Nina Hagen – Alles wird ganz toll!
Nina Hagen ist zurück! Mit Baby, neuer Platte, den Kopf voller Spiritualität und einem allmächtigen Verbündeten - dem lieben Gott. Und dagegen kommt bekanntlich keiner an.
Alles wird ganz toll! Daß sie bildschönes Gesicht hat, weiß jeder, der sich früher schon mal die Mühe gemacht hat, durch Nina Hagens Make-up-Maske hindurchzusehen. Freundlich lächelnd, ungeschminkt, schiebt sie die Kinderkarre durch’s Hotelfoyer. „Woll’n wir erstmal’n bißchen rausgehen?“ Herrliches Wetter in Mün chen. Nina Hagen ist kurz vor Veröffentlichung ihrer LP NUNSEX-MONKROCK aus LA angereist, um in der letzten „Musicbox“ aufzutreten. Tochter Cosma schwitzt unter einer weißen Schirmmütze mit dicken roten Woll-Dreadlocks. Nina verbirgt ihre Irokesen-Frisur unter militantem Dekkel, wie ihn die NY-Lederszene favorisiert. Eine liebenswürdige Mutter mit einem freundlichen Baby, aber leicht werde ich es nicht haben, das weiß ich, ehe wir wieder oben sind im vierten Stock. Ihr Schicksal, so klingt gleich zu Anfang durch, liegt eh in Gottes Hand. Und gegen eine derartige Größe läßt sich schwer diskutieren. So wie Nina – schwupp! – den himmlischen Vorhang zwischen ihr und der konkreten Realität zureißt, sobald es ins Detail geht, könnten wir erklären, daß wir uns nun endlich verarscht vorkommen. Diese Art von PR-Trip sei ja wohl das allerletzte, wenn nicht sogar Blasphemie. Genau! Wir könnten uns der Einfachheit halber auf den Standpunkt stellen, daß sie eh nicht mehr alle Tassen im Schrank hat und ihr bescheuerter Manager Mr. Glotzer, der uns hierzulande mit seinem Zappa sowieso langsam mal kann, bloß nicht meinen soll, daß er jetzt auf die Tour Geld machen kann. So! Arme Nina. Das Schlimme ist, daß sie wirklich immer an vieles von dem glaubt, was sie erzählt. Sie sang das Loblied des Punk, des Feminismus, von Pyramidenpower, Jah-Love, Christentum. Es kommt immer etwas dazu, es fällt immer etwas ab. Krishna, Yoga, Meditation. Neue Gebiete, neues Wissen, neue Erkenntnisse, Erfahrungen. Gierig stopft sie’s alles in sich hinein – wie einst nach ihrer Ausreise aus der DDR alle Sorten von Süßigkeiten. Exzessiver Nachholbedarf, künstlerischer Kollaps, Beziehungskrisen mit zwei Junkies, Hermann Brood und Ferdinand Karmelk, dem Vater ihrer Tochter. Flucht ins Land der noch unbegrenzteren Möglichkeiten, kurze Romanze mit Rastafari; ein bißchen Gras, dann endlich -Relaxation durch Meditation. Entdecken, was Spiritualität bedeutet genau das, was ihr jetzt weiterhilft. Kombiniert mit komödiantischem Spieltrieb, genialistischer, völlig unkontrollierter Sprunghaftigkeit und einem ausgeprägten Sinn für Auftritte, ergibt dies die heutige Nina Hagen. Damit auch niemand an der Integrität der Künstlerin zweifele, verkündete Desiree in aufgeregter Ernsthaftigkeit in ihrer letzten Musicbox, daß Nina uns sehr wichtige Dinge zu sagen habe. Und dabei handele es sich bestimmt nicht um einen „Gag“, wie manche Leute vielleicht meinten. Neben ihr schnarrte Nina, wie selbst vom Teufel besessen, obwohl sie doch die Liebe in die Herzen der Menschen bringen will. Mit aufgemaltem Schnurrbart präsentierte sie rasant und dämonisch ihren „Smack Jack“, androgyn^danach ein wenig albern, anz Frau und Mutter dagegen am Tage vor den Aufzeichnungen beim Interview. „Ich hätte schon zwei oder drei Platten machen können, die ganze Menschheit hätte schon geheiligt sein können, weißte? Die wollen mich jetzt auch erst im September auf Tournee schicken. Ich würde aber lieber jetzt gehen, weil ich gehört habe, daß der neue Christ, der neue Buddha sich in zwei Monaten bekannt geben wird, darlieh aber nicht. „Sie füllt Orangensaft für Cosma in die Nuckelflasche. .Für mich ist das in Ordnung, ich dachte bloß … ich könnte viel mehr machen, aber augenscheinlich soll ich ja nicht. Also, sage ich mir, dann sei mal jetzt mehr mit deinem Kind zusammen. So ist das alles eingerichtet. Der Mensch denkt und plant – aber Gott kann es viel besser. Da sollte ich nicht unzufrieden sein.“ Nina Hagen in kindlich naiver Hingabe. Altkluge Kleine-Mädchen-Stimme, ein bißchen trotzig, manchmal verschmitzt, zwischendurch noch ein paar Oktaven höher, wenn sie mit Cosma spricht. Frage ich viel, wird sie lauter. Aber es gelingt mir ungefähr drei- oder viermal, einen Satz zu beenden. Ich will wissen, ob sie sich nicht so eine Art religiöser Spezialanfertigung zurechtgebastelt hat. Zugegeben, daß man in unserer westlichen Hemisphäre durchaus auch von fernöstlichen Weisheiten profitieren sollte. Aber so, wie sie es auf ihrer LP (auf der übrigens auch Chris Spedding mitspielt, s. LPs) zusammenrührt, werden wohl wenige ihren Erkenntissen und Schlußfolgerungen nachkommen. .So kann ich nicht darüber sprechen,“ mault sie enttäuscht. „Ich macheMusik, weilalleMugyn, dan Gsik von Gott kommt, vom Himmel. Im Himmel da biste eins mit der Musik. Hier unten auf der Erde, da sind’s noch zwei, der Mensch und die Musik.