Nonkonform


Mit Energie und Visionen möchten die einstigen Rebellen des Labels Trikont den musikalischen Horizont der Republik erweitern.

Es wird oft gesagt, was wir machen, sei schräg“, erzählt Joachim Bergmann. Doch mit skeptischen Stimmen kann der Chef des in München ansässigen Labels Trikont bestens leben: „Wir lachen ja selbst über manche Sachen.“ Bei diesen »Sachen“ handelt es sich im Fall von loachim Bergmann um Musik. Nein, nicht um irgendeine Musik. Trikont veröffentlicht Klänge, die man nicht jeden Tag zu hören bekommt. Manche stammen aus Bayern, wie die des singenden Oberarztes Georg Ringsgwandl oder auch die des Alpen-Rebellen Hans Söllner. Andere hört man für gewöhnlich in China oder Vietnam. Der Kosmos der Klänge ist schier unendlich. Das weiß auch loachim Bergmann und schöpft aus dem Vollen. Tango aus Finnland? Kein Problem. Trikont hat ihn. Polka aus Hannover? Aber sicher doch. Joachim Bergmann zieht die Kapelle Wlodek aus dem Regal. Die Geschichte von Trikont geht auf das lahi 1971 zurück: Eine Handvoll junger Studenten engagiert sich für linke und freiheitliche Ideale und veröffentlicht über ein Plattenlabel schwerpunktmäßig deutschsprachige Musik. Lieder in der Landessprache liegen Bergmann bis heute am I lerzen, was ihm sogar schon mal den Vorwurf der nationalistischpatriotischen Deutschtümelei einbrachte. Bergmann belächelt Anwürfe dieser Art, gleichgültig sind sie ihm nicht. „Diese Kritik ist wirklich idiotisch. Mit der Muttersprache lässt sich eben besonders präzise Kultur vermitteln. Amerikaner beispielsweise würden sich auf so eine Diskussion nie einlassen“, bemerkt Bergmann, der sich als junger Erwachsener der „Subkultur des politischen l Intergrunds der 60er und 70er Jahre“ verbunden fühlte. „Wir haben Auftritte für Bands organisiert, die nur gespielt haben, wenn gleichzeitig ein Haus besetzt wurde“, erzählt er zur Belustigung seiner Kollegin Eva-Maria Haussmann, die über die Punkszene Interesse am Musikgeschäft entwickelte. Die beiden bilden heute ein souveränes und ruhiges Geschäftsduo, das sich routiniert aber noch immer idealistisch für die Verbreiterung des musikalischen Spektrums am Rande des Mainstream einsetzt Nachdem über Trikont in den 70ern schwerpunktmäßig „mobile Einsatzkapellen“ und „Sponti-Bands“ wie Ton Steine Scherben und die Schröder Roadshow ihren Weg auf den Plattenmarkt fanden, ist das Repertoire heute faszinierend vielschichtig und orginell: „Es gibt bei allen unseren Themen einen roten Faden, und das ist die Bedeutung der Geschichte, die dahintersteht“, erläuten Bergmann das Konzept. „Künstler leben heute in einer doppelten Wirklichkeit. Zum einen werden sie durch ihr unmittelbares Umfeld geprägt, zum anderen bedienen sie sich bei dominanten Kulturen aus der ganzen Welt. Freiheit und das Material, das deine eigene Geschichte formt, sind die Bestandteile, die für künstlerischen Ausdruck von Bedeutung sind.“ Wert legen Haussmann und Bergmann außerdem darauf, dass Bezug zum I lier und Heute gegeben ist. Vietnamesische Popbands werden zugänglich, wenn sie westliche Klassiker covem, Country- und Westemmusik aus dem frühen 20. lahrhundert gewinnt bizarre Nähe durch ein damals populäres „Yodeling“. loachim Bergmann: „So was hat nicht nur pädagogischen Wert. Wenn sich Kulturen und Zeiten treffen, dann ist das einfach spannend. Popmusik schafft im Idealfall eine Bilderwelt, in die potenziell jeder einsteigen kann.“ Und deshalb will das Trikont-Team auch künftig jenseits von allen Sprachund Kulturbarrieren Musik anbieten, die sich in erfrischender Weise von dem abhebt, was man sonst so hört.

ROCKO SCHAMONI Der Mond 425

„Meine Geschichte ist tatsächlich zum Teil eine Geschichte der Vergeblichkeit, ein donquichotte-hafter Kampf, der ständig mit Scheitern zu tun hat“, resümierte Rocko 1996 in der Berliner „taz“. Ein sonderbares Phänomen: Für Blumfeld und Tocotronic ist der Mann Vorbild und Lehrmeister, den großen Durchbruch geschafft hat er allerdings nie. Nach dem Scheitern als Komiker nahm er Jahre vordem Schlager-Revival 1990 mit Michael Holm „Mendocino“ auf. Er versuchte sich im TV-Business und eröffnete eine Kneipe. Dieser Tage ist er zurück im Musikgeschäft, und zwei Dinge sind geblieben: zum einen der Respekt der Kollegen – Rocko-Remixe gibt’s u.a. von DJ Koze (Fischmob) und Eißfeldt (Absolute Beginner) zum anderen sein ungebrochener Wille, den optimalen Schamoni abzuliefern.

