„Once Upon a Time in Hollywood“: Warum bloß kopiert Tarantino sich selbst? (Kritik)
Quentin Tarantino widmet sich dem „Old Hollywood“, das Ende der 1960er-Jahre dem Untergang geweiht war. Mit seiner kreativen Neuerzählung steht er sich diesmal selbst im Weg.
+++ Diese Kritik erschien zuerst auf RollingStone.de +++
Achtung: Diese Kritik enthält fundamentale Spoiler zum Film – das Schicksal einzelner Figuren, als auch das Film-Ende betreffend.
Quentin Tarantino war der Mann, der Adolf Hitler und Josef Goebbels von Maschinengewehrkugeln zerfetzen ließ. Das hatte vor ihm mit Hitler und Goebbels noch keiner angestellt. Wer „Inglourious Basterds“ gesehen hatte, wusste also, dass Tarantino Märchen erzählen kann, dass er Geschichte einfach umschreibt, und dass das funktioniert. Der Arbeitstitel jenes „Es war einmal …“-Films hieß nicht ohne Grund „Once Upon a Time … in Nazi-occupied France“.
Jetzt hat er „Once Upon a Time … In Hollywood“ gedreht, also wieder ein Märchen. Aber ein zweites Mal kommt Tarantino mit dem Trick, die Schurken verlieren zu lassen, nicht durch – warum sollte man ihm auch allein den Versuch schon durchgehen lassen? Die Ansprüche an den 56-Jährigen, der sich innerhalb seiner Arbeiten noch nie wiederholt hatte, sind hoch. Aber noch nie war man am antizipierten, ja befürchteten Film-Ende so schnell dran wie hier, in seinem zehnten (Tarantino spricht von seinem neunten) Werk. Ein Tarantino-Film, dessen Clou sich erahnen lässt? Himmel, hilf.
Hack- und Grillfleisch
Tarantino entschied, seine Liebeserklärung an das Los Angeles seiner Kindheit, an die Stadt an sich, aber auch an das Serial-TV und Westernkino der 1960er, mit der „Manson Family“ und deren Morde an fünf Menschen, unter ihnen die schwangere Sharon Tate, zu verknüpfen. Jenes Ereignis war auch deshalb so einschneidend, weil es, zusammen mit dem Drama von Altamont-Festival im selben Jahr, bis heute als „das Ende des friedlichen Hippie-Traums“ bezeichnet wird.
Tarantino aber hätte wohl besser, wenn überhaupt, zwei Filme aus dem Material entwickeln sollen. Das Ende der „Goldenen Ära“ Hollywoods – sowie den Albtraum, der aus der Spahn-Ranch geboren wurde, wo sich die Hippie-Kommune Mansons eingerichtet hatte. Es ist nicht immer klar, was er mit seinen parallelen, zufällig zusammenfindenden Chroniken mitteilen will, also wenn zwei abgehalfterte „Old Hollywood“-Gestalten, Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) und dessen Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), die Manson-Gang – noch vor deren blutigen Streifzügen im Polanski-Haus – zu Hack- beziehungsweise Grillfleisch machen, darunter mit Einsatz von Requisiten, die aus ihren eigenen Trash-Filmen stammen.
Will Tarantino uns das mitteilen: Noch bevor das „New Hollywood“ der 1970er das „Old Hollywood“ ablöst, sind es zumindest die Helden alter Schule, die die Killer-Hippies auszuschalten vermögen? Tarantino sagte, dass er die alten schlagkräftigen, konsequenten Männer von Hollywood vermisst, jene, die mit dem Beginn des Autorenkinos durch die eher ambivalenten, gesprächsfähigen Grübler (Pacino, Hoffman) abgelöst wurden. Mit Booth (Pitt) hat er nun seinen eigenen Alpha-Male-Veteranen zu Papier gebracht. Aber muss der dann ausgerechnet den Manson-Schwachköpfen seinen Kampfhund auf den Hals hetzen? Vor der Premiere in Cannes bat Tarantino die Journalisten, nichts über das Ende zu spoilern. Damit hat er natürlich erst recht verraten, dass er die Geschichte umschreibt.
