Nirvana und die Folgen des Erfolgs
Der "Smell Of Teen Spirit" ist längst verflogen, die Kometen des Grunge stark verunsichert. Und Kurt Cobain hadert mit der Zukunft.
Warum freut sich eine Band, auf einmal deutlich kleinere Brötchen zu backen? Nach ihrem zweijährigen Crash-Kurs als stark riechende „Teen Spirit‘-Protagonisten im Grunge-Olymp landeten Kurt Cobain, Kris Novoselic und Dave Grohl mit „In Utero“ recht unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Und niemand freut das mehr als Kurt Cobain selber. Der hatte sich unlängst darüber aufgeregt, daß ihm „… plötzlich alle die anerkennend auf die Schulter klopfen, die mich in der High School noch verprügelt haben, weil ich wie ein Punk aussah.“
Die Gefahr ist beseitigt. Denn Kurt steuerte erfolgreich gegen. „In Utero“ ist trotz einer Million weltweit verkaufter Exemplare nicht zum erwarteten Erfolg geworden. Die US-Plattenfirma Geffen hatte sich von Nirvana unter der Leitung von Produzent Steve Albini einen ähnlichen Überflieger wie „Nevermind“ versprochen. Den lieferten statt dessen die verhaßte Konkurrenz Pearl Jam mit „Vs“ ab. Und prompt liefen die amerikanischen Medien zu Eddie Vedder und seinen Mannen über.
Kurt nahm’s gelassen. Letztes Jahr hatte er sich öffentlich andere Ziele gesetzt: „Ich will kein Superstar sein. Eine Million Platten zu verkaufen und den Status einer Kultband zu haben — das ivürde mir gut gefallen.“ Und so lieferten Nirvana denn auch eine brachiale und ganz und gar unpoppige Scheibe ab, die in ihrer Kompromißlosigkeit bis an die Punkwurzeln der Band ging.
Der gedämpfte Erfolg von „In Utero“ ermöglichte es Cobain („I’m a negative creep!“), auf der laufenden Tournee seinen Nihilismus vor bedeutend kleinerem Publikum zu praktizieren. Auf die Gastspiele hatten die Fans zwar ein Weilchen warten müssen, da Cobain seine ernsten Magenprobleme mittels Heroin zu heilen versucht hatte. „Während der fünf Jahre, die ich mich mit meinem kaputten Magen herumschlug, war ich schon mehrmals drauf und dran, mir das Leben zu nehmen“, erklärte er in einem Interview mit dem amerikanischen „Rolling Stone“. Aber das ist nun vorbei, der Magen wieder in Ordnung, das Blut clean und er willig. Und auf ging’s. Die Band graste erstmal fleißig amerikanische Kleinstädte ab. Dort verärgerte der schwierige Frontmann die neuen Fans im Publikum durch das Weglassen des Mega-Hits „Smells Like Teen Spirit“. „Ich habe das Gitarren-Solo zu ,Teen Spirit‘ einfach nicht mehr im Kopf. Ich bräuchte zwar nur fünf Minuten, um es wieder zu lernen. Doch das interessiert mich nicht.“ Die Fans dankten es ihm mit lauten Buh-Rufen. Alt-Freund Jonathan Poneman hingegen, Nirvanas Plattenmann aus alten Sub Pop-Tagen, freut sich jetzt schon darauf, wenn Cobain mal wieder von der Bühne herab ins Publikum uriniert. Der Strahl wird auch in Deutschland weniger Nirvana-Fans als noch zu „Nevermind“-Zeiten treffen: Die Band spielt auf ihrer Tour in kleinen Hallen, die Zeit der 20.000 Leute fassenden Stadien ist weltweit vorbei.
Welchen Weg die Band nach Ablauf der Weltreise einschlagen wird, weiß auch Familienvater Cobain noch nicht. Fest steht soviel: „Wir sind ziemlich ausgelaugt. Wir sind an einen Punkt gekommen, wo wir Gefahr laufen, uns nur noch zu wiederholen. Wir müssen in Zukunft mehr experimentieren, sonst wird’s diese Band nicht mehr lange machen.“