. Du meinst, ich sei mir dessen nicht bewußt?“ Ja, weil die meisten eben ein ganz anderes Bild von dir haben. Und dich in einer derartigen Situation zu sehen, hat ihnen natürlich einen Schock versetzt.“ Mir auch. Aber ich verstehe, was du meinst. Das Dumme daran ist, daß es bei mir eine Charaktersache ist. Dein Charakter erhält schärfere Konturen, sobald er zum Image wird. Für mich wird der Umgang mit den Medien langsam zu einem merkwürdigen Spiel. Ich bin zwar kein Pressereferent, aber in all den Jahren lernst du eben, damit umzugehen und wirst imProfessioneller? Ja, du wirst zum Profi. Ich habe sicher genausoviel Zeit mit Interviews verbracht wie du. Und was unsere Einstellung dazu anging, denke ich, daß der Rest der Band es abgrundtief gehaßt hat und daß ich es abgrundtief gehaßt habe. Aber du kannst natürlich mit so etwas auch nicht hausieren gehen. Ich merke auch immer wieder, daß ich versuche, jeden verdammten Mist zu erklären. Ich würde das alles gern ein wenig lockerer sehen, aber ich habe dieses ganze Spiel nun mal gelernt und meine Reaktionen kommen jetzt fast schon rein instinktiv, wie bei einem Roboter. Eine andere Sache ist die:Mir ist nie bewußt geworden, daß die Leute auf Verlierer stehen. Sie finden es wirklich gut, wenn sie das Gefühl haben, daß mit dir irgendetwas nicht stimmt. Ich bin aber nicht der Typ, der da jede Kleinigkeit nach außen trägt, wie andere das können. John war sehr sensibel und eifersüchtig und schrieb „I’m Just A Jealous Guy“ oder ähnliches. Mir geht es möglicherweise genauso wie ihm, aber ich könnte das nie so gut in Worte kleiden. Tut es dir heute leid, daß du dein Leben der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hast? „Ich war mir schon vor etwa 15 Jahren dessen bewußt. Ich bin nach Griechenland in Urlaub gefahren und habe mir überlegt, „Lieber Gott, vielleicht sollen wir langsam m al darüber nachdenken, in einigen Ländern ein paar Platten weniger zu verkaufen. Ich wollte nicht überall so berühm t sein, daß ich nirgends mehr hingehen konnte, ohne erkannt zu werden.“ Aber dann kommt dir auch schon in den Sinn, daß es für dich jetzt kein Zurück gibt. Bedauern würde bedeuten, daß ich jetzt hier säße und mir deswegen trübe Gedanken machte. Aber das würde mich nur deprimieren. Und selbst wenn ich da irgendwelche Ressentiments hätte, würde mein Charakter sie erst gar nicht an die Oberfläche lassen. So bin ich: mich nie hängenzulassen.“ B ^ Bist du glücklich damit, du in deinem klei-„nen Imperium lebst? Bin ich wirklich, ja. Das Imperium schlägt zurück.“ (lacht) Aber die Tatsache, daß ich zum Beispiel mal eben drüben in den Coffee Shop gehen kann und du nicht, muß doch … Ja, das hasse ich schon. Früherwar ich daran gewöhnt, mit dem Bus zu fahren. Ich erinnere mich noch daran, wie ich sagte, Jch vermisse das Busfahren“, als wir berühmt wurden. George Harrison hat gedacht, ich hätte sie nicht mehr alle, weil er in Autos geradezu aufgeht und sein Vater nur Busfahrer war. Der konnte beim besten Willen nicht verstehen, was ich damit meinte. Er hatte einen Ferrari, wofür brauchte er also einen ,Bus?(lacht) Aber für mich ist das etwas anderes. Ich habe wirklich meinen Spaß, wenn ich oben im Bus fahre. Ich sitze neben anderen Leuten, die sehen mich an, erkennen mich oder manchmal auch nicht.“ Dann sagen sie, „Sieh mal, ein McCartney-Clone.“ (Lacht). InNew Yorkkam mal ein Typ auf mich zu und meinte, „Hey, hast du nicht den Paul in Beatlemania gespielt?“ Zurück zu den Wings. Trennst du dich von Linda… was das Musikalische betrifft? (Lacht). „Nein, sie hat sogar die Harmonien auf dem neuen Album gesungen. Nur hielt sich das musikalisch nachher in zu engen Grenzen – und ich fragte sie, ob es ihr etwas ausmachen würde, noch einige andere Leute einzusetzen. Sie sagte okay und so taten wir uns noch mit Eric Stewart zusammen.“ Wie sieht es denn jetzt mit Live-Shows aus? Nachdem man John umgebracht hatte, gab es ein Statement von dir, daß ihr es aus Sicherheitsgründen für richtiger haltet, nicht aufzutreten. Ja, das war nach der Sache. Das war damals meine Reaktion. Ich denke schon darüber nach und will mich jetzt auch nicht an irgendwelche Statementsklammern. Wenn es mich packt, trete ich wieder auf. Manchmal vermisse ich es auch, aber nicht im A ugenblick. Danach plane ich ein Filmprojekt – wer tut das nicht heutzutage? Aber meins ist anders, meins ist besser. Ich versuche, einen Film auf die Beine zu stellen, der auf dem Album basiert, das wird also auch seine Zeit dauern. Danach vielleicht. Du kannst dich nicht ständig um deine Sicherheit sorgen.“ Sitzt dir der Schreck nicht mehr in den Knochen? „Nein. Direkt nach der Sache mit John hatte ich einen ziemlichen Horror. Ich habe darüber auch mit Yoko gesprochen. Ich habe mich kürzlich erst mit ihr unterhalten, und sie meinte, „Die Leute nehmen dir einiges übel, wie zum Beispiel deine Stellungnahme nach Johns Ermordun g. Ich sollte etwas sagen un d meinte, „It’s a drag“ (eine in dem Zusammenhang ziemlich banale Äußerung wie „schrecklich“ oder „furchtbar“. Anm. d. Red.) Zurückblickend kann ich nur sagen, ich war wie erstarrt, mir kam einfach nicht mehr in den Sinn. Schwarz auf weiß gedruckt sieht das natürlich so aus: Paul’s Reaktion war, „wie entsetzlich – thank you very much“, dann stieg er in seinen Wagen und raste davon. Das ist wieder dieses PR-Ding. Ich hasse das, weil ich es nie so meine, wie’s dann gedruckt aussieht. Ich sagte zu Yoko, „Es Jag wirklich daran, daß ich keine Worte fand,“ und sie war froh darüber, daß ich mich dazu bekannte und offen mit ihr über alles redete.“ Das klingt schon merkwürdig – du redest mit Yoko. Ja, aber warum ? Ich kann dir sagen, für mich war es zunächst auch komisch. Ich rief sie vor einiger Zeit an undsagteihr: Jch bin ziemlich aufgeregt wegen dieses Anrufes jetzt,“ und sie: „Du bist nervös ? Machst du Witze? Ich bin viel nervöser als du.“ Ray Bonici