Neuer Glanz
Es glitzert wieder im Pop. Doch kann man mit Fug und Recht von einem Glam-Revival sprechen?
ENDE DER 80ER JAHRE TAT SICH EIN Schwarzes Loch auf im Coolness-Ouadranten des Pop-Universums. Dieser zuletzt nicht mehr erträglich grelle, im Kern doch längst erloschene Fixstern namens 8oies-Rock mit seinen toupierten Metalbands, grinsenden Retorten-Acts und all seinen quietschigen Oberflächlichkeiten war letztendlich kollabiert. Das Schwarze Loch, das er hinterließ, hieß Nirvana, Crunge, Alternative Rock – und es schluckte gierig. Es schluckte schnöden Schein und Show und ließ uns „credibility“ und Zynismus. Es schluckte die gestylte Haarfrisur und die Bühnenklamotte und ließ uns Fusselbärte und Holzfällerhemden. Es schluckte den Rockstar und gab uns ernsthafte, deprimierte Generation X role models. Es schluckte Glamour. Kein Glitzern entwich seiner Schwärze. Und es war schön und gut und hübsch kathartisch so, aber irgendwann war’s dann auch gut, und mit Retro, Britpop, 70ies-Revival, Neopunkska etc. ließ die Gravitation des Schwarzen Loches immer mehr nach. Die Federboa von Shirley Manson wehte uns seither um die Ohren, Jarvis Cocker schritt so manche Garde plüschiger Showgirls ab und Jane’s Addiction kehrten zurück, mit Strapsen und Fummel bis unters Kinn. Jetzt ist 1998 fast vorbei, das Jahr, in dem Scott Weiland, ehedem Sänger der Grunge-Zweitligisten Stone Temple Pilots, anläßlich seines Solo-Albums mit schickem Kajal unter den Augen und breitkrempigem Hut auf dem Kopf zu Protokoll gab: „Ich mag Rockstars. Ich bin ein Rockstar. Ich bin froh, daß Rockstars und Supermodels wieder populär werden. Sie sind die einzigen Superhelden, die wir haben.“ Das Jahr, in dem Placebo mit ihrem zweiten Album der Durchbruch gelang, nachdem das Trio um den stets adrett geschminkten, androgynen Ladyboy Brian Molko vor zwei Jahren noch weitgehend mißtrauisch beäugt worden war. Das Jahr, in dem der Film in die Kinos kam, für dessen Soundtrack Placebo den alten T. Rex-Klassiker „2Oth Century Boy“ einspielten: Todd Haynes’versponnene Glamrock-Saga „Velvet Goldmine“ um die Beziehung zwischen den beiden fiktiven Rockstars Brian Slade und Curt Wild (von Ewan McGregor nicht nur Iggy Pop, sondern ironischerweise auch Kurt Cobain nachempfunden, dem tragischen Anti-Star aus dem Schwarzen Loch). Seit „Velvet Goldmine“ angelaufen ist und der clever angelegte Hype darum Früchte zeitigt, glitzert und glamt es mehr denn je um uns herum. In den Medien schillert es glamourös, Mode-Designer wie Tommy Hilfiger und Paul Smith schneidern Flamboyantes zwischen Tigerfell und Pailletten-Glanz für schmale Männerleiber. Und – unabhängig davon – sind da natürlich die Damen und Herren Popstars, die ihr übriges dazu tun, das Gebrummel vom „Glamrock-Revival“ nicht verstummen zu lassen. Bands wie Pulp und Rialto legen – musikalisch wie in ihrem Auftreten – einen exaltierten Dandy-Chic an den Tag, wie er Bryan Ferrys Roxy Music selig zur Ehre gereicht hätte. Marilyn Manson ist vom Schock- zum Glamrocker mutiert, im Cover-Artwork zu seinem metallisch glitzernden 90’s-Glam-Statement „Mechanical Animals“ präsentiert er sich-frei nach Bowies „Aladdin Sane“ als androgyner Außerirdischer. Und im Booklet stellt sich uns Marilyn nebst Band als „Omega and the Mechanical Animals“ vor — Ziggy Stardust und die Spiders From Mars lassen nett grüßen. Michael Stipe, Co-Produzent von „Velvet Goldmine“, der sich seit langem zu seiner Bi-Sexualität bekennt, bei Live-Auftritten gerne Flitter auf den Augen und Rock um die Hüften trägt, schwärmt bei jeder Gelegenheit, wie Glamrock ihm bei der Selbstfindung half („Glamrock zeigt mir, daß man viel freier mit Sexualität umgehen kann. Daß man Sexualität und Lust nicht in festgelegte Kategorien einordnen muß“). Placebo-Sänger Brian Molko liebt das Spiel mit der sexuellen Identität und schmeißt sich nur allzugern in ausgefallene Frauen-Fummel – um darin ganz fantastisch auszusehen. Und die Geschichten über erotische und chemikalische Ausschweifungen, die man über Bands wie Placebo oder die amerikanischen Velvet Underground-Apologeten The Dandy Warhols so zu lesen bekommt, lassen vermuten – eventuelle überspitzte Darstellung mit berücksichtigt-daß hier jemand an einer neuen Definition von Sex and Drugs and Rock ’n‘ Roll arbeitet. Also: Glamrock-Revival, oder was? Sind Placebo beispielsweise Glamrock? „Glamourös. Nicht Glamrock“, relativiert Brian Molko.“Wir sind auch viel zu jung, um uns an damals zu erinnern. Wir glauben einfach an das Show-Biz. Wir haben die Nase voll von Bands, die sich präsentieren, als kämen sie gerade von der Straße rein. Für uns ist das Show-Element sehr wichtig, das das ganze auf eine andere Realitätsebene heben kann. Wir wollen unterhalten und bedienen uns der Werkzeuge – Videos, Show – die sich dazu anbieten.“
Auch Regisseur Todd Haynes widerspricht: „Heute stellt sich die Frage nach Glam gar nicht mehr, weil die Kultur, in der wir leben, längst nicht mehr so progressiv ist, wie die Zeit, die Bowie hervorbrachte.“ Da haben wir’s vom Fachmann: den oberflächlichen, abgestumpften 9oern wird die tiefere Magie der Glam-Bewegung verschlossen bleiben. Aber was soll’s: schick, schick, schick bleibt das Ganze dadurch trotzdem. Und das ist es doch, was Glam letztendlich ausmacht: die Form triumphiert über den Inhalt. Das wiederum paßt doch wunderbar in unsere Zeit.