Patti Smith: Patti Smith über Aufbegehren und Leitfiguren
Man könnte behaupten, Patti Smith lebe in der Vergangenheit. Ihre Wegbegleiter von früher sind tot, ihr New York steht nicht mehr. Smith hat gegen das Vergessen angeschrieben - und redet ungeniert mit Toten.
-Patti, Sie tragen ein T-Shirt, auf das das Buchcover von Hermann Hesses „Das Glasperlenspiel“ gedruckt ist.
Richtig! Mein Lieblings-Hesse-Buch. So habe ich es bei mir, ohne es mitschleppen zu müssen!
Sie haben ein Faible dafür, Lieblingsstücke und Personen sehr in Ehren zu halten. Sie haben schon mehrfach Ihre Sammlung von Devotionalien von Musikern, Schriftstellern, Freunden und Heiligenbildern ausgestellt. Sind Sie ein Mensch, der vor allem in Erinnerungen lebt?
Ich umgebe mich gern mit Dingen, die ich mag und schätze. Für mich sind diese Sachen wie Reliquien. Ich entdecke zwar auch Neues, aber viele Sachen bleiben immer bei mir. Ich habe als Kind schon William Blake geliebt, heute liebe ich ihn noch immer. Ich verehre immer noch John Coltrane, den ich schon mit 14 hörte. Mit Picasso, Rimbaud und Bob Dylan ist es das gleiche.
Allsamt Klassiker, nicht schlecht für ein Kind…
Praktisch, nicht wahr? So musste ich meinen Geschmack später nicht ändern (lacht). Ich sammle auch gern Dinge, die mich an ein bestimmtes Erwachen erinnern. Als Kind las ich immer „Little Women“. Eine Geschichte über ein Mädchen im Bürgerkrieg, das Geschichtsbücher schrieb, sehr ungewöhnlich für ein Mädchen in den 50er-Jahren. Ich lese das Buch nicht mehr, aber immer, wenn ich es in den Händen halte, fühle ich wieder diese Aufbruchstimmung. Ich spreche übrigens auch mit den Toten – sogar mit Leuten, die ich gar nicht kenne!
Auch in Ihrer Autobiographie „Just Kids“ betreiben Sie Denkmalpflege. Ganz besonders bei Ihrem Ex-Freund Robert Mapplethorpe, der das Coverfoto für Ihr Album HORSES (1975) geschossen hat.
Robert war der Künstler meines Lebens. Bevor er 1989 an AIDS starb, habe ich ihm versprochen, unsere Geschichte niederzuschreiben. Ich habe versucht, ein Buch zu schreiben, das er mögen würde. Ich wollte, dass die Leute einen Sinn für uns beide bekommen, ein Gefühl für unser New York City in den 70ern und für die Schönheit des Kampfes für die Kunst.
Ihrer Erzählung nach war Ihre Liebesbeziehung zu Mapplethorpe erstaunlich konservativ.
Wir waren definitiv ein absolut klassisches Paar. Man sagte über uns, dass wir uns sogar gleich bewegten!
Dann entdeckte Robert seine Homosexualität…
Für uns beide war es eine schmerzhafte Entwicklung. Aber unser Band, die Tiefe, mit der wir uns verstanden, war stärker als die einer reinen Liebschaft. Wir waren uns nachher sogar noch näher als vorher.
1980 trafen Sie Fred „Sonic“ Smith (Gitarrist von MC5 – Anm. d. Red.) Sie heirateten ihn und verließen New York, um mit ihm in der Nähe von Detroit zu leben. Ein heftiger Bruch.
Oh ja, es war nicht leicht. Ich habe alles aufgegeben, meine Band, meine Heimat, meine Freunde. Aber ich liebte meinen Mann. Nach so jemandem hatte ich immer gesucht, allerdings nicht damit gerechnet, dass ich nach Detroit gehen muss, um ihn zu finden. Wir lebten total abgeschottet, fernab von allem, aber es war die Opfer wert. Wir brachten zwei Kinder auf die Welt. Ich schrieb und lernte, was ich brauchte, um „Just Kids“ zu schreiben.
Wie verkraftet jemand wie Sie, der so loyal und hingebungsvoll ist, all die Todesfälle? Erst Robert Mapplethorne, dann Ihr Mann und Ihr Bruder, nun Richard Sohl, Ihr Keyboarder…
Nur schwer. Als mein Mann starb, war ich ein Wrack. Icg ging total zerstört nach New York zurück. Heute geben die Erinnerungen mir Kraft. Wenn ich einen schlechten Tag habe, überlege ich, was Robert oder mein Mann mir wohl geraten hätten. Das tue ich dann, und es geht wieder bergauf.
Bedauern Sie Dinge, die sich verändert haben?
Den jungen Leuten fehlt es an Leitfiguren. Vielleicht kommen deshalb so viele zu meinen Konzerten. Ich mache ja keine Musik für junge Menschen, aber sie empfinden mich wohl als Vertrauensperson. Die Rockmusiker der 60er und 70er hatten sicherlich ihre Macken, sie waren fast alle drogensüchtig und verrückt, aber sie hatten Ziele. Dylan, Jim Morrison, diese Leute hatten eine Idee davon, wie die Welt sein sollte. Was bekommt man denn heute schon von den erfolgreichen Musikern, woran man glauben könnte? Ein bisschen Spaß vielleicht, das war’s. Es geht um nichts, weder um Selbstachtung noch irgendein Aufbegehren.
Hat sich New York verändert?
New York wird immer die Stadt der Träume bleiben. Aber sie ist kulturell nicht mehr so zugänglich. Für junge Menschen ist es schwer, eine Szene zu finden. New York wird abweisender, die Architektur immer konsumentenorientierter. Ich verlaufe mich manchmal in Gegenden, in denen ich mich eigentlich gut auskenne, weil — wie in der Bowery zum Beispiel – die gleichförmige Bauweise den alten Charakter des Viertels total verändert hat.
Statt einer Handtasche tragen Sie immer Ihre Polaroid-Kamera über der Schulter. Können Sie sich einen Tag ohne Arbeit vorstellen?
Nein, ich fühle mich unvollständig, wenn ich am Ende des Tages nicht irgendwas erschaffen habe. Ein paar Bilder, ein Gedicht oder einen Eintrag in meinem Tagebuch.
„Just Kids“ schreit nach einer Verfilmung. Gibt es schon Angebote?
Ja, aber man muss ja nicht alles immer sofort verfilmen. Außerdem will ich noch ein Buch schreiben. Vielleicht einen Krimi.