Panik Im Prince-Palast


Die sanften Augen tauschen hinter den starken Mauern des Paisley-Park-Palastes regiert Prince seine Gefolgschaft mit eiserner Faust. Wie ein mittelalterlicher Despot kommandiert er seinen Clan: Wer nicht nach seiner Pfeife tanzt, fliegt kurzerhand raus. Offenen Einblick in seine Arbeitsmethoden gewährt der medienscheue Einzelgänger aus Prinzip nicht. Dave Hill fand trotzdem einen Geheimgang in die Trutzburg von Minneapolis. Und er fand den wahren Prinzen: den manischen Musiker, den millionenschweren Geschäftsmann, den kompromißlosen Schleifer Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt Richtung Westen — raus aus Minneapolis auf dem Highway 5 — erreicht man einen kleinen, verschlafenen Vorort: Chanhassen. Halte Dich links — und gleich wirst Du es sehen, ein neues, weißes, leicht futuristisches Gebäude mit türkisenen Fensterrahmen. Es trägt den Namen eines Songs seines Besitzers: Paisley Park. Das Zehn-Millionen-Dollar-Zentrum für Kreativität und Business gehört dem fanatischsten Arbeitstier im Showgeschäft.

Die Sache mit Prince ist nämlich die, daß der Mann einfach nicht abschalten kann. Menschen, die Erfolg und Wohlstand erfahren haben, strahlen oft eine erstaunliche geistige Ausgeglichenheit aus. Oder aber neurotische Verzweiflung. Die Verzweiflung, den Erfolg um jeden Preis festzuhalten. Das Resultat: Die Kreativität verkrampft sich, die Produktivität läßt nach.

Der kreative Hunger von Prince, der eindeutig in die zweite Kategorie fällt, ist indes ungestillt. PURPLE RAIN machte ihn 1984 zum Superstar und verkaufte sich 17 Millionen mal. Der gleichnamige Film — in dem Prince eine quasi autobiographische Rolle spielte — nahm bei einem Budget von sieben Millionen Dollar 70 Millionen ein. Doch der Trubel, der seinen Aufstieg begleitete, hat seinen. Arbeitswahn in keiner Weise gemindert. Das darauffolgende Album. AROUND THE WORLD IN A DAY, war praktisch schon fertig, als PURPLE RAIN erschien — in Inhalt und Timing ein Affront gegen die herkömmlichen Praktiken der Plattenindustrie.

1986 kam dann erstmals eine kalte Dusche. „Under The Cherry Moon“, sein exzentrischer zweiter Film, fiel bei Kritik und Publikum durch. Völlig durch. Ein klassischer Flop. Als er dann wenig später seine Band The Revolution auflöste, lag die Vermutung nahe, daß er sich kreativ kräftig übernommen hatte.

Falsch. Innerhalb von zwei Jahren veröffentlichte Prince das geniale Doppelalbum SIGN 0′ THE TIMES, absolvierte eine Europa-Tournee, überwachte die Produktion des Konzertfilms, der auf dieser Tournee entstand, lieferte einen Song für den Film „Bright Lights, Big City“, nahm als Produzent zwei Alben mit der Gruppe Madhouse auf, schrieb einen Song für Taja Sevelle, spielte zwischendurch einen Überraschungs-Gig im Minneapolis-Club „Ruperts“, stellte ein Album mit Paisley Park-Sessions zusammen, das er das BLACK ALBUM nannte (dann aber nicht zur Veröffentlichung freigab), veröffentlichte unlängst die reguläre LP LOVESEXY und ist seit Anfang Juli wieder auf ausgedehnter Europa-Tournee.

