Neues von der Schweinefarm
Sie waren bislang die am schwersten verortbare Größe der The-Band-Welle. Knapp an einer Tragödie vorbeigeschrammt, wollen The Cooper Temple Clause mit ihrem zweiten Album jetzt einiges klarer machen.
Drei graugesichtige, reichlich zerzauste Gestalten zwängen sich am zweiten Nachmittag des Rock am Ring-Festivals die enge Treppe im grasgrünen ME-Doppeldeckerbus hoch, um bei einer Dose Cola oder Bier von den Fortschritten am Mix ihres zweiten Albums mit dem geplanten Titel This Is Not A Home This Is An Industrial Unit zu erzählen. Sänger Ben Gautrey und Bassist Didz Hammond lassen sich umgehend in die durchgesessenen Bänke fallen. Dan Fisher, der schmale schwarzhaarige Gitarrist mit den imposanten Koteletten, der beim „Team Cooper“ für alle Songtexte zuständig ist, ächzt: „Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass das Leben als Popmusiker aus so viel anstrengender und erschöpfender Arbeit besteht, die gar nichts mit dem Musikmachen selbst zu tun hat.“ Bewundernd sinniert er darüber nach, dass R.E.M. einst „ihr ganzes Adventures In Hifi-Album sozusagen nebenher aufgenommen haben, während sie auf Tour waren.“
Keine Frage, das Leben hat sich ganz schön gewandelt für die sechs aus der todlangweiligen Londoner Satellitenstadt Reading, seit sie im Spätsommer 2001 mit ihrer ersten Single „Let’s Kill Music“ auf der Bildfläche erschienen. Dabei wurde ihr Debütalbum See This Through And Leave von der britischen Musikpresse erstmal nicht mit den dort üblichen Hype-Ritualen unterstützt – was wohl hauptsächlich mit der verspielten Mischung aus kräftigem Gitarrenrock und opulenter Elektronik zu tun hatte, die es den englischen Journalisten schwermachte, die Coopers dem „The-Band-Phänomen“ zuzuordnen, das sie in jenem Jahr gerade frisch geortet hatten. Und in der Tat stehen Cooper Temple Clause der ganzen Rockretter-Chose zwar in Geist und Attitüde nahe, aber mit den sehr ausgetüftelten, gelegentlich auch überbordenden und moderner Studiotechnologie durchaus nicht abholden Arrangements des Erstlingsalbums befanden sie sich streng musikalisch betrachtet doch ein Stück abseits des oft eher nonchalant hingerotzten Retro-Garagensounds der meisten The-Bands. Geschadet hat ihnen das alles gar nichts – längst haben sich Ben Gautrey, Dan Fisher, Didz Hammond, Kieran Mahon, Tom Bellamy und Jon Harper auf der Insel, auf dem Kontinent und selbst in Japan eine beachtliche Anhängerschaft erspielt, und auch die britische Popjournaille ist mittlerweile auf Pro-Cooper-Kurs eingeschwenkt.
Kurz vor Weihnachten 2002 hätte der stete Erfolgsweg der Coopers jedoch beinahe ein abruptes Ende erfahren: Nach einer Blinddarmoperation landete Didz Hammond in der Intensivstation – die OP-Narbe hatte sich entzündet und war aufgebrochen. „Ich schiss buchstäblich aus den Hüften „, witzelt der Bassist in der Rückschau. Dan Fisher allerdings sagt ernst: „Wir waren schon sehr besorgt, es ging ihm wirklich dreckig. Danach war er erstmal nur Haut und Knochen, es war schrecklich ihn so zu sehen.“ Die Zeit seiner Genesung sei „seltsam für die Band“ gewesen: „Wir waren plötzlich ein Quintett und unsere Gruppendynamik geriet irgendwie durcheinander. Alles war plötzlich stiller – Didz ist halt normalerweise der lauteste von uns, die Stimmungskanone.“ Nicht nur als solche funktioniert Hammond bei Rock am Ring bereits wieder prächtig: Er steigt beim Gig der befreundeten Libertines ein („so professionell kennen wir ihn sonst gar nicht“, staunt Ben Gautrey im Publikum) und betätigt sich nächtens im Red-Bull-Zelt als DJ, angefeuert von seinen Bandkollegen, die ganz in britischer Working Class-Tradition auf erschöpfendes Arbeiten feuchtfröhliches Feiern folgen lassen.
