Nona Hendryx
"Voulez-vous coucher avec moi ...?" sang sie vor zehn Jahren. Mit der kosmischen Funk-Combo Labelle landete sie damals einen Moralschocker und Tanzhit zugleich. Das erotische Knistern hat sie bis heute beibehalten — an Selbstbewußtsein und musikalischer Reife hingegen kräftig zugelegt. Nach Stationen bei den Talking Heads und Produzent Bill Laswell kämpft sie nun auf eigene Faust.
Der vor mir aufgelaufene Lokalreporter wittert seine Story: Ob es denn stimme, will der junge Mann im Banker-Outfit in holprigem Englisch wissen, daß sie im neuen John Travolta-Film zu bewundern sei. Nona, offensichtlich belustigt über diese Paarung, klärt das vorwitzige Greenhorn höflich, aber bestimmt auf: Nein, da habe er wohl etwas durcheinander bekommen, lediglich ein Song des „Perfecf‘-Soundtracks stamme von ihr…
Mal ganz abgesehen davon, daß ein derartiges:Angebot ohnehin nicht vorlag, tat Nona Hendryx gut daran, den Part der Kraftraum-Animateuse, die den Starreporter Travolta zum Transpirieren bringt, dem „Körper“ Jamie Lee Curtis zu überlassen; an „I Sweat“ aber, eine Art Soundtrack für High Speed-Frühgymnastik aus ihrem vorletzten Album THE ART OF DEFENSE, kamen die Verantwortlichen kaum vorbei, als es darum ging, die optimalen Grooves für das Body-Building-Ambiente dieses schlechten Werbespots zu sichten.
Dabei würde es mich keineswegs überraschen, könnten wir Nona auch mal auf der Leinwand erleben, schließlich ist ihr Verhältnis zu visuellen Ausdrucksmöglichkeiten schon von jeher ein besonders ausgeprägtes gewesen. Wir brauchen uns nur kurz die Formation ins Gedächtnis zurückrufen, mit der sie in der ersten Hälfte der 70er Jahre für (ästhetische) Furore sorgte — Labelle: Drei Frauen —- außer Nona natürlich noch Patti, die der Gruppe ihren (Nach-)Namen lieh, und die kleine Sarah Dash— – die in futuristisch anmutender Verkleidung ein farbenfrohes Bühnenspektakel veranstalteten und nicht lange um den heißen Brei herumredeten („Voulez-vous coucher avec moi …“); eine Art emanzipierte Girl Group, die das ohnehin schon längst verblichene Genre völlig neu definierte, kurzum: Glam-Soul at its best, perfektes Pendant und gleichwohl Gegensatz zum Schlafzimmer-Schmus eines Barry White.
Auch im Verlauf ihrer Solo-Karriere, die zunächst eher stockend anlief und erst 1983 mit dem NONA-Album so richtig ins Rollen kam, legte Nona verstärkt Wert auf ein stimmiges Gesamtbild, eine schlüssige Kombination aus Musik und deren optischer Präsentation — ob Plattencover, Bühnenshow oder Videoclip. Größtmögliche Kontrolle in allen Teilbereichen lautet ihre Devise.
Dies im Hinterkopf, war ich dann allerdings doch etwas überrascht, einige Statements aus ihrem Munde zu lesen, die sie dem britischen „Blues & Soul“-Magazin kürzlich in den Recorder diktiert hatte: Die Repertoire-Abteilungen der Plattenfirmen, so die Essenz von Nonas Ausführungen, sollten doch bitte ihre Lauscher mal wieder ein bißchen weiter aufsperren; allzuviele Acts gelangten heutzutage nur zur Vertragsreife, weil der Sänger ganz gut aussieht, ein strammes Paar Beine sein eigen nennt und diese — „shrink to fit“ — ebenso knackig zu präsentieren weiß. Sollten wir uns etwa mißverstanden haben?
Nona stellt klar: „Natürlich ist das Visuelle sehr wichtig, aber du solltest auch in der Lage sein, nachdem du eine Band auf Video gesehen hast, dich hinzusetzen und zuzuhören. Das ist immer noch das Wichtigste. Du kannst ein starkes visuelles Image haben, es kann dir Erfolg bringen, aber wenn das Image zu wichtig und die Musik fast nebensächlich wird, dann wird das nicht allzulange halten. Die Leute sind bald gelangweilt, wie z.B. jetzt mit Boy George…“
Hmm, Georgie Boy: Aufmerksamen Lesern dieser Postille dürfte nicht entgangen sein, was der Gute kürzlich vom Stapel gelassen hat Prince und Madonna, ließ sich unsere Bescheidenheit vernehmen, wären ohne ihn in Amerika nicht möglich gewesen.
Nun, natürlich hat er da sein hübsches Mäulchen ein wenig zu weit aufgerissen —- Publizität hat er derzeit schließlich nötiger als je zuvor – —, aber nichtsdestotrotz denke ich, daß seine Argumentation so abwegig nicht ist: Boy Georges irritierendes Spielchen mit konventionellen Geschlechterrollen (was ihn bei der „ehrlichen Rock „-Burschenschaft natürlich Kopf und Kragen kostete) hat sicherlich dazu beigetragen, ein US-Massenpublikum für die plakative, aber kaum weniger irritable Sexualität eines Prince oder einer Madonna empfänglicher) zu machen. Sicher: Bowie feierte mit seiner „Ziggy-Hey, I’m Gay“- Inkarnation auch in den Staaten Erfolge und es gab Tunten wie die New York Dolls. Aber im großen und ganzen war Glam-Rock, dieses Hohefest der Androgynie, in God’s Own Country ein kräftiger Flop.