ICH SCHWITZE NIE Warum bin ich 357

Berlin erweist sich als kreative Hauptstadt der Republik. Ihr Bürger Lars Rudolph ist hauptberuflich Schauspieler, macht aber so ganz nebenbei mit Nicholas Bussmann und Hanno Leichtmann auch noch elektronische Musik, die unsäglich ungewöhnlich und mindestens ebenso interessant ist. Irgendwo zwischen Seemannsromantik, Jazz, Tango, Chanson und elektronisch-atomarem Wahnsinn verstecken sich Songgebilde der ganz anderen Art. Geschaffen von einem Trio, das vor Kreativität nur so sprüht.

KAP. WLODEK Im Planetarium 1:58

Mit schaurigem Ernst tragt das Septett um die Geschwister Riebe (Christian, Susanne und Tilmann) ihre befremdlichen Songs vor. Die Kapelle aus Hannover dekonstruiert mit Tom Waits’scher Sorgfalt Polkas, Walzer und Kaffeehausmusik. Traurig und disharmonisch, sarkastisch und doch liebevoll arrangiert, präsentiert man nach eigener Aussage „eine schöne, aber zum Scheitern tendierende Musik“. Und genau darin liegt ihr besonderer Reiz.

EDE ROBIN Dead 2:12

Während der kommerzielle Soul im 20. Jahrhundert als sinnliche Mischung aus Gospel und Blues die Welt eroberte, hielt sich im Süden der USA eine traurigere und weniger radiofreundliche Variante dieses Genres. Gospelgeschulte schwarze Sänger wurden von Produzenten mit weißen Countrymusikern in Studios gebracht, um Songs überSegregation und persönliches Leid aufzunehmen. Aus diesem Umfeld zu internationalem Ruhm brachten es Aretha Franklin, Otis Redding und Sam & Dave. Die meisten Soulmen und -women allerdings verschwanden nach einer Single wieder in den Armenvierteln ihrer Community. Ede Robin auf der beiliegenden CD im ME bietet ein ebenso intensives wie verstörendes Soul-Erlebnis und zeigt, wer Pam Grier bei ihren Beiträgen zu Blaxploitation-B-Movie-Soundtracks beeinflusste.

THE BURNINC RUBBER DOLLS Weary Blues From Waitin’3:52

Mister de Luna, ein in Deutschland stationierter Zivilist der amerikanischen Armee, beschloss Anfang der 90er Jahre, den „Krauts“ Hank Williams (Foto) nahezubringen. Über Jahre tourte er mit den Burning Rubber Dolls durch die Republik. Das Repertoire bestand ausschließlich aus Kompositionen der Altlegende. Williams war der erste richtige Star der Countrymusik und gilt bei den Größen dieses Genres noch heute als unanfechtbare Nummer i. Er starb 1953 auf der Rückbank seines Cadillac. „Weary Blues“ stammt aus der LP „Hank Williams Revisited“.

RINGSGWANDL

Winter 548 Mitte der 8oer Jahre entdeckte der Garmischer Oberarzt Dr. Georg Ringsgwandl sein Talent als Musik-Harlekin, legte das medizinische Handwerkszeug beiseite und hüpfte anschließend in Neon-Strumpfhosen über die Bühnen der Nation. Seine Bedeutung als sensibler Musiker offenbarte sich aber erst 1993 mit der akustischen und ernsten Songschreiber-LP „Staffabruck“, einem Werk, dass Ringsgwandl schüchtern und unsicher bei der Firma Trikont abgeliefert hatte. Die elf Songs gehören zum Gefühlvollsten, was bisher in bayrischer Mundart aufgenommen wurde und sind besonders für den süddeutschen Raum von entsprechender Relevanz. Aber auch im übrigen Deutschland ist man längst auf Ringsgwandl aufmerksam geworden.

FUNNY VAN DANNEN

Wo kommen die Gedanken her 2:33 Der gebürtige Holländer lebt ein typisches Künstlerleben in Berlin Kreuzberg: Er malt.

schreibt Bücher, musiziert und muss sich permanent „mit der Bank arrangieren“. Einst machte er eine Ausbildung zum Werbegrafiker, versuchte sich als Punk- und Schlagersänger und gründete die Lassie-Singers. Heute erzählt er Geschichten, die humorvoll und unangestrengt die Merkwürdigkeiten des Lebens auf den Punkt bringen. Van Dannen ist komisch und macht Lieder, ohne ein Komiker und Liedermacher im herkömmlichen Sinn zu sein.