Szenenwechsel: Sechs Wochen später sitzt der Mann vom Musikmagazin Ihres Vertrauens an einem heißen Sommertag mit Ben Gautrey und Dan Fisher auf den Stufen zum Eingang des Atomic Café in München, wo sie abends einen energiegeladenen Gig hinlegen werden. Mit einer „Mischung aus Nervosität und selbstbewusster Zuversicht“ fiebern sie inzwischen dem Erscheinen ihres neuen Albums entgegen, das Anfang September in den Läden stehen soll, nun wohl Kick Up The Fire And Let The Flames Break Loose heißen wird, beinahe aber nicht rechtzeitig fertig geworden wäre. Schuld an der Verzögerung war nicht die Erkrankung des Bassisten, sondern die bandinterne Demokratie. Dan Fisher ist ein bisschen verlegen: „Wir hatten ein paar, ähm, ja, Diskussionen darüber, welche Stücke wir nun tatsächlich auf das Album nehmen sollten. Alle musikalischen Entscheidungen dauern bei uns ewig. Wir sind eben in jeder Hinsicht eine Band und nicht nur das Projekt von ein paar Leuten plus angeheuerten Hilfsmusikern. Und das bedeutet, dass jeder gleich viel zu sagen hat, auch wenn das manchmal ganz schön ermüdend sein kann. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, wie man das bei einer sechsköpfigen Band anders handhaben sollte, ohne dass nach einer Weile ein paar total frustriert sind, weil sie nicht genug mitentscheiden können…“ Komplizierend scheinen sich auch die sehr unterschiedlichen Hörgewohnheiten im Team Cooper auf die Entscheidungsfindung auszuwirken. Fisher nennt Radiohead, Primal Scream und Pink Floyd als Bands auf die sich alle einigen können, „und die meisten mögen auch noch Oasis und Led Zeppelin, aber da gibt es dann jeweils schon ein, zwei Abweichler…“ Ansonsten aber reichen die Geschmäcker von Punk und extremer Elektronik bis hin zum Jazzrock – kein Wunder, dass die Songs auf See This… für viele schwer einzuordnen waren.
Die hart und elektronikfrei rockende neue Single „Promises, Promises“ offenbart allerdings noch einen weiteren gemeinsamen Nenner: „Stimmt, Nirvana sind definitiv einer der größten Einflüsse für alle von uns…“, nickt Ben Gautrey. Er findet, das neue Album sei „Song für Song gesehen sicherlich erheblich fokussierter als das erste, es ging uns diesmal viel mehr ums Songwriting. Manche Leute fragen uns schon, ob wir jetzt einen auf Ausverkauf machen wollen, weil dieses Album so viel melodiöser ist. Aber das ist Bockmist, wir versuchen lediglich besser zu werden.“
Entstanden sind die Songs im bandeigenen Studio, einer umgebauten Scheune in einer ehemaligen Schweinefarm etwas außerhalb von Reading. Die Coopers haben sie mit Danny Austin koproduziert, der beim Debüt See This Through And Leave als Toningenieur mitgewirkt hatte. „Musikalisch lautet das Thema ‚Veränderung’/,Entwicklung‘- kein Song hört so auf wie er angefangen hat, z.B. gibt es ein Stück namens ‚Into My Arms‘, das wie eine Art Gospel anfängt und am Schluss ist es dann fast jungle…“, beschreibt Ben Gautrey. Und in der Tat fällt beim Hören auf, dass The Cooper Temple Clause sich ihre Freude am Stilmix nicht abgewöhnt haben, sondern sie nur zeitlich anders organisieren: linear statt simultan. Statt unterschiedlichste Elemente in einem Song und darin alle auf einmal unterbringen zu wollen, leisten sie sich nun stilistisch sehr unterschiedliche Stücke (das Spektrum reicht vom harten Post-Grunge in „Promises, Promises“ bis zu einem federleichten, semi-elektronischen Popsong wie „Musicbox“) und lassen diese Stücke dann noch erstaunliche Wandlungen durchlaufen. Was die Songtexte betrifft, erklärt Cheflyriker Dan Fisher, „behandelt The Fire And Let The Flames Break Loose all das, was im vergangenen Jahr mit uns passiert ist, während das erste Album von unseren Teenagerjahren handelte. Beides waren sehr verwirrende Phasen.“
Die Sommerwochen seit Rock am Ring haben The Cooper Temple Clause wieder mit verwirrend viel Arbeit verbracht: „Wir haben ein paar B-Sides aufgenommen und einige Live-Tracks gemischt. Außerdem haben wir den Mitschnitt von einem kompletten Gig eine Zeitlang kostenlos auf unserer Website zum Download bereitgestellt. Das ist Teil unserer Philosophie gegenüber unseren Fans. Uns kam es immer auf ein persönliches Verhältnis zwischen Band und Fans an. Aber je bekannter wir werden, desto schwieriger wird es natürlich für uns, den Kontakt zu den Fans auf einer persönlichen Ebene zu halten. Wir versuchen das Internet zu nutzen, um das ein bisschen auszugleichen.“ Immerhin 60000 Team-Cooper-Anhänger haben das Angebot des Gratis-Downloads genutzt. Ein Zeichen, das der Band hinsichtlich der Verkaufschancen von Kick Up The Fire .. Mut machen dürfte. Fairer Lohn für anstrengende und erschöpfende Arbeit. >>> www.coopertempleclause.co.uk