Doch damit nicht genug. Im gleichen Zeitraum gab es hektische Aktivitäten, sei es im privaten wie im geschäftlichen Bereich. Allen voran die Eröffnung des Paisley Park-Studios, die mit einem eigenen Auftritt gekrönt wurde. Sylvester ’87 spielte er wieder hier, diesmal begleitet von einem seiner zahllosen Bewunderer — Miles Davis. (Die Eintrittskarte kostete 200 Dollar; die gesamten Einnahmen gingen an einen Fond für hillsbedürftige Kinder.) Gleichzeitig kaufte Paisley Park kräftig ein. Anders als in früheren Jahren, als er sich darauf beschränkte, ausschließlich unbekannte Talente aufzuspüren, holt Prince inzwischen auch etablierte Namen aufsein Label. Einer davon gehört Mavis Staples, der Leadsängerin der Staples Singers, die in den 60ern und 70ern eine Reihe von Hits verbuchten konnten.

Der Neuzunang wurde nicht an die große Glocke gehängt. Im Gegenteil. Man mußte schon das Kleingedruckte auf dem Cover der letzten Gospel-LP von Aretha Franklin lesen, um von der neuen Partnerschaft zu erfahren: Courtesy of Paisley Park Records, hieß es da.

Der zweite Neuzugang wiegt allerdings ungleich schwerer. Es ist der bizarre George Clinton, Dompteur des Parliament/Funkadelic-Zirkus‘. der mit seiner subversiven Mischung aus Funk. Rock und

Prince schätzt es gar nicht, wenn seine Zöglinge mit der Konkurrenz anbandeln

Sex den jungen Prince in den 70er Jahren nachhaltig prägte.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit, geht ihre Verbindung schon einige Jahre zurück. In seinem letzten längeren Interview (1985) zitiert Prince aus einer Unterhaltune. die er mit Clinton zum Thma der umstrittenen LP AROUND THE WORLD IN A DAY hatte:“.George sagte mir, wie sehr er die Platte schätze. Und die Meinung dieses Mannes bedeutet mir so viel mehr als das Geschreibsel irgendeines bebrillten Fuzzis, der in seinem Lacoste-Hemd hinter der Schreibmaschine hockt.“ Clinton, so wird vermutet, ist auch der eigentliche Produzent von LOVESEXY.

Doch während Paisley Park diverse Neuzugänge verbuchen kann, hat es auch Trennungen gegeben — Trennungen, die nicht immer freundschaftlich verliefen. Jerome Benton, Halbbruder von Produzent Terry Lewis und Mitglied der Prince-kontrollierten Band The Time, war das Opfer eines dieser typischen Zerwürfnisse: Benton hatte im Film „Purple Rain“ in einer Nebenrolle geglänzt, bekam dann in „Under The Cherry Moon“ eine größere Rolle, die er ebenfalls zu aller Zufriedenheit ausfüllte. Witzbold Benton schien ein Platz an der Sonne sicher zu sein.

Nichtsdestotrotz wurde er über Nacht aus dem Reich des Prinzen vertrieben. Sein Vergehen? Er hatte es gewagt, heimlich bei A&M einen Solovertrag zu unterschreiben.

Inzwischen gilt er im Prince-Dunstkreis als unerwünscht. Es ist in Minneapolis ein offenes Geheimnis, daß es Prince gar nicht schätzt, wenn seine Zöglinge mit der Konkurrenz anbandeln. ¿

Pnncc und sein Management haben ihren Anwalt Lee Phillips auch auf ein anderes Opfer gehetzt. Zur Zeit wird eine Zehn-Millionen-Dollar-Klagc gegen den früheren Prince-Protege Paul Peterson vorbereitet.

Peterson wurde nach der verkorksten „1999“-Tour (auf der Jimmy Jam und Terry Lewis gefeuert wurden, weil sie ein Konzert verpaßt hatten) von Prince für die Gruppe The Time engagiert. Nach nur einer LP (ICE CREAMCASTLE) aber verließ Frontmann Morris Day die Band, und Prince entschloß sich, aus den verbliebenen Mitgliedern eine neue Band zusammenzustellen — The Family. Auf dem Papier bestand die Band aus Benton. Paul Peterson. Schlagzeuger Jcllybean Johnson, Saxophonist Eric Lecds und Susannah Mclvoin. der Zwillingsschwester der Prince-Gitarristin Wendy Melvoin. Tatsächlich aber schrieb Prince nicht nur ihr gesamtes Material, sondern spielte es auch eigenhändig ein. Nur Peterson durfte singen — allerdings genau so. wie Prince es ihm vorschrieb.