NO GOODS

Honig und Blut 3 35 Das Trio Krenn, Böcker und Pichler hat sich seit 1985 zu einer der innovativsten Combos von München entwickelt. Auf dem neuen Album „Willkommen in Europa“ basteln No Goods aus Scratching, Elektronik, Heimorgeln und klassischen Instrumenten liebevoll kuriose Popsongs zwischen Swing, Chanson, Easy Listening und bayerischer Volksmusik.

SANTIAGO JIME-NEZ JR. Y LA FUEN-TE MEXICANA La Paloma 5:36 Trikont macht es sich seit Jahren zur Aufgabe, den Klassiker „La Paloma“ in möglichst vielen und interessanten Versionen zu archivieren. Über den baskischen Komponisten Sebastian Jradier war bereits zu dessen Lebzeiten im 19. Jahrhundert wenig in Erfahrung zu bringen. „La Paloma“ schrieb er vermutlich um 1861 in Kuba. Santiago Jimenez Jr. ist ein Meister des Tex-Mex-Akkordeons. Wie sein Vater und der Bruder Flaco verbindet er mexikanische, nordamerikanische und europäische Musik. Seine „La Paloma“-Version wurde 1996 live in München aufgenommen.

BEAUSOLEIL

Zydeco Gris-Gris 258 Seit vielen Jahren gehört diese Truppe zu den prominentesten Vertretern und Entwicklern der Cajun-Musik. Cajun ist Mitte des 18. Jahrhunderts im französisch besiedelten Süd-Louisiana in den USA entstanden. Europäische Einwanderer mischten in den Sümpfen ihre heimatliche Kultur mit creolischen Einflüssen. Als in den 5oern der Rock’n’Roll das Land überschwemmte, wurde aus strengem Cajun „Swamp Pop“, eine interessante und eigene Variante. Trikont versammelt die Perlen des Genres auf einer umfassenden CD-Serie. „Zydeco Gris-Gris“ war 1985 für einen Grammy nominiert. Zu hören war es außerdem in dem Film „The Big Easy“.

NUMMINEN

Ich und meine Braut im Parlamentspark 253 Als 1908 die Pariser Version des argentinischen Tangos Europa eroberte, war man in Finnland skeptisch. Sieben Jahre später gab es eine erste Parodie auf den Tango, und ab diesem Moment’begann man,den Stil radikal nach Finnland zu zerren, künstlich zu beheimaten und weiterzuentwickeln. Aus Sinnlichkeit und Erotik wurde finnische Melancholie. In tristen Vorstädten tanzte man betrunken durch die nordischen Nächte. Das finnischsprachige Original des Numminen-Songs war in den 6oern verboten, da es angeblich das Parlament verhöhnte.

HANS SÖLLNER

Boarischa Krautmo 3:34 Der Rebell aus Reichenhall hat’s nicht leicht: 1996 wurde er währe nd einer BerufungsVerhandlung wegen Drogenbesitz verhaftet. Söllner hatte dem Richter gesteckt, er werde nach dem Prozess „eine kleine Pfeife rauchen“. So ist er halt, der bayrische Reggaepoet – radikal liberal. Jahrelang beherbergte Söllner bosnische Flüchtlinge und beschimpfte Politiker und Polizisten. In bissigen Texten, die ihm schon viel Ärger einbrachten, fordert er immer wieder Toleranz. Eine neue Platte soll’s auch irgendwann geben. Wir jedoch warten mit einem Klassiker auf: „Boarischa Krautmo“ von der LP „A Jeda“.

COCO SCHUMANN

Georgia On My Mind 8:38 Seine Heimat waren die einstigen Musik-Clubs von Berlin, wo er schon als Kind zu Besuch war. Später gab Heinz Jakob (Coco) Schumann als verfolgter Halbjude Konzerte in Kellern und Kneipen. Dem Terrorregime der Nazis entging er trotzdem nicht. Hitlers Helfer verschleppten Schumann nach Dachau und Auschwitz. Er überlebte nur, weil sogar die Nazis sein Talent erkannten – sie missbrauchten den Gitarristen Schumann als KZ-Musiker. Heute zählt der 75jährige zu den großen alten Männern seines Fachs. Bester Beweis: Schumanns brillante Version von „Georgia On My Mind“ auf der CD im ME.

ATTWENGER

Woam werdn 6:20 Klänge wie aus einem buddhistischen Kloster, das zwei kreative Österreicher beherbergt. Mit der Monotonie eines Mantras meditieren sich die Linzer Hans Peter Falkner und Markus Binder in Trance. Die LP „Song“ ist nicht nur die alpenländische Antwort auf Detroits House und Bristols Breakbeat, sondern geht zusätzlich noch einen Schritt weiter: Zwischen Maultrommeln, Mundartwortfetzen und Loops liefern Attwenger ein Musterbeispiel dafür ab, wie man Tradition und Moderne verbindet.