“ Und was die Platte angeht: „Ich möchte die Leute ermutigen, die den Weg eingeschlagen haben. Die sagen, die Welt hier unten, das ist nicht die wahre Welt, da muß es doch noch was anderes geben. Das hier unten ist doch erst der Anfang, für etwas Vollkommenes.“ Das klingt nach Reinkarnation, den Vorstufen zum Nirvana, also nach fernöstlichem Glauben … “ Was heißt denn hier ostlich ? Ich komme doch aus Ost-Deutschland. Da muß ich doch östliche Religion verkünden.“ (Ach so). “ Weißt du, an dem Tag, wo du sagst, ich übergebe Gott im Himmel mein Leben … ich gebe es ihm, denn er weiß am besten, was er damit zu machen hat. Denn er hat mich ja geschalten und er hat für mich einen Plan entworfen, damit ich zum Schluß so werde wie er.“ Auf diesen wesentlichen Punkt zieht sie sich dann in verschiedenen Variationen allerdings im Laufe unserer Unterhaltung wie auf einer Kreislinie immer wieder zurück. Herauszufiltem wäre noch, daß “ das Gute an die Macht muß, alle die Bösen, die werden besiegt werden. Es wird nicht zu einem Atomkrieg kommen. Es wird alles ganz toll! Steht alles in der Bibel.“ Und was tut sie dazu? .Sitzeich jetzt nicht hier und gebe dir ein Interview?“ Na gut, aber wer wird das lesen und bekehrt sein? Also zum Praktischen. Mit Geld in der Tasche will Nina Hagen nach Afrika gehen, nach Somalia, helfen. Sie hat die hungernden, weinenden Kinder und ihre ausgemergelten elenden Mütter im Fernsehen gesehen. Also willst du jetzt konkret dafür Geld verdienen? “ Nee, ich will gar nichts, weißt du, ich mache das, was ich am besten kann. Und das mache ich dann einfach. Ich vertraue Gott und mache einfach.“ Hoffentlich nimmt der liebe Gott dich nicht mal beim Wort. Schließlich willst du das arme Volk da unten nicht nur mit Brot füttern, sondern auch mit seinem Wort. Natürlich lebt der Mensch nicht vom Brot allein, aber wenn er keins hat, wird er auch von der Heiligen Schrift nicht satt. Aber das haben ja schon damals die Missionare nicht kapiert. Was das Respektier sn fremder Kulturkreise betrifft, läßt Nina nicht mit sich reden. Warum streben die Rastas ideell nach Afrika? Weil man ihnen einst mit imperialistischer Arroganz ihren geistigen Nährboden mit westlichen »Werten“ zugepflastert hat. Sie will von Christus reden, von Gott, das habe überhaupt nichts mit Aufzwingen zu tun. Jch komme aus einem Land, wo sie Gott verneinen. Er ist ja quasi verboten. Es wird dir vom Teufel in den östlichen Ländern noch schwerer gemacht, an die göttliche Gerechtigkeit zu glauben.“ Glaubt sie eigentlich, daß man ihr das alles abnimmt? „Das interessiert mich nicht. Ich bin ja nicht Chef einer Wurstfabrik, der seine Würste verkaufen will.“ Das Wort „hineinsteigern“ mag sie auch nicht, gibt aber zu, daß sie sich schon an einen Strohhalm klammere, ohne den sie, vor die Hunde gehen würde“. Ihr stärkstes As ist natürlich die Gegenfrage, „Du glaubst nicht an Gott, was?“ Als ich wieder ansetzte, um ihr diesmal meine Idee von einer übergeordneten Spiritualität best of both worlds zu erläutern, faucht sie ungeduldig dazwischen: „Ist doch egaaaall Wir können doch froh sein, daß die Erde so groß ist, die hat doch einer so groß gemacht, einer hat doch den Osten und Westen gemacht. Der hat doch (schnappt nach Luft) die Möglichkeiten gegeben, daß die Menschen sich anders entwickeln. Im Osten geht die Sonne auf, da sind die Menschen viel heller im Koppe, da kommen auch die Buddhas her, und hier hinten, da geht se unter. Es ist doch klar, daß die Menschen überall auf der Erde anders sind… aber es ist eine Liebe, weißte? Also, ich seh das ganz weitläufig, daß wir aus vielen Ecken Wissen herbeiziehen können, nicht nur aus der Bibel. Aber ich kann doch Jesus nicht verleugnen.“ Nicht zu vergessen der Tag der Abrechnung, an dem die Erde wieder zu einem Platz der Freude wird. Und wir von den UFOs abgeholt werden … Und wie siehst du dich dabei in diesem ganzen Rock’n’Roll-Kontext, aus dem du mal gekommen bist? „Nein, ich bin aus dem Körper meiner Mutter gekommen!“ Künstlerisch „Künstlerisch komme ‚ich vom Himmel, weil wir nur die Empfangenden sind. Die wahre Kunst, die kommt von Gott und wir sind dann der Lautsprecher. Also das Künstlerische kommt nicht von mir, sondern in diesem Falle von Krishna…“ Für das Geschäftliche gibt’s zum Glück ja noch den Teufel.