Nona Hendryx (war ich etwa vom Thema abgekommen?), in Trenton/New Jersey gebürtig und u.a. auch ein rundes Jahr lang in London ansässig, bringt die transatlantischen Pop-Beziehungen auf folgenden Nenner: „Ich denke, daß England eigentlich immer irgendwie von amerikanischer Musik beeinflußt wurde seit dem Rock ’n Roll, und das wird auch immer so sein. Andererseits wurde Amerika immer von England beeinflußt, was das Image angeht, die ganze Präsentation, wie sich britische Bands verkaufen: Ein Boy George konnte nur aus England kommen oder irgendwo aus Europa…“
Ganz bestimmt nicht aus Deutschland, werfe ich ein.
„Nicht aus Deutschland, nein“, lacht Nona, und fährt fort: „Eine Madonna könnte auch nicht aus England kommen, aber sie ist natürlich, was ihr Vorgehen betrifft, britisch beeinflußt. Natürlich hat Boy George die Leute in den Staaten sexuell irritiert. Ich glaube, in Amerika wollen die meisten Leute glauben, daß so etwas wie Sexualität gar nicht existiert. Sie wollen sie hinter verschlossenen Türen halten …“
Für gewisse Irritationen sorgte letztens auch Nona selbst: Zeitgenossen, die Soul sagen und triefende Laken meinen, hatten mit ihrem neuen Album THE HEAT zweifellos einen schweren Stand. Gar zu ungehemmt wurde da streckenweise losgerockt, gar zu kräftig jaulten die Gitarren (u.a. auch von Keith Richards, der auf „Rock This House“ eins seiner bewährten Gastspiele gibt), und Arthur „Monsterbeat“ Baker, der den zunächst angeheuerten Bernard Edwards ablöste, ließ die bekannten Tricks aus seiner Studioküche keineswegs im Schrank versauern.
Nein, für eine puristisch orientierte Black Music-Analyse wird man Nona, der schwarz/weiß-Muster offensichtlich zuwider sind, kaum gewinnen können. Wie beurteilt sie die aktuelle Lage „schwarzer“ Klänge?
„Von den Texten her war sicherlich Rap das Lohnendste, was es in letzter Zeit gegeben hat. Die Musik hat eine Energie, die um positive Sachen kreist: Erziehung, Bildung, keine Drogen, Selbstachtung. Als das alles anfing, hab‘ ich eigentlich eher negativ darüber gedacht, weil — party, party, party … Und ich dachte: Mein Gott, irgendwann müssen die Leute damit doch mal aufhören, weil sie was essen müssen, und wenn sie nichts essen, dann kriegen sie Probleme… (lacht) Und da fand ich es gut, daß Leute wie Run D.M.C. oder Fab Freddy anfingen, auch mal andere Sachen da reinzubringen.
Auf der anderen Seite hast du all diese Prince/Michael Jackson- und Rick James-Clones — es ist wie eine endlose Pornographic-Sex-Platte. Nicht, daß es unbedingt falsch ist, aber wenn du nur das hörst, dann hast du einfach eine sehr limitierte Sicht der Dinge. Und du hast auch ein sehr limitiertes Vokabular, wenn du mit anderen Leuten kommunizieren möchtest.
Ich denke, daß dieser Trend sehr ungesund ist. Radio war früher noch nicht in ein so enges Korsett gepreßt wie jetzt. Aber ich hoffe, daß gerade weil es so ist, darauf auch mal reagiert wird, weil …es ist einfach langweilig…“
Der Gegenangriff gegen maschinell gefertigte, austauschbare Endlos-Grooves ist natürlich längst in vollem Gange: Namen wie Bobby Womack und seine Sippschaft werden fallen, wenn die Deep Soul-Fraktion zu Recht ihr stolzes Haupt erhebt. Und auch Nonas ehemalige Weggefährtin Patti Labelle hat ja, nachdem ihre Teilnahme an mediokrem Soundtrack-Eintopf-Miete und Ratenzahlungen für die nächste Zeit abgesichert haben dürfte, unlängst eine schöne, „altmodische“ Soul-LP (PAT-TI) vorgelegt, für die bezeichnenderweise u.a. die einstigen Phillysound-Drahtzieher Kenneth Gamble/Leon Huff als Produzenten verantwortlich zeichnen.
Nona hat für den Salto rückwärts (der möglicherweise doch eher ein Schritt nach vorn ist) folgende Erklärung:
„Ich glaube, das hat damit zu tun, daß du da wirklich Songs hören kannst. Heute besteht die schwarze Musik zum großen Teil aus Grooves — und das reicht den meisten Leuten auch: ein schöner Groove, zu dem man tanzen kann. Davor zählten Songs: Patti ist eine Sängerin, also muß sie einen Song haben, genauso Bobby. Heute müssen viele Gruppen einen Groove haben, gerade weil sie keinen Sänger haben, anders würde das nicht funktionieren.
Natürlich ist es für viele Sänger heute ein Problem, sich da anzupassen. Dieser Druck ist zweifellos da. Aber ich höre Aretha immer noch lieber einen Songsingen, als wenn sie einen bescheuerten Song mit einem guten Groove singt.“
Darauf, daß Nona uns ihre Grooves/Songs hautnah verabreicht, werden wir — kleine Hiobsbotschaft zum Schluß — nun leider doch noch ein bißchen warten müssen: Ihre BRD-Tour, ursprünglich für Dezember, dann für Februar geplant, wurde geschoben.