No Fear Of Music: Die Originalalben der Talking Heads im Schnelldurchlauf
Talking Heads: 77 (1977)
Wäre aus den Talking Heads nicht geworden, was sie später waren, würde nach diesem Album kein Hahn mehr krähen. Einzig der Song „Psychokiller“ hätte sich im Gedächtnis unverbesserlicher Underground-Fanatiker festgekrallt. Schuld daran sind nicht einmal die Talking Heads selbst, sondern Tony Bongiovi, der dem Quartett die Spitzen abschneidet. Verglichen mit späteren Alben klingt die Band hier niedlich bis ängstlich.
More Songs About Buildings And Food (1978)
Die Talking Heads und Brian Eno haben sich gefunden. Die Frage, wer hier wen vor seinen Karren spannt, stellt sich nicht, da beide Seiten von dieser einzigartigen Symbiose profitieren. Die Band hat mit ihrem spröden, unterkühlten Dance Punk ihren charakteristischen Sound gefunden und bietet dem Produzenten ein unbegrenztes Experimentierfeld im handlichen Pop-Format. Gelegentliche Defizite im Songwriting werden durch einen kompakten Bandsound, einen äußerst effizienten Einsatz der Ressourcen und David Byrnes vokale Exzentrik wettgemacht. Bezeichnenderweise ist der markanteste Track des Albums kein Original, sondern eine Coverversion des Al-Green-Klassikers „Take Me To The River“.
Fear Of Music (1979)
Das Terrain ist abgesteckt, jetzt geht es neuen Horizonten entgegen. Eno und die Talking Heads – oder besser Eno und Byrne haben ihre Liebe zu afrikanischen Rhythmen entdeckt. Mit einer Reihe illustrer Gäste bezieht die Band in jedem Song neue Positionen und läßt Annäherungen an King Crimson, David Bowie oder Can erkennen. Nicht nur die expressive Empfindsamkeit Byrnes, auch die beinahe maschinell wirkende Präzision der Rhythmusgruppe erreicht ihren Höhepunkt. Das gesamte Album folgt der Dramaturgie eines global angelegten Disco-Marsches.
Remain In Light (1980)
Der gemeinsame Experimentiergeist Enos und der Heads erreicht seinen Zenit und Endpunkt. Abstrakte Minimal Music und brodelnder Funk gehen in diesem knallbunten, schier undurchdringlichen Klangdschungel eine verblüffend logische Synthese ein. Die Songstrukturen lösen sich fast völlig auf. Enos Einfluß wird so groß, daß die Band spielerisch hinter der Produktion zu verschwinden droht. Das Ergebnis ist jedoch eins der packendsten Talking-Heads-Alben überhaupt. Die in ihrer heiteren Kompaktheit aus dem Album herausragende Single „Once In A Lifetime“ gehört zu den ganz großen Hits der Band.
The Name Of This Band Is Talking Heads (1982)
Dieses Doppelalbum ist eine Live-Compilation, die am meisten Sinn in der originalen Vinyl-Ästhetik macht, weil sie je eine Seite von 1977, 79, 80 und 81 enthält. Anhand dieser Konzert-Chronik läßt sich in anderthalb Stunden die Entwicklung des Sounds und Selbstverständnisses der Talking Heads bis 1981 nachempfinden. Allerdings werden auch die internen Kämpfe der Band transparent, denn die ersten beiden Seiten sind in ihrer unvoreingenommenen Simplizität ungleich spannender als die doch recht unbeholfenen frühen Versuche der Band, ihre Worldbeat-Exkurse mit großem Aufgebot umzusetzen.
Speaking In Tongues (1983)
Das erste Post-Eno-Album befolgt immer noch präzise die Prinzipien des britischen Klangphilosophen. Zwischen die treibenden Nähmaschinengrooves des typischen TH-Stakkato-Funk werden stilvoll versponnene Ambientfäden und obskure Sythie-Sounds eingeflochten. Der Grundton ist allerdings etwas entspannter als auf den Eno-Alben. Der Opener „Burning Down The House“ funktioniert wie ein gut gefedertes Sprungbrett, das den Hörer mit Schwung und Lust in die restlichen Songs des Albums abfeuert, allen voran das prickelnd düstere „Swamp“. Ein fulminanter Paukenschlag zwischen Kontinuität und Neuanfang.
Stop Making Sense (1984)
Dieses Quasi-Live-Album verdankt seine herausgehobene Stellung in der Discografie der Talking Heads kaum dem Umstand, daß es der Soundtrack zu einem historischen Konzertfilm ist. Auf dem Höhepunkt ihrer Inspiration und Kraft ziehen Byrne und die Seinen jedoch ein souveränes Fazit. Alle Hits der Band werden neu bewertet. Gerade die vorher oft so unterkühlt vorgetragenen Songs werden hier mit Fäden glühender Leidenschaft durchzogen. Mit „Genius Of Love“ wird auch der Tom Tom Club zum integralen Bestandteil des TH-Universums. Auf diesem 1999 um sieben Bonus-Tracks erweiterten Live-Dokument sind die Talking Heads mehr, als sie irgendwann zuvor waren und jemals wieder sein würden.
Little Creatures (1985)
Das zugänglichste Album der Talking Heads. Die spröden Grooves von einst werden von freundlicherem Reggae weggetragen. Zwischen den Pop Perlen „And She Was“ und „Road To Nowhere“ aufgehängt, grenzen die Songs auf „Little Creatures“ weder aus noch ab, sondern suchen Konsens auf breiter Ebene. Statt programmatischer Statements liefert die ungewohnt geschlossen klingende Band hierzu jedem irritierenden „Wenn auch“ ein überzeugendes „Aber“. Der subversive und klaustrophobe Geist früherer Streiche bleibt auf der Strecke. Das perfekte Pop-Album.
True Stories (1986)
Mehr Notlösung als reguläres Album. Was David Byrne veranlaßt, ein Soloalbum mit seiner altgedienten Band einzuspielen, und diese, sich auf diesen faulen Pakt einzulassen, bleibt auf ewig im Dunkeln. Das Soundtrack-Placebo „True Stories“ ist der schwerfällige Versuch der Talking Heads, nach ihren World-Beat-Experimenten in der amerikanischen Tradition zwischen Gospel, Blues. Calypso und Zydeco Fuß zu fassen. Doch statt intellektueller Verarbeitung begnügen sie sich mit plumper Nachahmung. Das Scheitern der Band wird immerhin von den beiden Hits „Wild Wild Life“ und „Radio Head“ flankiert. Nicht der schlechteste Abstieg.
Naked (1988)
Die Talking Heads haben sich endgültig zur Big Band aufgeblasen und jegliche Kontrolle eingebüßt. Von ihrer Substanz bleibt wenig übrig. Hinter zwanghaft fröhlichem Blechgewitter und afrikanischen Trommeln verbirgt sich perspektivische Unsicherheit. Es fehlt der rote Faden und jegliches Ziel. Ein schwerfälliger, großmäuliger Abgesang auf einstige Tugenden wie Humor, Selbstdisziplin und einen provokant wachen Geist. Talk Ende.