New Face: Tim Roth


Zugegeben: Neu auf der Leinwand ist sie nicht, die vorzugsweise verkniffene Visage. Selbst wem die Streisand-verdächtige Nase bekannt vorkommt, kann sich noch lange nicht an den Namen des Herren erinnern, der beständig den Eindruck erweckt, als würde er Respektlosigkeiten mit einer Tracht Prügel bestrafen. Aber damit teilt der gebürtige Brite und Wahlamerikaner Tim Roth das bedauernswerte Schicksal so vieler vorzüglicher Charakterdarsteller: Jeder kennt sein Gesicht, aber nur Filmstudenten können mehr als drei Streifen aufzählen, in denen er mitgewirkt hat.

Die Zeit ist reif für Anerkennung auf breiter Front. Denn spätestens seit Roth für seine Leistung als Killer-Aristokrat in dem Historien-Spektakel ‚Rob Roy‘ eine Golden Globe-Nominierung erhielt, zählt er nicht länger zu den dunklen Prinzen des Independent-Kinos. Vielmehr scheint er direkt die Erfolgslaufbahn seines Kumpels Gary Oldman einzuschlagen, dessen Weg er erstmals in der Komödie ‚Rosenkranz und Güldenstein‘ kreuzte. Anfangs hatte sich der in bester Arbeiterklasse-Manier ärmlich aufgewachsene, trinkfeste Labour-Wähler Roth noch in England als Schauspieler versucht. Dabei übersprang er wohlweislich die klassische Theaterausbildung („Diese gespreizte Art des Spielens ist was für Schwuchteln“, O-Ton Roth) und legte sich lieber in Filmen von Stephen Frears oder Peter Greenaway auf die Rolle und das Image der cleveren Kanalratte, des gerissenen Bad Boy fest. Bald jedoch sollte Roth dem englischen Showgeschäft den Rücken zukehren. Wie so viele andere ernstzunehmenden Schauspieler hatte er festgestellt, daß United Kingdom auf Dauer doch nur mittelmäßige Engagements anzubieten hat. Leute, die Kamikaze-Kino machen, anstatt „jammernd auf staatliche Fördermittel zu warten“, gibt es nur noch in Hollywood, so seine Erkenntnis. Also ließ er England England sein und beschloß, sein Glück in Tinseltown zu versuchen.

Welch weiser Schritt. In Los Angeles traf er Quentin Tarantino, unter dessen Regie er in ‚Reservoir Dogs‘ einen Undercover-Cop spielte, der nach einem Bauchschuß den ganzen Film über in einer Blutlache liegend vor sich hin stirbt. Eine Rolle wie gemacht für Roth – die letzten Szenen, in denen er, kaum noch lebendig, gegenüber Gangster-Buddy Harvey Keitel mit der Wahrheit über seine Identität rausrückt, sind für die Ewigkeit gemacht. Auch sein Auftritt als nicht ganz so tougher Restaurant-Räuber ‚Pumpkin‘ in den Eröffnungs- und Schlußszenen von ‚Pulp Fiction‘ ist nicht von schlechten Eltern.

Dieser Tage läuft der leider enttäuschend ausgefallene Episodenfilm ‚Four Rooms‘ an, den Tarantino und drei andere Indie-Regisseure (darunter Tarantino-Kumpel Robert Rodriguez) mit mäßigem Geschick als Pseudo-Hipster-Klamotte inszenierten. Darin macht Roth zwar eine eher unglückliche Figur – als hektischer Hotelpage grinst und grimassiert er eindeutig zu viel. Trotzdem gehört dem „Depardieu aus der englischen Provinz“ (so das US-Magazin ‚Wired‘) die Zukunft: mit einem inzwischen bewährten künstlerischen Spagat zwischen kompromißlosen, kleinen Außenseiterfilmen (wie jüngst ‚Little Odessa‘) und gutbezahlten Hollywood-Hits ä la ‚Rob

Roy‘. Und abgesehen davon: der nächste Tarantino-Treffer kommt bestimmt.