Der Zusammenhang zwischen Dalton, Booth und der indirekt von ihnen geretteten Sharon Tate wirkt umso konstruierter, als dass Tarantino, so was gibt’s sonst nur in Doku-Fiction oder schlechten Militäreinsatz-Filmen, jedenfalls nicht bei ihm, den schicksalhaften Abend des 8. August mit einem Dauerfeuer an minutiös aktualisierten Zeitpunkt-Einblendungen und Off-Kommentaren begleitet, die die Spannung erhöhen und Authentizität darlegen sollen.
Ein Tarantino-Novum: „Once upon a Time … in Hollywood“ besteht aus lediglich zwei Hauptfiguren, Dalton und Booth. Die Credits listen zusätzlich Margot Robbie als Nummer drei auf, als Sharon Tate, aber sie wirkt hier wie ein lachendes Nichts. Wenn sie nicht gerade tanzt, sitzt sie auf dem Beifahrersitz oder schaut sich ihre eigenen Filme im Kino an (einmal setzt sie sich selbst hinters Steuer, nimmt eine schmutzige Anhalterin mit). Sie hat am Ende keine Ahnung davon, was ihr fast geblüht hätte. Möglicherweise ist die Darstellung konsequent. Als Tate ermordet wurde, war Tarantino sechs, es ist vielleicht sein Recht, sie als sein Traumwesen, als idealisierte Erinnerung, als laufendes Model ohne Charakter darzustellen – als Imagination eines Kindes, das Tate nur von Postern kennt. Es ist halt nur keine sehr angebrachte Darstellung einer echten Frau. Es dürfte kein Zufall sein, dass DiCaprio und Pitt im ganzen Film keine gemeinsame Szene mit Robbie teilen; auch das gibt den Entwicklungen von vornherein den Touch einer Fantasie.
Austin Powers meets Playboy
Der Produktion ging die Meldung voraus, dass Tarantino sehr viel Geld dafür ausgegeben hat, an den Original-Schauplätzen „ganze Straßenzüge“ in das L.A. von 1969 „zu verwandeln“. Das führt nicht durchweg zu befriedigenden Ergebnissen. Die „zufällig“ durchs Bild laufenden Statisten sind, ob in den Straßen oder auf der Spahn-Ranch, zu auffallend zufällig arrangiert; das riesige Rundgebäude von Capitol Records, ein Wahrzeichen der Stadt, verkümmert im äußeren Bildrand. Die Party in der „Playboy Villa“ sieht aus wie bei Austin Powers.
Der Farbfilter wiederum erinnert, gerade bei Sonneneinstrahlung, an Instagram-Verschönerungen. Wer das fiebrige Los Angeles von 1969/1970 sehen will, ist bei P.T. Andersons „Inherent Vice“ besser aufgehoben. Es ist auch seltsam, dass ausgerechnet in diesem Tarantino-Film der realistischen Metropolen-Nachbildung kein Afro-Amerikaner eine Rolle spielt. In seinem L.A. gibt es keinen einzigen Schwarzen zu sehen. Anders als – ausgerechnet – im von den Nazis besetzten Frankreich von „Inglourious Basterds“, als dem Kinovorführer Marcel eine tragende Rolle bei der Ermordung Hitlers zukommt.
Aber es gibt einige andere Kindheitserinnerungen Tarantinos, die große Wirkung entfalten. Ton und Musik sind ausgesprochen detailliert. Jedes bei Sonnenuntergang eingeschaltete Billboard erhält ein eigenes elektrisches Summen. Während seiner Dach-Reparaturen im Cielo Drive rauscht Booth beeindruckender Wind um die Ohren, Hollywood-Stars lebten auf zugigen Hügeln, wer hatte das zuvor im Kino dargestellt?