Als das Album 1985 auf „Paisley Park“ erschien, hielt sich Peterson in Los Angeles auf, um — von Prince finanziert. Tanz- und Schauspieluntcrricht zu nehmen. Peterson. so Prince, solle auf ein künftiges Projekt vorbereitet werden, über dessen Details er sich aber noch nicht auslassen könne.

Peterson. seine Statistenrolle bei The Family noch in frischer Erinnerung, zögerte… Nach einem hitzigen Telefonat (.“Sei ein Mann. Paul‘, sagte er zum ir, , triff eine Entscheidung! ‚“> entschloß sich Peterson. das Weite zu suchen und unterschrieb einen Vertrag bei MCA.

Die Prince-Anwälte reagierten prompt. Die Zehn-Millionen-Dollar-Klage sei in Vorbereitung, heißt es in Minneapolis. Peterson hingegen beteuert, bislang noch nichts von gerichtlichen Schritten gegen ihn gehört zu haben.

Prince ist aber nicht nur Auslöser, sondern auch Zielscheibe von Klagen. Kurz nach Veröffentlichung von SIGN 0′ THE TIMES beschuldigte ihn seine Halbschwester Lorna Nelson, daß die Single „U Got The Look“ verblüffende Ähnlichkeiten mit einem Song aufweise, den sie geschrieben und ihm zur Begutachtung zugeschickt habe. Der Fall liegt zur Zeit noch bei den Gerichten. (Seine einzige leibliche Schwester, Tyka Nelson, hat übrigens gcrade ihr Debütalbum für Chrysalis fertiggestellt.)

Wenn er nicht gerade tourt. filmt. Leute einstellt, feuert oder verklagt, legt Prince ein atemberaubendes Tempo im Studio vor. Paisley Park beherbergt u.a. zwei“.Top of the line“ 48-Spur-Studios; eins davon ist ständig für Prince und seine Gefolgschaft reserviert, die hier oft bis in die frühen Morgenstunden jammt.

Seit Jahren basiert die bevorzugte Kompositionsmethode von Prince auf eben diesen Jam-Sessions: Ansätze von musikalischen Ideen werden von der Gruppe entwickelt, bis sich dann Prince — oft zum Ärger der Beteiligten — in ein anderes Studio zurückzieht, um mit einem fertigen Song wiederzukehren. Einem Prince-Song. natürlich.

Zugegeben, seine Plattenaufnahmen mit der Band The Revolution lebten zu einem ungewöhnlich großen Teil von den Beiträgen seiner Band. Nach dem Ende dieser Formation aber griff Prince auf seine Studio-Crew und die alten Methoden zurück.

Zum engsten Kreis seiner Gefolgschaft gehört zunächst einmal Matt Fink. Keyboarder der Gruppe Madhouse. die Prince auch auf seiner letzten Tournee begleitete. Auf Madhouse und ihren Chef. Eric Lceds. war Prince durch Erics Bruder Alan Leeds aufmerksam geworden (damals sein Roadie.

heute eine wichtige Figur im Pnncc-Manugement). Prince war von einem Demo so beeindruckt, daß er die Gruppe aus Atlanta spontan in den Paisley Park einlud. Offiziell heißt es. er sei an ihrem Album „8“ in keiner Weise beteiligt gewesen: Prince-Eingeweihtc hingegen behaupten das Gegenteil.

Ein anderes langjähriges Mitglied de;, engsten Prince-Kreises ist seine Schlag/eugerin und einstige Geliebte Sheila E. Tänzerin Cathv“.Cat“ Glover.

Was gemeinsam erarbeitet wurde, deklariert Prince zu einem eigenen Song

Keyboarderin Boni Boyer und Gitarrist Mico Weaver, alle schon Mitglieder der letzten Tour-Band. Sie bilden heute den Kern der.,Hnuse Band“ im Paisley Park.

