Noch einmal im Endorphinrausch: So war der Sonntag beim Hurricane 2022
Warum wir finden, dass es Festivaltickets künftig auf Rezept geben sollte, und unsere Eindrücke vom Sonntag beim Hurricane hier.
Am Sonntag, so kurz vor der Rückkehr in die Realität, lässt man gern das Erlebte noch einmal Revue passieren. Das Resümee beim Hurricane 2022 fällt dieses Jahr besonders positiv aus, auch seitens der Veranstalter und Einsatzkräfte, die den Tag mit einer Pressekonferenz beginnen. Man habe es mit dem vielleicht diszipliniertesten Publikum in der Hurricane-Geschichte zu tun gehabt. Kaum Straftaten, nur ein paar Drogen – und das Wichtigste: die allermeisten Besucher haben das Wochenende ohne Blessuren oder andere gesundheitliche Probleme überstanden. Und so wird es auch am Sonntag bleiben.
Royal Blood geben alles
Mitfühlen muss man mit Mike Kerr, Bassist und Sänger von Royal Blood, der im Laufe des Sets offenbar ein ernstes Problem bekommt. Er wirft überraschend seinen Bass weg und geht von der Bühne. Eine Erklärung für das abrupte Verschwinden bekommen Zuschauer kurze Zeit später von Drummer Ben Thatcher: Seinem Kollegen hat eine halbe Stunde vor Ende des Sets die Stimme versagt und ohne Sänger könne die Show nun mal nicht weitergehen. Und das ausgerechnet an seinem Geburtstag: Kerr wird heute 32 Jahre alt und die Bühne des Duos, das gerne cocky und cool auftritt, war extra mit pastellfarbenen Wimpelketten und Ballons geschmückt.
Endorphinrausch mit Thees Uhlmann
Thees Uhlmann und Band haben keine Konfettikanonen oder dergleichen dabei, dafür aber „billige Witze“, wie sie sagen, um das Publikum zu unterhalten. Hier eine Kostprobe: „Was isst ein Techniker zum Mittag? Kabelsalat.“ Nebenbei schwärmt der Musiker vom Mädchen an Kasse zwei und regt sich über das Zurschaustellen leicht bekleideter Frauen in HipHop-Videos auf. „Viele Grüße von Casper, er hat es wieder nicht geschafft“, und so übernimmt Uhlmann wie schon gewohnt den Part, der in „& Jay-Z singt uns ein Lied“ dem Rapper vorbehalten ist. Gegen Ende dann noch ein wichtiger Hinweis: Wer sich am Montag ein bisschen down fühlt: „Es ist alles in Ordnung“ – die Endorphinspeicher sind nach einem Partywochenende leer. Wer sich aber auch zwei, drei Wochen später noch nicht wieder gut fühle, solle sich nicht scheuen, einen Psychologen zu kontaktieren. Stichwort: depressive Phase. „Die Leute, die euch kennen, die lieben euch“, sagt Uhlmann so eindringlich, dass es Gänsehaut produziert – erst recht, als danach sein Song „Avicii“ losgeht.
Vielleicht ein letztes Mal Kummer
Nebenan auf der Mountain Stage klettern einige waghalsige Zuschauer auf die mobilen Toiletten, um einen besseren Blick auf Kummer zu erhaschen. So voll war es hier vielleicht das ganze Wochenende noch nicht. Verständlich, ist es doch eine der letzten Möglichkeiten, Felix Kummer noch mit seinem erfolgreichen Solo-Projekt zu sehen. Entsprechend euphorisiert rast der Musiker durch sein Set – er verschießt seinen Hit „Alles wird gut“ daher schon eine halbe Stunde vor Ende, kann danach aber noch mit einem Überraschungsgast punkten: Nura, die schon einige Stunden zuvor auf der Bühne stand, unterstützt ihn beim Zugezogen-Maskulin-Track „36 Grad“.
Kontra K lässt die Muskeln spielen
Der Staub legt sich – endlich! Als es am Abend nach etwas zaghaftem Tröpfeln doch noch richtig plätschert, werden zwar keine großen Regentänze aufgeführt (bei den eher frühlingshaften Temperaturen heute kein Wunder), dennoch kann man heilfroh sein, dass die Luft nun frischer wird. Kontra K macht der Schauer gar nichts aus – der Rapper zieht nach kurzer Zeit sein T-Shirt aus, um die tätowierten Muskeln spielen zu lassen. Mit Schlagring am Mikrofon und Live-Band im Rücken heizt er den Besuchern vor der River Stage ein. Wer dann noch fröstelt, kann sich an emporschießenden Feuersäulen beim Song „Warnung“ wärmen.
Bei Bring Me The Horizon ist trotz großem Getöse auch viel Liebe im Spiel – Oli Sykes verlässt beim Song „Drown“ die Bühne, um allen Erreichbaren, die wollen, eine Umarmung zu schenken. So viel Herzlichkeit versprüht die letzte Band des Abends zwar nicht, dennoch schaffen Kings of Leon einen letzten besonderen Festivalmoment, in dem sich alle noch einmal in den Armen liegen, Paare kuscheln und zu Hits wie „Use Somebody“, „Crawler“ und „Sex on Fire“ mitsingen. Am Rand wird Fang den Hut gespielt – offensichtlich hat sich das Quartett gerade erst kennengelernt. Solche Momente gab es an diesem Wochenende reichlich. Und so hallt vor allem eines nach: Wir sind endlich wieder zusammen statt allein. Festivals können wirklich etwas Therapeutisches haben.