Angenehm altmodisch setzt Tarantino seinen Song-Soundtrack ein. Die Musik bleibt überwiegend im (Radio-)Hintergrund. Lieder wie „Miserlou“ („Pulp Fiction“) oder „Bang Bang (My Baby Shot Me Down)“ („Kill Bill Vol. I“) werden heute ja eher Tarantino selbst zugerechnet als deren Interpreten Dick Dale bzw. Nancy Sinatra. Die Stücke in diesem Film aber hat Tarantino sich nicht zu eigen gemacht, sie sind Kolorierungen der Ära, keine Statements des Regisseurs zu bestimmten Szenen, und erstmals allesamt ausschließlich zeitgenössisch. Wer Authentizität suchen will, sollte außerdem, wie immer, die vom Fußfetischisten Tarantino ins Bild gewuchteten Sohlen inspizieren: So schmutzig, also realistisch waren 1969er-Füße wohl selten zu sehen.
„Once upon a Time … in Hollywood“ ist außerdem ein für Tarantino-Verhältnisse konservativ montierter Film. Es gibt kaum Verschiebungen im Zeit-Kontinuum, also Rückblenden, wenige Titel-Einblendungen, keinen Trashkino-Zoom. Dies ist ein Film, der solcherart geschnitten fast 1969 im Kino hätte anlaufen können. Er steckt natürlich auch voller Insider-Witze und historischen Anspielungen, dürfte mehr Artikel über „Dies sind Tarantinos Zitate aus der 60er-Filmgeschichte“ als echte Kritiken nach sich ziehen. „Polanski hat ‚Rosemary‘s Baby‘ gedreht“, jubiliert Dalton, als er von seinem neuen wichtigen Nachbarn hört, er fühlt sich nun selbst wichtig, „Polanski ist schließlich der wichtigste Regisseur der Welt!“ Doch wie heißt der Köter des wichtigsten neuen Regisseurs der Welt? Dr. Sapirstein. Polanski nimmt sich und seine Filmfiguren nicht ernst.
Die erstaunlichste Schwäche offenbart Tarantino ausgerechnet in seiner früheren Meisterschaft, in Dialogen, in denen es um idealistische Herleitungen für das eigene absurde Tun geht. Die Manson-Family-Mörder Atkins, Krenwinkel und Watson motivieren sich für ihre Bluttat mittels eines Meta-Gesprächs: über die Notwendigkeit, jene Stars zu töten, die in ihren Filmrollen selbst töten und damit Zuschauer, also sie selbst, zum Töten animieren würden. Vielleicht will Tarantino damit nur die Dummheit der „Family“ hervorheben, dieser Moment aber lässt die Superman-Thesen Bills (aus „Kill Bill: Volume 2“) fast wie einen Geniestreich erscheinen.
Tates Retter
Tarantino steht seiner Figur Rick Dalton zur Seite, wenn er über die „fucking Hippies“ herzieht. Er ist sein Don Draper – ein Dinosaurier, der Love & Peace mindestens für eine Ausrede fürs Faulsein hält. Die Tragikomik des Rick Dalton besteht am Ende darin: Er wird niemals erfahren haben, dass er mitgeholfen hat, auch das Leben seiner Nachbarn zu retten, und damit Sharon Tate, und dass er – dem während der Tat in Europa weilenden – Roman Polanski eine alternative Zeitlinie mit weiteren beziehungsweise anderen Filmen schenkt. Dalton, der in Hollywood abgeschrieben ist und beim Relaxen im Swimmingpool schlechte Musik hört, tötet das Manson-Family-Mitglied, das in sein Zuhause, sein letztes Herrschaftsgebiet eingedrungen ist. Er ist keiner, der durchs Leben eher stolpert, Dalton sieht Dinge voraus, sein Anwesen hatte er zu einer Zeit gekauft, als die Immobilienpreise noch nicht explodierten und sich auch B-Stars ins Cielo Drive einkaufen konnten.