Weiterhin in seinem Dunstkreis: Zwei der drei bulligen Tänzer/Sänger (Jeromc Benton war der dritte), die ebenfalls auf der letzten Tour dabei waren: Wally Safford und Gregory Allen Brooks, früherer Bodyguard bei Prince. Brooks, so hört man in Minneapolis. sei die Stimme auf dem Psychopathen-Rap „Bob George“ (vom BLACK ALBUM) — und nicht etwa ein stimmlich verfremdeter Pnncc. Brooks und die oben erwähnten Namen waren es denn wohl auch, die hauptsäehlieh zu dem gesamten BLACK ALBUM beigetragen haben.

Die Sperrung dieses Albums (das nun allerdings eventuell scheibchenweise als B-Scilen künftiger Singles doch noch veröffentlicht werden soll] ist sicher ein Verlust für die Popmusik. Erfreulicherweise haben andere Aufnahmen, die ursprünglich von Prince auch zurückgehalten wurden, inzwischen doch noch das Licht der Öffemlickeit erblickt: Drei Songs eines Albums, das Prince unter seinem Pseudonym Camille veröffentlichen wollte, fanden ihren Weg auf SIGN ()‘ THE TIMES, während ein weiterer. „Shockadelica“. als B-Seite von „If I Was Your Girlfriend“ veröffentlicht wurde. „Good Love“ schließlich, ebenfalls von dem Camille-Alhum. erschien nun auf dem Soundtrack „Brighi Lights, Big City“.

Einem Radio-Interview zufolge, das er 19X6 in Detroit gab, liegen 320 komplette Songs im Safe. Einige davon dürfte er sicher herausgeholt haben, um diverse Klienten zu bestücken, mit denen er in jüngster Vergangenheit zusammengearbeitet hat. Country-Rocker Bonnie Raitt berichtete, daß sie drei Tage mit einem Prinee auf kreativen Hochtouren im Paisley Park-Studio verbracht habe. „Er arbeitet unglaublich hart und schnell und treib! dich gnadenlos an. „

Eine gegenseitige Bewunderung verbindet Prince auch mit Miles Davis. Insider-Informationen zufolge schickte Prince der geistesverwandten Jazz-Legende einen Song mit dem Titel „Cm 1 Play Willi U“. Davis nahm ihn zwar nicht, wie erhofft, auf seine TUTU-LP. es wurde aber offensichtlich beschlossen, in naher Zukuntt gemeinsam ins Studio zu gehen.

Ein dritter Name, der im Paisley Park unlängst des öfteren fiel, ist der von Joni Mitchell. Die .früheren Revolution-Mitglieder Wendy & Lisa waren an der Produktion ihrer LP CHALK MARK IN A RAINSTORM beteiligt — und auch Prince. seit langem ein Mitchell-Bewunderer, war mit ihr im Paisley Park-Studio. Bislang aber ruhen die Aufnahmen in seinem privaten Safe. Mitchell, so war zu hören, war allerdings mit den Aufnahmen auch nicht sonderlich glücklich.

Wendy & Lisa haben sich bekanntlich selbständig gemacht und eine LP für Virgin produziert. Bassist Mark „Brownmark“ Brown. ebenfalls früher Mitglied von Revolution, arbeitet inzwischen in seinem eigenen Studio in Minneapolis und veröffentlichte unlängst aul Motown sein Debütalbum. Revolution-Drummer Bobbv Z schließlich komponierte und produzierte in London die kommende Boy George-LP. Sein Austritt aus dem Prince-Clan verlief offensichtlich verhältnismäßig freundschaftlich, derjenige von Mark Brown hingegen löste wieder einmal den geiurchteten Zorn des Meisters aus.

Von Prince entdeckt und gefördert zu werden, erwies sich nicht nur in diesem Fall als zweischneidiges Schwert. Wohl dem, dem Eintritt ins Allerheiligste gewährt wird – doch wehe, wenn man es dann wieder verlassen will…