Die zwei großen Momente in „Once upon a Time … in Hollywood“ gehören jedoch Brad Pitt, 56, und unabhängig davon, man kann es einfach nicht anders formulieren, könnte es noch nie einen Mann in der Filmgeschichte gegeben haben, der so durchgängig fantastisch aussieht wie dieser Mann in diesem Film von 2019. Vielleicht liegt es am Farbfilter, der in Kombination mit tiefhängendem kalifornischen Sonnenschein, brauner Haut und blonden, windigen Haaren diese Wirkung erzeugt, vielleicht ja an den Narben und Unterarm-Muskeln: Tarantino hat mit Cliff Booth nicht weniger als eine seiner Top-Ten-Figuren geschaffen. DiCaprio ist gelistet als Hauptdarsteller Nummer eins, aber dies ist eindeutig Pitts Streifen (die mangelnde Eitelkeit, den Stuntman DiCaprios zu spielen, muss man als Pitt sowieso erstmal haben).
Zwei Booth-Momente transportieren die alte, geliebte Tarantino-Magie:
Nummer eins: Eine trotz ihrer Kürze beeindruckende Schlägerei zwischen ihm und Bruce Lee (Mike Moh), eingeleitet durch eine träumerische Kamerafahrt und einen der grazilsten Sprünge auf die Brust, die es im Kino zu sehen gab – worauf ein Back-to-Basics-Kampf folgt, der den Fantasy-Karate-Quatsch von John Wick und Co. Lügen straft. Hollywood-Kino gegen Asia-Kino. Dem Fight geht zudem eine Tarantino-klassische, hier sonst vermisste Dialog-Eskalation („Du bist zu hübsch für einen Stuntman“ – „Kato“) voraus, die Erinnerungen an die glorreichen Momente von Fassbender vs. Diehl („Inglourious Basterds“) oder Waltz vs. DiCaprio („Django Unchained“) weckt.
Der zweite magische Tarantino-Moment: der Besuch Booths auf der von der „Manson-Family“ besetzten Spahn-Ranch. Derart souverän langsam inszeniert, dass die Spannung kaum zu ertragen ist. Es erscheint klar, dass Booth im hintersten Raum des abgefuckten Haupthauses entweder eine grausige Entdeckung macht, oder dass er die Ranch nicht mehr lebend verlassen wird – schließlich brachte die „Family“ im wahren Leben tatsächlich einen Stuntman dort um. Tarantino aber hat zwei Überraschungen parat, die Kino-Gold für die Ewigkeit sind.
„Once upon a Time … in Hollywood“ gilt als eine „Liebeserklärung an eine Ära“, und wie diese Ära hätte weiter existieren können, hätten die Morde der „Manson Family“ einer neuen Brutalität nicht den Weg geebnet, wie das „New Hollywood“ sie inszenieren würde. Tarantino ist clever genug, nur das alte Establishment zu zeigen, keinen Bogdanovich, Ashby oder Coppola. Die vermeintlich progressivste Figur ist der Produzent Schwarz (Al Pacino), der die Zukunft des alten Recken Dalton ausgerechnet im Italo-Western sieht. Auch er aber ist ein Mann von gestern.
Das lässt aber auch Tarantino erstmals antiquiert erscheinen. Sein vorangegangenes Werk, „The Hateful Eight“ von 2015, war viel langweiliger als „Once …“, aber es transportierte zumindest den Versuch einer Botschaft: Amerika, wie es damals und heute von Rassismus und Selbstjustiz geprägt ist.
„Once upon a Time … in Hollywood“ ist sehr nachdenklich, sehr wehmütig, aber nicht sehr aufregend. Eine Antwort, wie dem wirklichen aufregenden Kino, dem „New Hollywood“, zu begegnen gewesen wäre, liefert ausgerechnet Tarantino nicht. Er bezeichnet dieses als sein „persönlichstes“ Werk. Das heißt auch, dass er es vor allem für sich selbst gedreht hat.